Freitag, 30. März 2012

The Hunger Games

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Obwohl es sicherlich weniger dankbare Filmstoffe als die sehr cinematischen Hunger Games-Romane von Suzanne Collins gibt, blieben bis zur Premiere Zweifel an der Qualität von Gary Ross' Adaption. Die Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet; The Hunger Games ist ein durchschlagender Erfolg.

Eine unbestimmte Zukunft. Kriege und Naturkatastrophen haben Nordamerika verwüstet. Aus der Asche erhob sich Panem, ein totalitärer Staat, bestehend aus 13 Distrikten – zurzeit unter der Ägide von Präsident Coriolanus Snow (Donald Sutherland) –, und vom dekadenten Capitol aus gelenkt. Nach einem Aufstand wurde Distrikt 13 dem Erdboden gleich gemacht. Als Warnung an die restlichen zwölf finden jährlich die "Hunger Games" statt. Bei der sogenannten "Ernte" wird aus jedem Distrikt, nicht aber aus dem Capitol, je ein Junge und ein Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren ausgelost. Dies sind die "Tribute", welche sich anschliessend in einer künstlichen Naturarena gegenseitig bekämpfen müssen, bis nur noch ein Jugendlicher am Leben ist – während Panem sich das unterhaltsame Spektakel im Fernsehen ansieht. Als der Name der kleinen Prim Everdeen (Willow Shields) gleich bei ihrer ersten Ernte aus dem Topf gezogen wird, meldet sich ihre grosse Schwester Katniss (eine tolle Jennifer Lawrence) frewillig, sie zu ersetzen. Mit dem zweiten 12er-Tribut, dem Bäckerssohn Peeta (Josh Hutcherson), wird die versierte Jägerin von der Staatsangestellten Effie Trinket (Elizabeth Banks) und dem ehemaligen Hunger-Games-Sieger, dem versoffenen Haymitch Abernathy (Woody Harrelson), ins Capitol überführt, wo nach einem ausgedehnten Training die grausamen Spiele beginnen sollen.

Die "Tribute" Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) und Peeta Mellark (Josh Hutcherson) werden fernsehtauglich herausgeputzt.
Wie jede neue Vorstellung einer dystopischen Zukunftsgesellschaft mussten auch Suzanne Collins' Erfolgsbücher die ewig gleichen Vergleiche über sich ergehen lassen: George Orwell, Aldous Huxley und William Golding aus der Literatur, die Romanverfilmungen The Running Man (1987) und Battle Royale (2000) aus dem Kino. Tatsächlich weist The Hunger Games Ähnlichkeiten mit gewissen ikonischen Dystopien auf – Huxleys Brave New World, Goldings Lord of the Flies, Filme wie Terry Gilliams Brazil oder Fritz Langs Metropolis –, doch Gary Ross' dritten Film auf diese Vorläufer zu reduzieren, täte ihm Unrecht. Die Adaption steht mühelos auf eigenen Füssen und schafft es hervorragend, die Visionen von Collins, die auch am Drehbuch mitschrieb, wiederzugeben. Die praktisch unsichtbaren Effekte, Tom Sterns atmosphärische Kamera – obwohl in den brutaleren Momenten etwas allzu wacklig – und die überwiegend gelungene Austattung entführen den Zuschauer in eine faszinierende Fantasy-Welt, welcher der Bezug zur Realität aber zu keinem Zeitpunkt abgeht.

Überhaupt ist dies kein Film, der von seinen Schauwerten getragen wird. The Hunger Games ist ein Abenteuer, wo die fesselnde Story und die grossartigen Charaktere die treibenden Kräfte sind und von der (effizient eingesetzten) Action lediglich unterstützt werden. Katniss ist der emotionale Anbindungspunkt des Zuschauers: Sie ist eine starke, wenngleich unvollkommene Persönlichkeit auf der Suche nach Identität in einer gleichgeschalteten Welt – eine wahre Heldin, der man gerne durch die Hölle der Hungerspiele folgt. Vor allem, da sich die dekadente Spielleitung den Kinogänger geschickt zum Komplizen macht, indem sie seinen Voyeurismus gnadenlos aufdeckt. Selten verliess man eine Jugendbuchverfilmung dermassen fasziniert – bitte mehr davon!

★★★★

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