Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Obwohl es sicherlich weniger dankbare Filmstoffe als die sehr
cinematischen Hunger Games-Romane von Suzanne Collins gibt,
blieben bis zur Premiere Zweifel an der Qualität von Gary Ross'
Adaption. Die Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet; The
Hunger Games ist ein durchschlagender Erfolg.
Eine unbestimmte Zukunft. Kriege und Naturkatastrophen haben
Nordamerika verwüstet. Aus der Asche erhob sich Panem, ein
totalitärer Staat, bestehend aus 13 Distrikten – zurzeit unter der
Ägide von Präsident Coriolanus Snow (Donald Sutherland) –, und
vom dekadenten Capitol aus gelenkt. Nach einem Aufstand wurde
Distrikt 13 dem Erdboden gleich gemacht. Als Warnung an die
restlichen zwölf finden jährlich die "Hunger Games" statt. Bei
der sogenannten "Ernte" wird aus jedem Distrikt, nicht aber aus
dem Capitol, je ein Junge und ein Mädchen zwischen zwölf und 18
Jahren ausgelost. Dies sind die "Tribute", welche sich
anschliessend in einer künstlichen Naturarena gegenseitig bekämpfen
müssen, bis nur noch ein Jugendlicher am Leben ist – während
Panem sich das unterhaltsame Spektakel im Fernsehen ansieht. Als der
Name der kleinen Prim Everdeen (Willow Shields) gleich bei ihrer
ersten Ernte aus dem Topf gezogen wird, meldet sich ihre grosse
Schwester Katniss (eine tolle Jennifer Lawrence) frewillig, sie zu
ersetzen. Mit dem zweiten 12er-Tribut, dem Bäckerssohn Peeta (Josh
Hutcherson), wird die versierte Jägerin von der Staatsangestellten
Effie Trinket (Elizabeth Banks) und dem ehemaligen
Hunger-Games-Sieger, dem versoffenen Haymitch Abernathy (Woody
Harrelson), ins Capitol überführt, wo nach einem ausgedehnten
Training die grausamen Spiele beginnen sollen.
Die "Tribute" Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) und Peeta
Mellark (Josh Hutcherson) werden fernsehtauglich herausgeputzt.
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Wie jede neue Vorstellung einer dystopischen Zukunftsgesellschaft
mussten auch Suzanne Collins' Erfolgsbücher die ewig gleichen
Vergleiche über sich ergehen lassen: George Orwell, Aldous Huxley
und William Golding aus der Literatur, die Romanverfilmungen The
Running Man (1987) und Battle Royale (2000) aus dem Kino.
Tatsächlich weist The Hunger Games Ähnlichkeiten mit gewissen
ikonischen Dystopien auf – Huxleys Brave New World, Goldings Lord of the Flies, Filme wie Terry Gilliams Brazil oder
Fritz Langs Metropolis –, doch Gary Ross' dritten Film auf
diese Vorläufer zu reduzieren, täte ihm Unrecht. Die Adaption steht
mühelos auf eigenen Füssen und schafft es hervorragend, die
Visionen von Collins, die auch am Drehbuch mitschrieb, wiederzugeben.
Die praktisch unsichtbaren Effekte, Tom Sterns atmosphärische Kamera
– obwohl in den brutaleren Momenten etwas allzu wacklig – und die
überwiegend gelungene Austattung entführen den Zuschauer in eine
faszinierende Fantasy-Welt, welcher der Bezug zur Realität aber zu
keinem Zeitpunkt abgeht.
Überhaupt ist dies kein Film, der von seinen Schauwerten getragen
wird. The Hunger Games ist ein Abenteuer, wo die fesselnde
Story und die grossartigen Charaktere die treibenden Kräfte sind und
von der (effizient eingesetzten) Action lediglich unterstützt
werden. Katniss ist der emotionale Anbindungspunkt des Zuschauers:
Sie ist eine starke, wenngleich unvollkommene Persönlichkeit auf der
Suche nach Identität in einer gleichgeschalteten Welt – eine wahre
Heldin, der man gerne durch die Hölle der Hungerspiele folgt. Vor
allem, da sich die dekadente Spielleitung den Kinogänger geschickt
zum Komplizen macht, indem sie seinen Voyeurismus gnadenlos aufdeckt.
Selten verliess man eine Jugendbuchverfilmung dermassen fasziniert –
bitte mehr davon!
★★★★
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