Nach den Ereignissen in Kenneth Branaghs Thor konnte
S.H.I.E.L.D. den "Tesseract" aus Asgard an sich bringen.
Zurzeit wird der blau leuchtende Würfel in den Labors der
Organisation unter der Leitung von Erik Selvig (Stellan Skarsgård)
und Nick Fury (Samuel L. Jackson) untersucht. Doch plötzlich steht
der böse Halbbruder Thors (Chris Hemsworth), Loki (Tom Hiddleston),
vor dem Tesseract, holt Selvig und den Bogenspezialisten Hawkeye
(Jeremy Renner) auf seine Seite und macht sich davon. Der Plan des
zwischen Welten reisenden Gottes besteht darin, mit dem mächtigen
Energieartefakt und einer ausserirdischen Armee – den Chitauri –
die Erde zu unterwerfen. Die Lage ist dermassen verzweifelt, dass
Nick Fury die eigentlich abgebrochene "Avengers-Initiative"
reaktiviert. Es werden der Donnergott Thor, der hochintelligente
Playboy und Magnat Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.), der
bis vor Kurzem im arktischen Eis festgefrorene Steve Rogers alias
Captain America (Chris Evans), die Agentin Natasha Romanoff alias
Black Widow (Scarlett Johansson) und der brillante Wissenschaftler
Bruce Banner (Mark Ruffalo), der, wenn er wütend wird, sich in den
grünen Giganten Hulk verwandelt, engagiert. Das Team bekundet
allerdings Mühe, zueinander zu finden – nicht zuletzt durch Lokis
Eingreifen –, treffen hier doch Egomanen auf Patrioten und
Muskelprotze auf schüchterne Kopfmenschen.
Verschiedene Persönlichkeiten, Seite an Seite: Iron Man (Robert Donwey Jr.) und Captain America (Chris Evans). |
Dass ein Comic-Crossover wie The Avengers im Kino schwierig
umzusetzen ist, war von Anfang an klar. Die goldene Mitte zwischen
dem eingeweihten und dem unbedarften Zuschauer muss gefunden werden;
es ist abzuwägen, wieviel Vorwissen vorausgesetzt werden soll; es
besteht das Risiko, gewisse Fangemeinden zu verärgern, da
Superhelden nach wie vor in erster Linie Einzelkämpfer sind. Es
lässt sich kaum bestreiten, dass Joss Whedon (Buffy the Vampire
Slayer) und sein Co-Autor Zak Penn (Last Action Hero, The
Incredible Hulk) in ihrem Drehbuch den bestmöglichen Weg gingen.
The Avengers ist kein Film, der von seinem Plot angetrieben
wird; es sind die Charaktere, die im Zentrum stehen. Dafür mussten
allerdings Konzessionen gemacht werden. So wirkt das Ganze in den
ersten 30 bis 45 Minuten allzu behäbig, sodass teilweise sogar, wie
in den schwächsten Passagen von Thor, das Gefühl entsteht,
die Geschichte bewege sich kaum vorwärts.
Jedoch zahlt es sich in eben diesen Momenten aus, dass in Whedon ein
Regisseur und Autor gefunden wurde, der mit einem solchen Ensemble
umgehen kann. Nicht nur führt er Nebenfiguren wie Black Widow und
Hawkeye, deren individuelle Franchisen nicht prestigeträchtig genug
sind, um eigene Filme zu generieren, äusserst elegant ein; er weiss
auch, wie er die verschiedenen Persönlichkeiten seiner Helden, den
"lost creatures", wie es Loki hervorragend auf den Punkt
bringt, aufeinanderprallen lassen kann. Anders als bei DCs oftmals
überperfekten Kämpfern für Gerechtigkeit ist die Menschlichkeit
von Marvels Helden nämlich ein wichtiger Teil ihres Reizes; es wird
viel Wert auf die menschlichen Schwächen der übermenschlichen
Kreaturen gelegt. Whedon findet im uramerikanischen und deswegen auch
gottesfürchtigen Captain America einen würdigen Antipoden zum
nordischen Gott Thor und dem zynischen Tony Stark. Dieser wiederum
freundet sich schnell mit Bruce Banner an, da beide Unfälle hinter
sich haben – Stark eine Explosion, Banner eine Verseuchung durch
Gammastrahlen –, welche sie nach gängiger Lehrmeinung nicht hätten
überleben sollen. Daraus gewinnt Whedon die nötigen Konflikte und
Spannungen, welche dem kaum vorhandenen Plot etwas dringend
gebrauchte Dynamik verleihen. Auch lässt er den Humor zu seinem
Recht kommen, sei es durch die grandiosen Einzeiler, an welchen es
jüngeren Marvel-Verfilmungen, mit Ausnahme von Iron Man,
meist fehlte, den stets ironischen Tonfall, die Anspielungen auf
vorangegangene Filme oder die herrlichen gegenseitigen Neckereien der
Figuren.
"We have a Hulk" – Bruce Banner in seiner Superheldenform. |
Sein ganzes Potential schöpft The Avengers schliesslich in
der zweiten Hälfte aus. Sobald sich alle Protagonisten
zusammengefunden haben und ein Plan ausgeheckt ist, wirkt der Film
wie entfesselt. Die bestens aufgelegten, endlich vereinten
Schauspieler – allen voran Robert Downey Jr. und Samuel L. Jackson
– interagieren prächtig miteinander, die Witze sitzen, Dramatik
und Dringlichkeit stellen sich ein. Zur Vollendung werden diese
Elemente in einer gigantischen finalen Schlacht gebracht, in welcher
Whedon und Kameramann Seamus McGarvey demonstrieren, wie eine
derartige Materialschlacht zu inszenieren ist. Anders als die
endlosen Roboterkämpfe in Michael Bays Transformers-Reihe
lassen sich hier Pro- und Antagonisten tatsächlich unterscheiden;
die Kamera wackelt nicht unnötig; Humor und Charakterzüge werden
beibehalten; Sinn und Zweck sowie ein Ziel sind eindeutig erkennbar.
Zudem reüssiert The Avengers dort, wo Hulk und The
Incredible Hulk gescheitert sind: Der grüne Wüterich wird in
dieser letzten halben Stunde erstmals treffend dargestellt und
eingesetzt: Bruce Banner wird zu einem quasi unbesiegbaren Monster,
welches seine Taten aber immer noch kontrollieren kann. Seine
Begegnung mit Loki ("Puny god") dürfte einem noch lange in
Erinnerung bleiben.
Es ist kaum anzunehmen, dass die lange herbeigesehnte Kinoadaption
von Marvels Superheldenteam als Sieger aus dem direkten Vergleich mit
Christopher Nolans anstehendem dritten Teil seiner Batman-Trilogie,
The Dark Knight Rises, hervorgehen wird. Dennoch beweist Joss
Whedon mit The Avengers, dass auch in einem auf Action
ausgerichteten Unterhaltungsfilm geschmackvoller Humor und
dreidimensionale Charaktere ihren Platz haben – auch wenn
Dampfhammer-Filmer wie Michael Bay die Zuschauer dauernd vom
Gegenteil überzeugen wollen.
★★★★
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