13 Jahre hat die Produktion von Steven Spielbergs neuem Film in
Anspruch genommen; das Herzblut, das darin fliesst, ist nicht zu
übersehen. Lincoln ist ein unaufgeregtes, aber spannendes
politisches Kammerspiel, ein intimer Historienfilm.
Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen zum Jahresanfang 1865 an
einem Tiefpunkt angelangt zu sein: Zwar wurde erst vor kurzem der 16.
US-Präsident, Abraham Lincoln (Daniel Day-Lewis), im Amt bestätigt,
doch der blutige Bürgerkrieg gegen die abtrünnigen Südstaaten,
1861 begonnen, tobt weiter und zehrt an den Kräften und Ressourcen
beider Seiten. Zudem stockt in Washington die politische Maschinerie,
da im Repräsentantenhaus jeglicher Konsens zwischen Republikanern
und Demokraten ausgeschlossen scheint. Und ausgerechnet jetzt will
Lincoln einen kontroversen Verfassungszusatz, das Verbot von
jeglicher Sklaverei, durchsetzen. Seine Hoffnungen ruhen dabei vor
allem darauf, den radikal-republikanischen Sklavereigegner Thaddeus
Stevens (Tommy Lee Jones) in Schach zu halten, dessen Brandreden den
konservativen Flügel der Partei zu vergraulen drohen, und auf der
Unterstützung von abgewählten, aber noch bis Ende Januar aktiven
Demokraten, denen er attraktive Regierungsposten anbietet. Dass aber
gerade jetzt der Süden Friedensgespräche anbietet, kommt dem
Präsidenten gar nicht gelegen, da ein Ende der Sklaverei nur dann
mehrheitsfähig ist, wenn es als Druckmittel auf die Südstaaten
benutzt werden kann.
Wer
wissen will, wann und wo Abraham Lincoln geboren wurde, wie er zur
Politik kam und wen er in seinen beiden Wahlen besiegte, wird in
Steven Spielbergs Film keine Antworten finden. Er und Drehbuchautor
Tony Kushner beschränken die biografischen Details auf ein Minimum:
Er war gelernter Anwalt, seine Frau Mary (Sally Field) litt an
Depressionen, zwei seiner Söhne starben jung, ein dritter, Robert
(Joseph Gordon-Levitt), brannte darauf, in die Armee der Union
einzutreten. Doch selbst diese Familienangelegenheiten spielen in Lincoln lediglich eine Nebenrolle. Der Fokus liegt
hauptsächlich auf halblegalen Rechtsverdrehungen, Quasi-Bestechungen
und Lagebesprechungen in stickigen Hinterzimmern. Kushners Dialoge
sind lang, mitunter auch zu lang, und erzählen mal von
bürokratischen Feinheiten, mal von taktischen Überlegungen: Lincoln
verbringt während
des Films mehr Zeit mit seinem Aussenminister (der hervorragende
David Strathairn) als mit seiner Frau. Das Ganze wirkt fast wie eine
Verteidigung der Zentralregierung, welche in den modernen USA gerne
mit dem Stalinismus gleichgesetzt wird: Die brisanteste und
gewichtigste Verfassungsänderung der amerikanischen Geschichte kam
dank des Einsatzes präsidialer Macht zustande.
Der ikonische Präsident: Abraham Lincoln (Daniel Day-Lewis, Mitte)
inspiziert ein Schlachtfeld.
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Spielberg verzichtet auf Spektakel, er zeigt weder Schlachten noch
andere Kriegshandlungen. Stellenweise mag die Inszenierung ins allzu
Bühnenhafte, am Ende auch ins Hagiografische, abdriften, doch der
Regisseur von Historiendramen wie Schindler's List und Saving
Private Ryan weiss seinen Stoff – mit tatkräftiger
Unterstützung des polnisch-amerikanischen Kamerameisters Janusz
Kamiński – spannend und mitreissend zu präsentieren. Was Lincoln letztendlich aber unvergesslich macht, ist die
brillante Darbietung seines Hauptdarstellers. Daniel Day-Lewis, der
in der Vergangenheit oft durch bis ins Lächerliche gesteigertes
Chargieren (My Left Foot, There Will Be Blood)
aufgefallen ist, passt sich dem sachlichen Naturell seiner Figur an
und begeistert mit dezentem, subtilem Schauspiel, in dem jede
Bewegung, jeder Gesichtsausdruck, jede von Lincolns berühmten
Anekdoten stimmig und natürlich wirkt. Er ist die Vollendung eines
rundum befriedigenden Films, einer scharfsinnigen, lebendig und
filmsprachlich virtuos vorgetragenen Geschichtslektion.
★★★★
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