Wie der Western stirbt auch der Film Noir mehrere Tode. Obwohl nach
allgemeiner Ansicht seine grosse Zeit schon 1958 ein Ende fand,
feierte er in den darauf folgenden fünf Jahzehnten immer wieder
kurzlebige Comebacks. Ob der Genre-Aufwasch Gangster Squad ein
weiteres einzuleiten vermag, darf bezweifelt werden.
1949: Los Angeles befindet sich im Würgegriff des Ostküsten-Mafioso
Mickey Cohen (Sean Penn). Binnen weniger Jahre haben er und seine
brutalen Schergen sämtliche lokale Konkurrenz ausgeschaltet; mit
Frauenhandel, Prostitution, Drogenschmuggel, Geldwäsche und
Wettgeschäften hat der ehemalige Boxer genug Geld eingestrichen, um
schon bald die gesamte Westküste zu kontrollieren. Polizei und
Gerichte können Cohen nichts anhaben, unterhält er doch gute
Beziehungen bis in die höchsten Kader der Behörden. Doch
Polizeichef Parker (Nick Nolte) will dem Treiben nicht mehr länger
nur zusehen: Er beauftragt den rechtschaffenen Polizisten John O'Mara
(Josh Brolin) damit, einen Trupp zusammenzustellen, der Cohens
Niederlassungen überfällt und zerstört. Mit dabei sind Frauenheld
Jerry (Ryan Gosling), der mit der Benimmlehrerin – und Mickeys
Liebhaberin – Grace (Emma Stone) anbandelt, der Revolverheld Max
(Robert Patrick), dessen Assistent Navidad (Michael Peña), der
Technikexperte Conway (Giovanni Ribisi) und der Milieu-Polizist
Coleman (Anthony Mackie).
Als Ruben Fleischer 2009 sein Regiedebüt feierte, war man geneigt,
ihn als viel versprechendes neues Talent zu verbuchen. Zombieland
war eine urkomische Horrorfarce, der es hervorragend gelang,
spritzendes Kunstblut und abstruse Ideen zu maximalem komödiantischem
Effekt zu verbinden. Das Nachfolgewerk des heute 38-Jährigen, die
Komödie 30 Minutes or Less, wurde von Kritik und Publikum
schon weniger enthusiastisch aufgenommen. In Gangster Squad wird
nun offenkundig, dass Fleischers Regiequalitäten nur so gut wie sein
Drehbuch sind. Das Kunstblut aus Zombieland wurde beibehalten,
der Scharfsinn ist auf der Strecke geblieben. Will Bealls Skript,
inspiriert von wahren Begebenheiten, ist hier die Wurzel allen Übels.
Sergeant John O'Maras (Josh Brolin, 2. v. l.) "Gangster Squad": Jerry (Ryan Gosling, links), Navidad (Michael Peña, Mitte), Max (Robert Patrick, 2. v. r.) und Coleman (Anthony Mackie). |
Beall versucht verzweifelt, dem Erbe von Dashiell Hammett und Raymond
Chandler gerecht zu werden und in die Fussstapfen von
Neo-Noir-Erfolgen wie Chinatown, Bugsy oder L.A.
Confidential zu treten. Er verfehlt die Essenz des Film Noir
genauso wie den weitaus simpleren Anspruch, einen passablen
Krimithriller, frei von jeglichen Genre-Assoziationen, zu machen.
Seinen Figuren legt er abgedroschene Plattitüden in den Mund, welche
das Niveau eines Pulp-Comics nicht übersteigen. O'Maras Frau – mit
viel gutem Willen als eine geistige Nachfahrin von Jocelyn Brandos
Katie Bannion in Fritz Langs The Big Heat erkennbar –,
gespielt von der armen Mireille Enos, wird auf seelenlose
Gemeinplätze wie "The war's over, stop fighting, come back to
me" oder "You're kind, you don't talk too much"
reduziert. Versucht sich Beall an humorvollen Einzeilern, fragt man
sich, wo genau der Witz liegen soll ("I'm a bible salesman",
ist Jerrys ironischer Anmachspruch); lobpreist er am Ende salbadernd
die ehrenvolle Arbeit des Streifenpolizisten, wird man lediglich
daran erinnert, wie gut End of Watch doch war.
Und Ruben Fleischer, anstatt Gegensteuer zu geben, ergibt sich dem
uninspirierten und unüberlegten Zitieren von Scarface bis
This Gun for Hire und vernachlässigt obendrein auch eine der
wichtigsten Pflichten eines Regisseurs. Im Angesicht seines
Schauspieler-Leitwolfs Sean Penn scheint Fleischer die
Schauspielführung verlernt zu haben. Penn grimassiert, ächzt,
stöhnt und fletscht seine Zähne nach allen Regeln der Kunst, was
die meisten – die tapferen Josh Brolin und Robert Patrick
widerstehen dem Drang, ebenso der lust- und farblose Ryan Gosling –
seiner Mitspieler dazu veranlasst, mitzuziehen. So verkommt Nick
Nolte zur knorrigen Selbstkarikatur, Emma Stone zur gescheiterten
Femme fatale, die sich zu sehr bemüht, verführerisch zu wirken.
Gangster Squad, ein Film, der vor allem dank seiner
prominenten Besetzung die Zuschauer ins Kino lockt, ist
peinliches Schmierentheater, ein Kostümfest, welches lediglich von
Mary Zophres' Kleider- und Gene Serdenas Set-Designs veredelt wird.
Der König von Los Angeles: Mafiaboss Mickey Cohen (Sean Penn, Mitte). |
Das triftigste Argument für Fleischers dritten Film ist wohl das der
Unterhaltung. Gewalt in Zeitlupe bestimmt das Geschehen, in den
diversen Schiessereien bersten die Blutpackungen im Akkord, Menschen
finden ihren Tod in brennenden Aufzügen und Swimming Pools mit
Bohrmaschinen, Messern und Schusswaffen aller Art. Tatsächlich ist
das ganze Gemetzel hochgradig ästhetisch gefilmt und inszeniert,
hinterlässt aber jedoch einen schalen Nachgeschmack. Einerseits
überstrapaziert Fleischer seinen morbiden Bildwitz, den er in
Zombieland noch spielend (und spielerisch) einzusetzen wusste;
andererseits wirkt die Gewaltorgie wie ein billiges
Ablenkungsmanöver. Pistolen knallen, Gewehrläufe qualmen, Menschen
gehen zu Boden, die Leichen stapeln sich, doch dahinter fehlen
Intelligenz, Charme und Sinn. Film Noir muss nicht zwingend
intellektuell sein; oft genügen eine solide Geschichte und eine
stilsichere Präsentation. Gangster Squad fehlt beides.
★★
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