Margarethe von Trotta, die Grande Dame des Neuen Deutschen Films, platzt mit ihrem neuen Projekt mitten in die neu entfachte Antisemitismus-Debatte in Deutschland. Hannah Arendt ist ein gewagtes Porträt der grossen jüdischen Philosophin – jedenfalls bis der Mut es verlässt.
1961 wird in Argentinien der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf
Eichmann vom israelischen Geheimdienst Mossad gefasst und nach
Jerusalem überführt, wo ihm der Prozess gemacht werden soll. Weil
sie als Exil-Jüdin ein persönliches Interesse am Fall hat und weil
viele ihrer Freunde nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel gezogen
sind, bittet die mittlerweile mit ihrem Mann Heinrich Blücher (Axel
Milberg) in New York lebende Philosophin, Autorin und Professorin
Hannah Arendt (die famose Barbara Sukowa, die unter der Regie von
Trottas auch schon Rosa Luxemburg verkörperte) das Magazin New
Yorker erfolgreich darum, sie als Reporterin nach Jerusalem zu
schicken. Doch während die meisten ihrer Freunde und Bekannten
Eichmann als personifiziertes Böses sehen, erkennt sie in ihm
lediglich einen obrigkeitshörigen Bürokraten, dessen Verbrechen auf
einen Denkverzicht zurückzuführen sind. Als ihr 300 Seiten
umfassender Prozessbericht erscheint, sieht sich Arendt schärfster
Kritik ausgesetzt.
Die Behandlung von Hannah Arendts wohl umstrittenster Publikation ist
per Definition ein Wagnis, ungeachtet des gegenwärtigen
sozipolitischen Hintergrundes. Immerhin beinhaltet die 1963 auch als
Buch (Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil)
veröffentlichte Artikelserie der Denkerin verwegene Äusserungen wie
etwa die These, dass Hitlers Vernichtungspolitik ohne die Kooperation
der Judenräte keine sechs Millionen Opfer gefordert hätte. Aussagen
dieser Art sind der Stoff hitziger Diskussionen, heute genauso wie
1962.
Europäische Intelligentsia in New York: Hannah Arendt (Barbara
Sukowa) und Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg).
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Doch Margarethe von Trotta geht – über weite Strecken zumindest –
mutig ihren Weg und identifiziert viele der schwerwiegendsten
Anschuldigungen von Arendts zeitgenössischen Kritikern als reine
Hysterie: Weder hat sie in ihren Artikeln den Verbrecher Eichmann
verteidigt, noch war sie der Meinung, die Juden trügen die Schuld
für ihre eigene Zerstörung. Auch die Tatsache, dass sich Arendt
nicht als Zionistin verstand, umgeht von Trotta nicht: Hochgradig
emotionale Zeugenaussagen am Jerusalemer Gericht – alles
authentisches Archivmaterial –, die vage Claude Lanzmanns Shoah
in Erinnerung rufen, kontrastiert sie mit Linien wie "Ich habe doch
noch nie ein Volk geliebt". Leider aber scheint es, als mache der
Film im letzten Moment einen Rückzieher. In zwei kurzen Minuten wird
aus der starrsinnigen Hannah Arendt eine Zweiflerin am eigenen Werk;
ihre Position weicht auf, sie widerruft den Standpunkt, für den sie
bislang so entschieden eingetreten ist. Dies mag historisch verbrieft
und womöglich sogar richtig sein, doch dramaturgisch ist es fatal:
Ein stimmiger Film ändert in seinen Schlusssekunden nicht die
Meinung, die er zuvor 110 Minuten lang vertreten hat.
Dieses Defizit weist denn auch auf ein zusätzliches, weitaus
banaleres Problem der Autorinnen von Trotta und Pamela Katz hin,
fernab der inhaltlichen Tragweite: Zwischen den – zweifellos
überzeugenden – Einzelteilen des Films herrscht ein akutes
Missverhältnis. Obwohl die persönliche Dimension, vorab das
lebendig eingefangene Eheleben von Arendt und Heinrich Blücher,
durchaus zu gefallen weiss, übertönt sie doch zu oft die
historischen Fakten. Indem sie etwa den Philosophen Martin Heidegger
(Klaus Pohl) prominent in ihre Erzählung mit einbezieht, tut sich
von Trotta wahrlich keinen Gefallen, da dieser keinen sichtbaren
Einfluss auf die Handlung hat. Lässt sie die Geschichte schliesslich
doch zu ihrem Recht kommen, droht das Ganze ins Moralisierende
abzudriften. Hannah
Arendt kommt so einer guten Philosophiestunde gleich: interessant,
anregend, informativ, mitunter sogar inspirierend, doch
schlussendlich kein Vergleich zum Originaltext.
★★★
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