Grosse Momente der Geschichte im kleinen Rahmen auf die Leinwand zu
bringen, ist im Grunde ein hehres Ziel. Dass der private Blick hinter
die Kulissen der historischen Ereignisse aber nicht immer der beste
Weg ist, zeigt die belanglose und blutleere Héritage-Tragikomödie
Hyde Park on Hudson.
1939: Obwohl sich in Europa ein Krieg anbahnt, sind in den USA nach
der Erfahrung des Ersten Weltkriegs nur wenige Menschen bereit, den
verbündeten Kräften in Übersee zu helfen. Um dem US-Präsidenten
Franklin D. Roosevelt (Bill Murray) ein Verteidigungsbündnis
abzutrotzen, reist das britische Königspaar höchstpersönlich, der
stotternde König George VI (Samuel West) und Ehefrau Elizabeth
(Olivia Colman), auf Roosevelts Landsitz Hyde Park im Staat New York.
Dort versammeln sich in den Tagen und Wochen vor dem hohen Besuch
nicht nur der Präsident, dessen Mutter (Elizabeth Wilson) und
Gemahlin Eleanor (Olivia Williams), sondern auch FDRs Beraterstab,
die zahlreichen Bediensteten des Hauses und Margaret "Daisy"
Suckley (Laura Linney), eine entfernte Cousine Roosevelts, die zu
einer Vertrauten des Präsidenten wird. Als die britische Royalität
eintrifft, versinkt das Hyde Parker Anwesen im Chaos: Der König
schämt sich seiner Sprachbehinderung, die Königin empört sich über
Eleanors Unterhaltungsprogramm und Daisy muss feststellen, dass sie
nicht die einzige "Vertraute" FDRs ist.
Zwölf Jahre lang war Franklin Delano Roosevelt Präsident der
Vereinigten Staaten, er navigierte das Land durch eine verheerende
Wirtschaftskrise und einen Weltkrieg und schuf die
Grundvoraussetzungen für die progressive Idee des "mitfühlenden
Staats". Der Demokrat gilt bis heute als einer der besten
US-Präsidenten der Geschichte. Würde man sein Urteil über ihn
jedoch auf Hyde Park on Hudson von Regisseur Roger Michell
(Notting Hill, Venus) und Theaterautor Richard Nelson
gründen, dann käme man wohl zum Schluss, FDR hätte seine Amtszeit
primär damit verbracht, Martinis zu kippen und Frauen hinterher zu
jagen. Doch selbst wenn dies vollumfänglich der Wahrheit entspräche,
würde die Arbeit von Michell und Nelson nicht überzeugen.
Präsident Franklin D. Roosevelt (Bill Murray, Mitte) begrüsst das britische Königspaar (Olivia Colman, Samuel West). |
Das Grundproblem ist die Entscheidung, Daisy Suckley zur tragenden
Hauptfigur zu befördern. Der Zuschauer muss sich damit abfinden, den
historischen Präsidenten durch die Augen einer verschmähten
Liebhaberin zu sehen, deren Sorgen und Nöte zu keinem Zeitpunkt zu
berühren vermögen. Nelson vollführt das skurrile Kunststück,
spannende Zeitgeschichte in eine Quasi-Romanze voller gewisperter
Sehnsuchtsdialoge zu übersetzen. Lässt der Film einmal von Daisy
ab, konzentriert er sich auf die Konflikte zwischen George VI und
Elizabeth oder karikiert die fortschrittlichen Visionen Eleanors. FDR
ist so letztlich das Resultat von Projektionen anderer Leute, von
denen besonders die Frauen von einer erstaunlichen Eindimensionalität
sind: Während Daisy ihren geliebten Präsidenten oft seufzer- und
tränenreich vermisst und Elizabeth sich durch stereotype britische
Arroganz auszeichnet, beschränkt sich die Darstellung der zur Ikone
gewordenen Eleanor Roosevelt auf das Porträt einer hinterhältigen,
herrischen Spassbremse.
Schlussendlich ist man historisch wie dramaturgisch so schlau wie
zuvor. Eine emotionale Verbindung konnte weder zu Roosevelt, mangels
Auftritten und Charaktertiefe, noch zu Daisy, mangels Interesse an
ihren Problemen, aufgebaut werden. Verschlimmert wird das Ganze durch
Michells aseptische Inszenierung. Der Film ist ästhetisch
ausgestattet, elegant komponiert und gediegen gefilmt; Dekor und
Kostüme wirken stimmig, sind aber niemals in der Lage, Authentizität
vorzutäuschen. Hyde Park on Hudson ist ein Puppenhaus, ein
Museum der späten Dreissigerjahre, in dem mit viel Liebe eine
Zeitperiode rekonstruiert wurde, ohne aber der richtigen Atmosphäre
Rechnung zu tragen.
FDR, ganz privat: Margaret "Daisy" Suckley (Laura Linney) kommt ihm in Hyde Park näher. |
Entsprechend ist es Michells Glück, eine ehrwürdige Besetzung vor
seiner Kamera zu wissen. Laura Linney trotzt den engen Grenzen ihrer
Figur und lässt in inspirierten Momenten die Tragweite ihres Talents
erahnen, während Samuel West sich beherzt der undankbaren Aufgabe
stellt, jene Rolle zu spielen, für die Colin Firth (The King's
Speech) 2011 mit einem Oscar geehrt wurde. West spielt, als hätte
es Firths Darbietung nie gegeben; sein George VI ist unsicherer,
schüchterner und weniger königlich als sein Pendant in Tom Hoopers
Film. Bill Murrays Franklin Roosevelt steht indes für die grösste
Tragödie, die sich in Hyde Park on Hudson abzeichnet. Murray
erweist sich einmal mehr als ein Schauspieler mit einem verblüffend
breiten Rollenspektrum, als jemand, der sowohl zur Komödie
(Ghostbusters, What About Bob?), als auch zum Drama
(Lost in Translation, Broken Flowers, Get Low),
als auch zur Selbstparodie (Zombieland) und zu Genre-Hybriden
wie Groundhog Day oder Hyde Park on Hudson fähig ist.
Er verkörpert FDR ohne Makeup-Exzesse, seine Darstellung ist voller
Verve und Nuancen – wunderbar sein nächtlicher Dialog mit König
George, die mit grossem Abstand beste Szene des Films. Murrays
Performance ist eine himmelschreiende Verschwendung. Man wünschte
sich, ihn in gleicher Aufmachung in einem weniger belanglosen Film zu
sehen.
★★
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