Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Sprechen Kritiker von Paul Thomas Anderson, schreiben sie ihm gerne
die Rolle des grossen amerikanischen Autoren zu, des cineastischen
Erben von Twain, Fitzgerald und Faulkner. The Master, der neue
Film des Regisseurs, zeigt einmal mehr, dass in diesen Vergleichen
prätentiöses Auteurkino mit grosser Kunst verwechselt wird.
USA, 1950: Der psychisch labile Weltkriegsveteran Freddie Quell
(Joaquin Phoenix) versucht vergebens, sein Leben in geregelte Bahnen
zu lenken. Ziellos irrt er durchs Land, wobei ihm seine Wutausbrüche
und Alkohol-Eskapaden Stelle um Stelle kosten. Eines Abends findet er
sich auf der Jacht des charismatischen Autoren Lancaster Dodd (Philip
Seymour Hoffman) wieder, der ihn zu einer Schifffahrt von San
Francisco nach New York einlädt. Dodd führt zusammen mit seiner
Frau Peggy (Amy Adams) die esoterische Gruppierung "The Cause",
deren Mitglieder in Gesprächstherapien vergangene Leben aufarbeiten
und sich dadurch angeblich von Traumata befreien. Freddie ist
fasziniert von Dodd, genannt "Master", der wiederum Gefallen am
rast- und ruhelosen Herumtreiber findet und ihn unter seine Fittiche
nimmt.
Der 2012 verstorbene Filmkritiker Andrew Sarris prägte in seinem
grossen Werk The American Cinema, einer Evaluierung der
Regisseure, die das US-Kino mitgestaltet haben, den Begriff "Strained
Seriousness". Dieser, so Sarris, umschreibe "talentierte, aber
unstete Regisseure, die der Todsünde der Anmassung verfallen sind".
Ihre Filme seien "ambitioniert", würden aber ihre Grösse nicht
durch wahres Wachstum, sondern durch künstliches Aufblähen
erreichen. Auf kaum einen zeitgenössischen Regisseur passt diese
Beschreibung besser als auf Paul Thomas Anderson. Während Werke wie Boogie Nights oder Magnolia dank eines reichen Fundus an
illustren, manchmal sogar sympathischen Figuren überzeugen konnten,
fallierte There Will Be Blood wegen seiner Gefühlskälte und
der hemmungslos chargierenden Darsteller (vorab Daniel Day-Lewis und
Paul Dano). The Master scheitert aus nämlichen Gründen.
Auch hier verfolgt Anderson seinen Stil, die Narration nach der
Hälfte der Laufzeit mehr oder minder enden zu lassen und seine
Figuren im von ihm geschaffenen Handlungsrahmen treiben und
miteinander interagieren zu lassen. Dass dies funktionieren kann, hat
die Filmgeschichte zur Genüge bewiesen; doch The Master fehlen
die emotionale Zugkraft und die Dringlichkeit des Themas, welches die
Biografien John Steinbecks, Jason Robards' und des
Scientology-Gründers L. Ron Hubbard in sich vereint. Der Film ist
ein schwergewichtiges, statisches Monstrum, in dem sich
bedeutungsschwangere Bilder und Szenen scheinbar willkürlich mit
alltäglichen Belanglosigkeiten abwechseln.
Meister und Jünger: Freddie Quell (Joaquin Phoenix, rechts) findet
Halt in der esoterischen Sekte von Lancaster Dodd (Philip Seymour
Hoffman).
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Getragen wird das Ganze von zwei höchst unterschiedlichen
Darbietungen, deren schiere Wucht die ohnehin schon skizzenhaften
Nebenfiguren endgültig zur Staffage degradieren. Auf der einen Seite
steht der hervorragende Philip Seymour Hoffman, stets eine dominante
Leinwandpräsenz, der das zwielichtige Enigma des Lancaster Dodd
punktgenau interpretiert. Ihm gegenüber agiert Joaquin Phoenix,
dessen Manierismen ein Paradebeispiel für die berüchtigten
Auswüchse der Schauspielmethode nach Stanislavski und Strasberg
sind: Phoenix schreit, lallt und verzieht sein Gesicht im Glauben, so
die Figur Freddie Quell konturenreicher darstellen zu können.
Tatsächlich aber wirkt dieses frenetische Gebärdenspiel bestenfalls
aufgesetzt, mitunter geradezu lachhaft.
Die wahre Tragödie dieses mängelbehafteten cineastischen
Kunsthandwerks besteht darin, dass es den reichen Subtext von The
Master überschattet. So wie Terrence Malick in seinen Epen den
Weg der Natur dem der Gnade gegenüberstellt, so prallen hier zwei
Menschenbilder aufeinander. Der wilde, unberechenbare Freddie
vertritt jene animalische Seite des Menschen, welche "The Cause"
auszurotten versucht. Der Scharlatan Dodd hingegen brüstet sich
damit, in höheren Sphären zu schweben. Freddies triebgesteuerter
Lebensentwurf bewegt sich demnach näher an der Wirklichkeit als
Lancasters religionsorientierter, der leblosen Objekten eine grössere
Bedeutung andichtet – auch der Meister ist nur ein Sklave. Frei
ist, wer sich darauf einlässt. Kein Zweifel, The Master hat
etwas zu sagen, doch Paul Thomas Andersons Prätention hindert ihn
daran, sein Potential zu erfüllen.
★★
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