Mit ihrem Irakkrieg-Drama The Hurt Locker avancierte Kathryn Bigelow zur ersten weiblichen Gewinnerin des Regie-Oscars. Ihr neues Projekt, Zero Dark Thirty, ein packender Tatsachenbericht über die zehnjährige Suche nach Osama Bin Laden, ist grösser, ambitionierter und weitaus kontroverser.
Nach den islamistischen Terrorangriffen vom 11. September 2001,
welche fast 3000 Menschen das Leben kosteten und Amerika
traumatisierten, setzt die Regierung George W. Bushs alles daran, die
Drahtzieher der Anschläge zu fassen, allen voran Osama Bin Laden,
Gründer und Chef der verantwortlichen al-Qaida-Gruppierung. 2003
wird die CIA-Analystin Maya (Jessica Chastain) nach Pakistan
geschickt, wo sie aktiver an der Fahndung teilnehmen soll. Dazu
gehören auch Verhöre von Gefangenen mit folterähnlichen Methoden.
Während ihre Kollegen nach und nach die Hoffnung verlieren, den
Terrorfürsten je ausfindig zu machen, und sich darum bemühen,
weitere Anschläge zu verhindern, verfolgt Maya die Spur eines
geheimnisvollen Kuriers, der direkten Kontakt zu Bin Laden pflegen
soll.
Zero
Dark Thirty scheint auf den ersten Blick ein grosses Problem zu
haben: Jeder Zuschauer kennt das Ende. In der Nacht zum 2. Mai 2011
stürmten amerikanische Soldaten ein befestigtes Anwesen in der
reichen pakistanischen Stadt Abbottabad und töteten Bin Laden.
Tatsächlich fehlte der Rohfassung von Mark Boals Drehbuch dieser
Schluss. Doch nachdem Barack Obama die "Operation Neptune Spear"
abgesegnet hatte, sah er sich gezwungen, die erste Fassung zu
verwerfen und neu anzufangen. So ist Zero Dark Thirty – der
Titel bezieht sich auf die Uhrzeit 0.30 in der militärischen
Umgangssprache – nun weniger ein Film über die Kriege der USA, wie The Hurt Locker, sondern eher ein analytischer, mit
journalistischer Nüchternheit vorgetragener Thriller in der
Tradition von Alan J. Pakulas Watergate-Schlüsselwerk All the
President's Men.
CIA-Analystin Maya (Jessica Chastain) verbringt zehn Jahre ihres
Lebens mit der Suche nach Osama Bin Laden.
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Nicht nur die Nebendarsteller, darunter gestandene Schauspieler wie
Mark Duplass, Mark Strong und James Gandolfini, sondern sogar Boals
Hauptfigur, modelliert nach einer realen CIA-Agentin, treten dabei
oft in den Hintergrund, um der auf "Berichten aus erster Hand"
basierenden Handlung Platz zu machen. Gefühlskino sieht in der Tat
anders aus, doch Boal und Regisseurin Kathryn Bigelow erweisen sich
erneut – The Hurt Locker war ihre erste Kollaboration – als
perfekte Kombination. Er, ein ehemaliger Journalist, versteht es
hervorragend, Eckdaten der praktisch aussichtslosen
Bin-Laden-Schnitzeljagd zeitlich und dramaturgisch zu verbinden,
während sie das ohnehin schon fesselnde Skript virtuos zu filmischem
Leben erweckt. Allein die Erstürmung von Bin Ladens Festung,
grandios inszeniert, fast in Echtzeit gedreht, zeigt, warum Bigelow
zu den besten amerikanischen Filmemachern (geschlechtsneutral!) der
Gegenwart gehört.
Dieser Ruf bewahrte sie aber nicht vor der Kontroverse, welche Zero
Dark Thirty kurz nach seiner Veröffentlichung auslöste. "Faschistische" Aspekte wurden dem Film vorgeworfen; er
verherrliche Folterungen. Zwar sind politische Interpretationen
häufig sinnvoll und fast immer spannend; diese jedoch zielt
erschreckend weit an den Tatsachen vorbei. Boal und Bigelow eröffnen
ihren Film mit den erschütternden Telefonaten der Opfer von 9/11.
Die erste Szene danach zeigt, wie ein gefasster Terrorsympathisant
gefoltert wird. Schliesslich verrät dieser, was er weiss – als er
menschenwürdig an einem Tisch sitzt und von seinem Gegenüber Essen,
Trinken und Zigaretten angeboten bekommt. Der Film liefert keine
Antworten, sondern wirft Fragen auf: Ist diese Information wirklich
der Folter zuzuschreiben? Ist das Motiv, den Tod Unschuldiger zu
rächen, den Verlust von Menschlichkeit wirklich wert? Wie hoch war
der Preis der Jagd auf Osama Bin Laden? Es sind Fragen moralischen
Zwielichts, die der Ambiguität des Themas würdig sind. Zusammen mit
der filmischen Brillanz von Zero Dark Thirty bilden sie das
Rezept zu einem Meisterwerk.
★★★★★
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