Donnerstag, 2. Mai 2013

Paradies: Liebe

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Im ersten Teil seiner viel diskutierten Paradies-Trilogie begibt sich der österreichische Regisseur Ulrich Seidl nach Kenia und fördert Faszinierendes zutage: Liebe ist ein ungemütliches Kunstwerk, eine unbehagliche Satire auf das gestörte Verhältnis zwischen Europäern und Afrikanern.

Teresa (Margarethe Tiesel), 50 Jahre alt und vermutlich geschieden, beschliesst, sich einen Urlaub zu gönnen. Zusammen mit ihrer Freundin Inge (Inge Maux) fliegt sie in ein kenianisches Strand-Resort, wo neben Sonne, Sand und Palmen auch stramme junge Männer im Überfluss vorhanden sind. Während die einen am Strand Halsketten und Schnitzerein verhökern, stehen andere für Liebesabenteuer zur Verfügung. Von Inge ermutigt, lässt sich Teresa auf ein solches Treffen ein, findet an ihrem Partner allerdings keinen Gefallen. Doch dann lernt sie den zärtlichen Munga (Peter Kazungu) kennen, der sich in sie verliebt zu haben scheint – Falten und Fettpolstern zum Trotz. Ob dessen Zuneigung echt ist, muss sich aber erst noch weisen.

In Zeiten von Filesharing, Grossfernsehern und DVDs, welche weniger als ein Kinoeintritt kosten, ist es selten geworden, dass die Diskussion eines Films einen Verweis auf das Kinoerlebnis mit einschliesst. Paradies: Liebe bildet dabei eine überraschende Ausnahme, nicht etwa auf Grund besonders überwältigender Bilder, sondern wegen der Erfahrung, ihn gemeinsam mit anderen Menschen in einem abgedunkelten Raum zu sehen. Denn Ulrich Seidl (Hundstage) kennt kein Pardon und konfrontiert sein Publikum mit Szenen, deren Inhalt und Präsentation mitunter hochgradig problematische Reaktionen hervorrufen. Der Zuschauer wird geradezu dazu herausgefordert, über den scheinbar ganz normalen Rassismus zweier Österreicherinnen zu lachen, während am Anblick einer nackten 50-Jährigen (zumindest in der hier besprochenen Vorführung) Anstoss genommen wird.

Schon in der ersten Szene wird deutlich, wie gnadenlos weit Seidl seine Satire treibt: Eine kleine Gruppe von Erwachsenen mit Down-Syndrom vergnügt sich in einem für sie reservierten Boxauto-Betrieb. Zu plärrender Jahrmarkt-Musik fahren sie sich gegenseitig wortwörtlich an den Karren, gefilmt in frontalen Grossaufnahmen, einige fröhlich lachend, andere hinterhältig grinsend, alle offenkundig vergnügt, von Aufseherin Teresa wohlwollend beobachtet. Zunächst mag die Szene wie simple, wenn auch gelungene, Provokation wirken. Ihre wahre Tragweite entfaltet sie jedoch erst dann, als Teresa auf dieselbe Art und Weise die um sie buhlenden Kenianer belächelt: In den Augen der (Sex-)Touristin stehen diese auf der gleichen Umgangsstufe wie ihre pflegebedürftigen Landsleute.

 Der Traum vom Glück: Teresa (Margarethe Tiesel) sucht in Kenia nach dem perfekten Liebesabenteuer.
© Praesens Film
Entsprechend ist der europäisch-afrikanische Dialog in Paradies: Liebe ein von Grund auf korrumpierter. Man mag sich mit einem Gemisch aus Deutsch, Englisch und Swahili verständigen können, redet aber immer nur an sich vorbei; hier gedeiht der blanke, unverhohlene, von stereotypen schwarzen Spassmachern und segregierten Stränden bekräftigte Rassismus, dort der zynische Betrug. Messerscharf seziert Seidl die Sozioökonomie des Tourismus – für ihn nur eine verwässerte Form des Imperialismus –, der beide Parteien zum moralischen Bankrott verführt.

Dabei besteht der grösste Tabubruch seines leider etwas zu lang geratenen Filmes wohl weniger darin, diese Vorgänge aufzuzeigen, sondern dem Ganzen mit Teresa eine durchaus nachvollziehbare, wenngleich auch nicht gänzlich sympathische, Protagonistin ins Zentrum zu stellen: Wie Bill Murray in Lost in Translation ist sie gestrandet in einem Kulturkreis, der sie gleichermassen fasziniert, verwirrt und verängstigt – und letztlich, mit der Erkenntnis, dass auch hier der Traum der Liebe eine naive Illusion bleibt, auch enttäuscht. Diese Tragödie unter den Titel "Paradies" zu stellen, ist Seidls ironisches Meisterstück.

★★★★

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