Im ersten Teil seiner viel diskutierten Paradies-Trilogie begibt sich der österreichische Regisseur Ulrich Seidl nach Kenia und fördert Faszinierendes zutage: Liebe ist ein ungemütliches Kunstwerk, eine unbehagliche Satire auf das gestörte Verhältnis zwischen Europäern und Afrikanern.
Teresa (Margarethe Tiesel), 50 Jahre alt und vermutlich geschieden,
beschliesst, sich einen Urlaub zu gönnen. Zusammen mit ihrer
Freundin Inge (Inge Maux) fliegt sie in ein kenianisches
Strand-Resort, wo neben Sonne, Sand und Palmen auch stramme junge
Männer im Überfluss vorhanden sind. Während die einen am Strand
Halsketten und Schnitzerein verhökern, stehen andere für
Liebesabenteuer zur Verfügung. Von Inge ermutigt, lässt sich Teresa
auf ein solches Treffen ein, findet an ihrem Partner allerdings
keinen Gefallen. Doch dann lernt sie den zärtlichen Munga (Peter
Kazungu) kennen, der sich in sie verliebt zu haben scheint – Falten
und Fettpolstern zum Trotz. Ob dessen Zuneigung echt ist, muss sich
aber erst noch weisen.
In Zeiten von Filesharing, Grossfernsehern und DVDs, welche weniger
als ein Kinoeintritt kosten, ist es selten geworden, dass die
Diskussion eines Films einen Verweis auf das Kinoerlebnis mit
einschliesst. Paradies: Liebe bildet dabei eine überraschende
Ausnahme, nicht etwa auf Grund besonders überwältigender Bilder,
sondern wegen der Erfahrung, ihn gemeinsam mit anderen Menschen in
einem abgedunkelten Raum zu sehen. Denn Ulrich Seidl (Hundstage)
kennt kein Pardon und konfrontiert sein Publikum mit Szenen, deren
Inhalt und Präsentation mitunter hochgradig problematische
Reaktionen hervorrufen. Der Zuschauer wird geradezu dazu
herausgefordert, über den scheinbar ganz normalen Rassismus zweier
Österreicherinnen zu lachen, während am Anblick einer nackten
50-Jährigen (zumindest in der hier besprochenen Vorführung) Anstoss
genommen wird.
Schon in der ersten Szene wird deutlich, wie gnadenlos weit Seidl
seine Satire treibt: Eine kleine Gruppe von Erwachsenen mit
Down-Syndrom vergnügt sich in einem für sie reservierten
Boxauto-Betrieb. Zu plärrender Jahrmarkt-Musik fahren sie sich
gegenseitig wortwörtlich an den Karren, gefilmt in frontalen
Grossaufnahmen, einige fröhlich lachend, andere hinterhältig
grinsend, alle offenkundig vergnügt, von Aufseherin Teresa
wohlwollend beobachtet. Zunächst mag die Szene wie simple, wenn auch
gelungene, Provokation wirken. Ihre wahre Tragweite entfaltet sie
jedoch erst dann, als Teresa auf dieselbe Art und Weise die um sie
buhlenden Kenianer belächelt: In den Augen der (Sex-)Touristin
stehen diese auf der gleichen Umgangsstufe wie ihre pflegebedürftigen
Landsleute.
Der Traum vom Glück: Teresa (Margarethe Tiesel) sucht in Kenia nach
dem perfekten Liebesabenteuer.
© Praesens Film
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Entsprechend ist der europäisch-afrikanische Dialog in Paradies:
Liebe ein von Grund auf korrumpierter. Man mag sich mit einem
Gemisch aus Deutsch, Englisch und Swahili verständigen können,
redet aber immer nur an sich vorbei; hier gedeiht der blanke,
unverhohlene, von stereotypen schwarzen Spassmachern und segregierten
Stränden bekräftigte Rassismus, dort der zynische Betrug.
Messerscharf seziert Seidl die Sozioökonomie des Tourismus – für
ihn nur eine verwässerte Form des Imperialismus –, der beide
Parteien zum moralischen Bankrott verführt.
Dabei besteht der grösste Tabubruch seines leider etwas zu lang
geratenen Filmes wohl weniger darin, diese Vorgänge aufzuzeigen,
sondern dem Ganzen mit Teresa eine durchaus nachvollziehbare,
wenngleich auch nicht gänzlich sympathische, Protagonistin ins
Zentrum zu stellen: Wie Bill Murray in Lost in Translation ist
sie gestrandet in einem Kulturkreis, der sie gleichermassen
fasziniert, verwirrt und verängstigt – und letztlich, mit der
Erkenntnis, dass auch hier der Traum der Liebe eine naive Illusion
bleibt, auch enttäuscht. Diese Tragödie unter den Titel "Paradies" zu stellen, ist Seidls ironisches Meisterstück.
★★★★
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