In diesem greift Soderbergh ein Thema auf, das sich, wenn auch in
stets variierender Form, wie ein roter Faden durch seine Filmografie
zieht, vom vierfachen Oscargewinner Traffic bis zum kritisch
bejubelten Spätwerk Contagion: das intime Verhältnis des
Menschen zu seinen "Drugs", welche er in der Hoffnung
konsumiert, sein Wohlbefinden erzwingen zu können. Als Ziel hat sich
Soderbergh diesmal die Pharmaindustrie ausgesucht. Emily (Rooney
Mara) wird kurz nach der Haftentlassung ihres Mannes Martin (Channing
Tatum) erstmals seit Jahren wieder von einer Depression heimgesucht.
Sie kann sich nicht mehr konzentrieren, sie verliert jeglichen
Optimismus, sie baut absichtlich einen Autounfall. Als sie sich im
Krankenhaus davon erholt, lernt sie den Psychiater Dr. Jonathan Banks
(Jude Law) kennen, der ihr eine Behandlung anbietet und ihr, nach
einer Besprechung mit Emilys ehemaliger Therapeutin (eine allzu
offensichtlich diabolische Catherine Zeta-Jones), eine Tablette in
der Testphase verschreibt. Eines Nachts ersticht die schlafwandelnde
Emily jedoch Martin, woraufhin Banks vom Gericht als ihr persönlicher
Berater ernannt wird und beginnt, die Nebenwirkungen des neuartigen
Medikaments unter die Lupe zu nehmen.
Sollte sich Soderberghs Filmemacher-Vorruhestand als dauerhaft
erweisen, dann verlöre das zeitgenössische Hollywood unzweifelhaft
eine visionäre Kraft – auf dem Regiestuhl wie auch hinter der
Kamera. Soderbergh, der in Side Effects einmal mehr unter dem
Pseudonym Peter Andrews auch als Kameramann fungiert, propagiert
einen radikal reduzierten Stil, in dem visuelle Opulenz der totalen
Funktionalität geopfert wird. Wie einst im "goldenen Zeitalter"
des amerikanischen Kinos hat jedes Bild einen klar zugewiesenen Platz
in der Handlung; jede der lyrisch-karg vorgetragenen Einstellungen
dient einem genau festgelegten Zweck. Stilistische Schnörkel wie
Weichzeichner, speziell hervorgehobenes Sounddesign oder ausgefallene
Aufnahmewinkel werden mit klinischer Präzision eingesetzt.
Doktor und Patient: Jonathan Banks (Jude Law) verschreibt der depressiven Emily (Rooney Mara) ein zweifelhaftes Medikament. © Ascot Elite |
Mit dieser bestechenden Schlichtheit, dieser gnadenlosen Effizienz,
die immer wieder die Filme eines Robert Aldrich in Erinnerung ruft,
erzählt Soderbergh eine packende Geschichte, die wohl auch das
Interesse von Regisseuren wie Alfred Hitchcock oder Henri-Georges
Clouzot geweckt hätte. War David O. Russells Silver Linings
Playbook noch ein vergleichsweise leichtherziger Beitrag zu den
mit Psychopharmaka übersättigten USA, malt Side Effects ein
düsteres Porträt einer Gesellschaft, die es verlernt hat, mit
schlechten Zeiten umzugehen. Antidepressiva und Betablocker gehören
hier zur täglichen Diät eines durchschnittlichen New Yorkers;
Freunde und Bekannte empfehlen sich gegenseitig ihre bevorzugten
Medikamente; der Satz "I've struggled with depression"
gehört zum Smalltalk-Standardrepertoire; die Hochfinanz regelt ihre
persönlichen Wehwehchen mit Tabletten, während sie sich aus den ihr
drohenden Gefängnisstrafen frei kauft. Geld und Pharmazie, so
Soderbergh, sind das Öl der amerikanischen Wirtschaftsmaschine –
und damit auch des amerikanischen Alltags.
Sonderlich subtil mag das Ganze zwar nicht aufgezogen sein, doch
Soderberghs inszenatorischer Virtuosität ist es zu verdanken, dass
Side Effects seine Spannung fast durchgehend aufrechterhalten
kann. Davon profitiert auch das überraschend profane, wenngleich
ungemein komplex angelegte, Schlussdrittel, in welchem sich Aldrich
auf einmal in Alomdóvar zu verwandeln scheint und der kühle
Psychothriller einem fast schon grotesk überkandidelten Drama Platz
macht. Die bis zu diesem Zeitpunkt umsichtig gestaltete Dramaturgie
wird mit homosexuellen Intrigen, aufwändigen Plänen und finsteren
Machenschaften an der Wall Street überspannt und bricht
schlussendlich unter dem schieren Gewicht dieser Vielzahl an Themen,
Motiven und Figurenentwicklungen zusammen. Dadurch wird dieser selbst
gewählte Abgesang zwar schriller und womöglich sogar einprägsamer,
doch man wünschte sich, Soderbergh hätte sich mit einem Film
verabschiedet, der von seinen Qualitäten nicht gerettet, sondern
veredelt wird. So bleibt die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr.
★★★
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