Donnerstag, 13. Juni 2013

Before Midnight

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

18 Jahre ist es her, seit Richard Linklaters Before-Reihe ihren Anfang nahm. Before Midnight, der nunmehr dritte Teil, zeigt, wie die beiden Hauptfiguren, die jungen Romantiker von einst, mittlerweile in der Realität angekommen sind. Der Klasse der Franchise tut dies keinen Abbruch.

Am Anfang war der Streit. Noch bevor das Kinopublikum in Before Sunrise (1995) mit Jesse (Ethan Hawke) und Céline (Julie Delpy) bekannt gemacht wurde, bevor die beiden auch nur ein einziges Wort miteinander wechseln konnten, bevor die "definierende Film-Liebesgeschichte einer Generation" (Kritiker Peter Travers) überhaupt ihren Anfang nahm, antizipierte Regisseur Richard Linklater bereits das Ende der Beziehung: Im Zug von Budapest nach Paris eskaliert der Streit eines österreichischen Ehepaars; Mann und Frau schreien sich an, bis sie schliesslich entnervt den Wagon verlässt. Zu diesem Zeitpunkt hat die 23-jährige Céline jedoch schon ihren Platz gewechselt und ist mit Jesse, einem gleichaltrigen amerikanischen Touristen, ins Gespräch gekommen. Der Rest ist Geschichte: Die beiden verliebten sich, verbrachten einen unvergesslichen Abend voller Gespräche in Wien und trafen sich neun Jahre später in Paris (Before Sunset, 2004) wieder.

Inzwischen sind weitere neun Jahre vergangen und die beiden sind den zankenden Österreichern ein kleines Stück näher gekommen. Jesse hat sich von seiner ersten Frau scheiden lassen und ist nach Paris zu Céline gezogen (geheiratet haben sie nicht), wo er das Leben eines erfolgreichen Schriftstellers geniesst, während sie für alternative Energie lobbyiert und eine Anstellung beim Staat anstrebt. Ihre Sommerferien verbringen sie mit ihren gemeinsamen Zwillingstöchtern sowie Hank, Jesses Sohn aus erster Ehe, auf dem Anwesen eines befreundeten Autors im Süden Griechenlands, wo sie sich ausgedehnten Diskursen und Debatten hingeben: Jesse sorgt sich darum, Hank nicht nahe genug zu stehen, derweil Céline befürchtet, in die USA umziehen und ihre Heimat und ihr geregeltes Leben aufgeben zu müssen.

18 Jahre nach ihrem ersten Treffen sehen sich Jesse (Ethan Hawke) und Céline (Julie Delpy) mit den Tücken des Beziehungsalltags konfrontiert.
© Rialto Film AG
Diese Gespräche über Vorstellungen von der gemeinsamen Zukunft ("If you're looking for true love, this is it") und verpasste Chancen, über den Stand der Liebe im digitalen Zeitalter und die Idee der ewigen Liebe gipfeln schliesslich in einem handfesten Streit, wie ihn die Before-Reihe noch nicht gesehen hat. Begonnen hat der Disput früh in Before Midnight, richtig bemerkbar macht er sich spätestens während eines Abendessens mit Freunden, wo jeder am Tisch seine Auffassung von wahrer Liebe vorträgt – und wo die Franchise dem gedanklichen Konstrukt erstmals gefährlich nahe kommt. Was folgt, erweist sich jedoch schnell als Höhepunkt aller drei Teile: Nach einem harmonischen Spaziergang durch die griechische Landschaft geraten Céline und Jesse aneinander; sie stehen in entgegengesetzten Ecken eines Hotelzimmers, getrennt durch den Schnitt – ein scharfer Kontrast zu jenen ungeschnittenen Dialogen, die sie führten, als sie tranceartig-entrückt durch Wien und Paris spazierten. Die Breitseiten schmerzen, der gallige Humor sticht; Ethan Hawke und Julie Delpy, welche ihre Figuren nach drei Filmen längst nicht mehr spielen, sondern leben, laufen zu Höchstform auf.

Kann die Liebe zwischen zwei Menschen Bestand haben, wenn sich diese in- und auswendig kennen? Überlebt sie den Alltag mit dessen zahlreichen und banalen Unannehmlichkeiten? Before Sunrise war ein euphorischer Aufsteller, Before Sunset ein scharfsinniges Psychogramm zweier Erwachsener am Scheideweg, Before Midnight ein virtuoses, in seiner ernüchternden Offenheit herzzerreissendes, aber keinesfalls hoffnungsloses Porträt zweier Menschen, die sich allen Widrigkeiten und Veränderungen zum Trotz zu lieben versuchen. Man darf gespannt sein über den Stand dieser Beziehung in weiteren neun Jahren. Missen möchte man einen Teil vier nicht.

★★★★★

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