Samstag, 29. Juni 2013

Monsters University

Wie fast jeder Film von Pixar beginnt auch Monsters University, das Prequel zu Monsters, Inc. von 2001, einem approbierten "Klassiker" der Studio-Historie, mit einem separat produzierten Kurzfilm. The Blue Umbrella heisst der Nachfolger von kleinformatigen Meisterwerken wie Geri's Game, For the Birds, Presto oder natürlich Luxo Jr., die Geschichte der kleinen Lampe, die bis heute das Firmenlogo ziert. Zu Letzterem, dem eigentlichen Ausgangspunkt der Pixar-Erfolgsgeschichte, kehrt The Blue Umbrella denn auch zurück: Eines regnerischen Abends treffen sich ein blauer und ein roter Regenschirm, verlieben sich und werden anschliessend durch Wind, Wetter und die Bewegungen ihrer Besitzer wieder voneinander getrennt.

Hier treffen Animationsfilm-Welten aufeinander. Das graue Grossstadt-Setting ist fotorealistischer als alles, was Pixar in der Vergangenheit aus Bits und Bytes auf die Leinwand gezaubert hat. Die Figuren jedoch zeichnen sich durch totale Reduktion aus: Die Regenschirme werden durch einige wenige Punkte und Linien – Augen und Mund – charakterisiert, ihre städtischen Mitstreiter, die ihnen dabei helfen, wieder zusammen zu finden, sind unveränderte Strassenrequisiten: Regenrinnen, Briefkästen, Gullydeckel und U-Bahn-Lüftungen erhalten durch Beleuchtung und minimale Bewegungen eine Persönlichkeit; Schrauben werden zu Augen, Öffnungen zu Mündern. Es ist eine wunderschöne Bestätigung von Pixars Philosophie: Nicht die Animation erzeugt Film-Magie, sondern die Geschichte, die erzählt wird, und die Figuren, von der sie bevölkert wird. The Blue Umbrella geht zurück zu den Wurzeln des Genres: Lebloses wird "animiert"; die vermittelten Gefühle haben Vorrang vor der Bildqualität der Pixelmasse.

Es ist ein wichtiger Film, vor allem mit Blick auf den Zeitpunkt seines Erscheinens. Nach dem durchschlagenden Erfolg von Toy Story 3, der Pixar den vierten Oscar für den besten Animationsfilm in Folge einbrachte (eine Kategorie, zu deren Schaffung der originale Toy Story massgeblich beitrug), fiel das Studio, so die Meinung zahlreicher Kritiker, in ein noch nie da gewesenes kreatives Loch. Cars 2 liess die Kritiker kalt, während Brave zwar zu gefallen wusste, für viele aber den typischen "Pixar-Touch" vermissen liess. Dass es sich nun bei Monsters University, dem darauf folgenden Film, um eine weitere Fortsetzung handelte, irritierte das Publikum weiter. Insofern kann The Blue Umbrella auch als eine Selbst-Ermahnung gelesen werden, als eine Erinnerung daran, wie simpel grosse Trickfilm-Kunst sein kann.

Und diese hat Pixar in den vergangenen 20 Jahren mit einer atemberaubenden Regelmässigkeit produziert, dass es mit jedem neuen Eintrag schwieriger wird, ein Publikum zufrieden zu stellen, das mit dem Anspruch ins Kino geht, einen neuen The Incredibles, einen neuen Ratatouille, einen neuen WALL-E, einen neuen Up, eine neue Toy Story vorgesetzt zu bekommen. Natürlich müssen sich neue Projekte auch im Kontext dieser imposanten Filmografie behaupten können, doch sie pauschal dafür zu verurteilen, dass sie sich nicht mit den Werken John Lasseters, Andrew Stantons, Lee Unkrichs und Brad Birds messen können, wird ihnen nicht gerecht.

Heiteres Campus-Leben: Mike (oben, Stimme: Billy Crystal) will sich mit harter Arbeit gegen den faulen, aber talentierten Sulley (unten, John Goodman) als Schrecker beweisen.
© Disney
Auch Monsters University, entstanden unter der Regie von Quasi-Neuling Dan Scanlon, wird nicht als Höhepunkt von Pixars Œuvre in die Annalen eingehen. Zurückführen lässt sich dies primär auf jene (wenigen) Momente, in denen die studioübliche Verspieltheit ins allzu Kindliche übergeht, sowie auf die reissbrettartige Dramaturgie, der anzumerken ist, dass die Autoren Scanlon, Daniel Gerson (Co-Autor von Monsters, Inc.) und Robert L. Baird (Skript-Überarbeiter bei Monsters, Inc.) gewisse Konfliktsituationen erzwingen mussten.

Zwar ist die Grundidee des Films zweifelsohne plausibel: Er spielt Jahre vor den Ereignissen in Monsters, Inc., in einer Zeit also, in der die Monster-Dimension ihre Energie noch aus Kinderschreien gewinnt, und versetzt die bekannten Helden, den einäugigen Grünling Mike Wazowski (Stimme: Billy Crystal) und das grosse, haarige Ungeheuer James P. "Sulley" Sullivan (John Goodman) an die renommierte "Monster University" (ein veritables Monster-Hogwarts im Design eines Ivy-League-College), an deren Schreck-Fakultät, geleitet von Dekanin Hardscrabble (die perfekt besetzte Helen Mirren), sich die beiden in ihrem ersten Semester einen erbitterten Konkurrenzkampf liefern. Mike durchforstet sämtliche Bücher, um für sein harmloses Aussehen zu kompensieren, während Sulley sich auf sein Talent und seine berühmte Familie verlässt.

Entsprechend widmet sich diese erste Hälfte im Stile einer Fernsehepisode jenen Möglichkeiten, die ein solches Szenario bietet. In jedes Tableau werden so viele ausgefallene Monster wie möglich projiziert – Jim Hensons Muppets scheinen allgegenwärtig –, der Film erlaubt sich einige subtile Anspielungen auf die universitäre Nerd-Kultur (The Lord of the Rings, Star Wars und The Simpsons, um nur drei zu nennen), Erzbösewicht Randall Boggs (ein köstlicher, sich vom Aussenseiter zum Grobian entwickelnder Steve Buscemi) bekommt einen Hintergrund, allerlei wohlbekannte Stereotypen werden zitiert und teilweise uminterpretiert.

Um nach einem Vorfall wieder ins Schreck-Programm aufgenommen zu werden, sehen sich Mike und Sulley gezwungen, mit einer unbeliebten Studentenverbindung zu einem Schreck-Wettbewerb anzutreten.
© Disney
Um jedoch im zweiten Teil den Einsatz zu erhöhen, dichtet der Film dem Schreck-Wettbewerb, an dem Sulley und Mike, die inzwischen aus der Schreck-Fakultät ausgeschlossen wurden, im Verbund mit der unbeliebtesten Studentenverbindung teilnehmen, eine äusserst fadenscheinige Klausel an, nach der die beiden abgewiesenen Erschrecker in spe der Universität verwiesen werden, wenn sie aus dem Wettstreit ausscheiden. Sieht man allerdings von diesem dünnen Stück Plot ab, halten die zweiten 45 Minuten von Monsters University einige angenehme Überraschungen bereit. Der Erzählfluss wird stringenter, der Humor bissiger, derweil die einzelnen Aufgaben der Schreck-Olympiade die Fantasie von Autoren und Animationsverantwortliche gleichermassen inspiriert zu haben scheinen.

Schliesslich gelingt es Scanlons Film sogar, mit einem überraschenden Schlussakt, der wieder einmal zeigt, dass sich Pixar nicht mit einfachen Lösungen begnügt, den mitreissenden, aber von zahlreichen Drehbuch-Neufassungen gehemmten Brave zu übertreffen. Dem unausweichlichen Ausgang der Schreck-Spiele folgt eine lange, nüchterne (aber nichtsdestoweniger höchst unterhaltsame) Passage, die, fest verankert auf dem Boden der Tatsachen, den Einsatz tatsächlich erhöht und mit durch und durch überzeugender Figurenzeichnung und -entwicklung die Voraussetzungen für Monsters, Inc. schafft.

Dass sich Monsters University, wie bisher nur wenige andere Filme von Pixar, am Ende (das sich, sprechenderweise, überwiegend in der Menschenwelt abspielt) zur sozialen Realität äussert, gerät darob fast zur Nebensache. Doch genau betrachtet, wird hier die hoffnungsvolle, ja utopische Vision einer wahren Meritokratie gefeiert, in der Talent und harte Arbeit belohnt werden. Man kann seine Träume erfüllen, sagt der Film, zur Not auch ohne akademische Ausbildung – eine starke Botschaft des Trostes in einer Zeit, in der angesichts der angespannten Wirtschaftslage viele amerikanische Studenten ihre College-Schulden nicht mehr bezahlen können und somit die schmerzliche Möglichkeit ins Auge fassen müssen, ihre universitäre Laufbahn aufzugeben.

★★★★

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