Nach seiner Abrechnung mit dem europäischen Sextourismus nimmt sich
Ulrich Seidl im Mittelteil seiner nach den drei theologischen
Tugenden benannten Paradies-Trilogie die Religion zur Brust: Glaube eckt mit der lakonisch-provokativen Darstellung einer
katholischen Fundamentalistin an.
Während ihre Schwester in Kenia nach dem perfekten Liebesabenteuer
sucht (siehe Paradies: Liebe), verbringt Anna Maria (Maria
Hofstätter – hervorragend) ihren Sommerurlaub im heimischen Wien.
Ihre freien Wochen nutzt die streng gläubige Katholikin zum Gebet,
zur Selbstkasteiung und zur Missionierung aus Leidenschaft: "Ungläubigen" schenkt sie Rosenkränze und leiht ihnen
Marienstatuen aus. Doch ihr Glaube wird mit der Rückkehr ihres seit
zwei Jahren verschwundenen Ehemannes Nabil (Nabil Saleh –
hervorragend), einem an den Rollstuhl gefesselten Muslim, auf eine
harte Probe gestellt, pocht er doch auf seine Rolle als Herr des
Hauses.
Dass ein derartiges Szenario irritiert, liegt auf der Hand; dass sich
manche Kinogänger allzu hart angegangen fühlen, ist angesichts von
Seidls vielschichtiger Provokation nicht überraschend. Wie schon Liebe wird auch Paradies: Glaube im Kino zu teils
lautstarken Protesten von Seiten des Publikums führen. Niemals aber
macht der Autor den Fehler, seine Figuren zu blossen Statthaltern
ihrer Religionen zu degradieren; niemals verteufelt er sie. Für ihn
sind Anna Maria und Nabil zwei verlorene, fehlgeleitete Seelen,
welche das Heil im Glauben suchen, was ein harmonisches Zusammenleben
letztlich verunmöglicht. Praktisch jede gemeinsame Szene der beiden
endet in einem handfest geführten Konflikt; Zärtlichkeit, wenn sie
denn stattfindet, hält nicht lange an. So wird der Kampf der
Religionen zum gewöhnlichen Ehekrach uminterpretiert.
Der Fokus von Paradies: Glaube liegt indes eindeutig auf Anna
Maria. Alte Protestschilder, Zeugnisse längst verlorener Schlachten
("Der Fernseher ist der grosse Verführer"), schmücken ihr
Schlafzimmer. Anderswo prangen Ikonen und Kruzifixe in allen Grössen
– eines davon wandert im kontroversesten (und unglaubwürdigsten)
Moment des Films unter ihre Bettdecke. Zwar verzichtet Seidl, dessen
Inszenierung sich wie gewohnt durch schnörkellose Geradlinigkeit und
gnadenlose Direktheit auszeichnet, auf eine explizite
Pathologisierung; doch es ist offensichtlich, dass Anna Marias Glaube
gleichzeitig Symptom und Ventil tiefer liegender psychischer Probleme
ist. Ihre Verehrung Jesu zeugt von unterdrückten sexuellen Fantasien
und vielleicht sogar einer manisch-depressiven Störung. Religion, so
Seidl, mag nicht grundsätzlich verrückt sein, doch sie bietet
potentiell gefährdeten Menschen einen Zufluchtsort.
Eine Prüfung Gottes? Anna Maria (Maria Hofstätter) wird von der
Rückkehr ihres verschwundenen Gatten (Nabil Saleh) überrascht.
© Praesens Film
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In dieser Idee findet der Film durchaus Humor, etwa wenn seine
Protagonistin an ein säkulares Rentnerpaar oder einen Messie gerät.
Doch dass Seidl der Glaube einer nur scheinbar friedfertigen
Wehr-Christin wie Anna Maria suspekt ist, zeigt seine Darstellung
eines zunehmend irrelevanten Katholizismus, in dem die radikalen
Strömungen wieder erstarken: Auf Annäherungsversuche des
muslimischen Nabil reagiert Anna Maria mit Schlägen; mit ihrer
Missionierung versucht sie, Immigranten für ihre Sache zu gewinnen;
derweil sich ihr erzkonservativer Bet-Zirkel unter den Augen stummer
Jesus- und Maria-Bildnisse auf nationalsozialistische Terminologie
beruft ("Wir sind die Sturmtruppe der Kirche"). Kann die Welt vor
dieser Religion noch gerettet werden?, scheint Seidl fragen zu
wollen. Wäre das nicht ein Schritt in Richtung Paradies?
★★★★
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