Warnung:
Diese Kritik verrät eine Plot-Wendung.
Kunst,
wie auch Geschichtsschreibung, war lange Jahre etwas, was dem
afrikanischen Kontinent zugefügt anstatt von ihm initiiert wurde.
Selbst nach dem Niedergang der grossen Kolonialimperien und der
Emanzipation der indigenen Kultur – etwa durch Autoren wie Chinua
Achebe oder Filmemacher wie Ousmane Sembène – blieb der Afrikaner
das Objekt, die Sehenswürdigkeit des kolonialistisch-imperialistisch
geprägten Europäers. Ein Umdenken mag seither stattgefunden haben,
doch noch immer scheint der westlich-abendländische Blick von einer
Dichotomie beherrscht zu sein: Afrika ist entweder ein Ort der
flächendeckenden humanitären Krise (Blood
Diamond,
Lord of War)
oder
ein anachronistisches, verwunschenes Eden (Out
of Africa).
An
diesem Punkt setzt Ulrich Köhler, ein wenig bekannter Vertreter der
Berliner Schule, mit Schlafkrankheit
an, seinem dritten Langspielfilm, für den er 2011 auf der Berlinale
den Preis für die beste Regie verliehen bekam. Das postkolonial
angehauchte Drama geht vom erfrischend nüchternen Standpunkt aus,
dass auch auf dem schwarzen Kontinent der Alltag existiert, dass sich
hinter den Nachrichten über politische Instabilität im Norden,
unaufhörliche Gewalt im Süden und Armut in jeder Ecke ein Afrika
verbirgt, in dem Menschen langweilige Büroberufe ausüben,
China-Restaurants besuchen und aus den Radios die gleiche Musik
schallt, wie sie auch in New York und London zu hören ist.
Trotzdem ist der Arzt Ebbo Velten (Pierre Bokma) immer noch
begeistert von der "Ursprünglichkeit" seiner derzeitigen
Heimat Kamerun. Dort wohnt er mit seiner Frau Vera (Jenny Schily) in
der Hauptstadt Yaoundé und leitet ein Projekt zur Eindämmung der
Schlafkrankheit, die angeblich in der Provinz grassiert. Mit seinen
Kollegen versteht er sich blendend – obwohl ihm sein Freund, der
Geschäftsmann Gaspard Signac (Hippolyte Girardot), ständig
zweifelhafte Angebote unterbreitet –, sein Beruf fällt ihm leicht,
er geniesst die Einfachheit des Lebens, die ihm sein Status in einem
Entwicklungsland erlaubt. Doch das Glück hat nicht Bestand: Um näher
bei der gemeinsamen Tochter zu sein, die in Deutschland ein Internat
besucht, drängt Vera Ebbo dazu, nach Europa zurückzukehren, worzu
er letztendlich schweren Herzens einwilligt.
Dieser
erste Teil des Films lebt von seinem dezent ironischen Kommentar auf
jene naive Romantik, von der Auswärtige jahrhundertelang ergriffen
wurden, als sie erstmals ihren Fuss auf Afrika setzten.
Schlafkrankheit
beginnt
als Darstellung eines Kolonialisten, Ebbo, der sich, wie Robert
Redford in Out of
Africa,
an die Vorgänge im "eroberten" Land gewöhnt und sogar
angepasst hat und sich kein Leben mehr ohne diese Eigenarten
vorstellen kann. Wenn er nachts von bewaffneten Militärs angehalten
wird, stutzt er nicht mehr; bieten sie ihm an, ihn gegen ein kleines
Entgelt durchzuwinken, obwohl seine Tochter ihren Pass nicht finden
kann, weigert er sich; schlussendlich handelt er sein Gegenüber,
einen Hauptmann, darauf herunter, ihn in die Stadt mitzunehmen. Dem
Zuschauer jedoch bleibt die Magie, die Ebbo in Kamerun zu sehen
scheint, verborgen. Yaoundé ist eine Grossstadt wie jede andere:
dichter Verkehr, Hochhäuser, reichere und ärmere Nachbarschaften.
Gefangen im Paradies: Dr. Ebbo Velten (Pierre Bokma) will seine Frau (Jenny Schily) davon überzeugen, in Kamerun zu bleiben. © cineworx |
Diesen
Blick teilt auch Dr. Alex Nzila (Jean-Christophe Folly), ein
kongolesischstämmiger Franzose, der drei Jahre später Ebbos Arbeit
für die Weltgesundheitsorganisation evaluieren soll, in der
entsprechenden Klinik aber keinen Dr. Velten, sondern nur eine
einzige Schlafkrankheit-Patientin sowie eine hochschwangere Frau
vorfindet, deren Wehen soeben eingesetzt haben. Anders als Ebbo, der
es zumindest anfänglich geschafft hat, sich als weisser
Mitteleuropäer im Herzen Afrikas zu integrieren, ist Alex überall
ein Fremder: In Frankreich, dem Land, in dem er geboren und
aufgewachsen ist, behandeln ihn Kollegen und Klienten wie eine
Koryphäe für afrikanische Fragen; in Kamerun schlagen ihm
antikongolesische Vorurteile und Spott gegen ihn als ahnungslosen
französischen Touristen entgegen.
Wie
Queer-Theoretiker fixe Geschlechtergrenzen anfechten, widersetzt sich
Ulrich Köhler der Auffassung, geografisch-kulturelle Identitäten
könnten klar definiert werden, besonders nach einem halben
Jahrhundert postkolonialer Entwicklung. Im Bereich der
Figurenkonstellation ist Schlafkrankheit
ein spannendes Traktat über die trügerische Aussagekraft von
Hautfarbe und Herkunft. Der homosexuelle, an die Annehmlichkeiten
westlicher Industriestaaten gewöhnte Alex ist von der
Laissez-faire-Attitüde seiner Gastgeber im kamerunischen Busch
ebenso überfordert wie Ebbo im wohlgeordneten Europa.
Doch
auch Velten ist drei Jahre nach seinem Entschluss, Afrika zu
verlassen, auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet. Frau und
Tochter hat er in Deutschland zurückgelassen und durch eine neue
Familie ersetzt – die schwangere Frau, die Alex erfolglos zu
behandeln versucht, ist seine Frau, ihr schliesslich per
Kaiserschnitt geborenes Kind sein Sohn. Sein blauäugiger
Enthusiasmus für die afrikanische "Kolonie" ist dem
Überdruss über die Forderungen seiner neuen Sippe gewichen. Das
Schicksal des imperialistischen Romantikers (verewigt durch den
Protagonisten aus William Somerset Maughams Kurzgeschichte The
Force of Circumstance)
hat nun auch ihn ereilt.
Der französische Arzt Dr. Alex Nzila (Jean-Christophe Folly) soll im kamerunischen Busch Ebbo Veltens Arbeit evaluieren. © cineworx |
Die
einheimische Zweitfamilie bleibt indes nicht der einzige Topos
kolonialer Literatur, auf welchen Köhler in seinem postkolonialen
Kunstfilm eingeht: Am Ende lassen nämlich Ebbo und Alex die
Zivilisation – erst Yaoundé, dann die leere Dschungelklinik –
ganz hinter sich und fallen in die festgefügten Rollen der
Imperialismus-Ära zurück. Sie begeben sich als weisse Pioniere auf
die Jagd durch den afrikanischen Busch, wo sie beide auf ihre Weise
mit dem immer noch geheimnisvollen, aber längst gezähmten Kontinent
abschliessen. Die Entfremdung von Alex erreicht ihren Höhepunkt, als
er eine einsame, unruhige Nacht am Lagerfeuer verbringt und danach
das Land, vermutlich für immer, verschmutzt, verwirrt und im Wissen,
dass ihn nichts mehr mit seinen Wurzeln verbindet, verlässt. Ebbo
hingegen geht jenen Weg, der für so viele koloniale und
postkoloniale Figuren – darunter den ikonischen Kurtz in Joseph
Conrads Heart of
Darkness
– Apotheose und Verdammnis zugleich bedeutete: Er ergibt sich
seiner neuen Umwelt und assimiliert sich ("going native").
Ebbo verschwindet Off-Screen in einem Strom, welchem kurz darauf ein
Flusspferd entsteigt (ein Rückgriff auf eine Geschichte, die er
zuvor erzählt hat).
Ob
dies nun seinen Tod oder seine Metamorphose symbolisiert, lässt
Köhler offen und entschliesst sich dazu, seinen ansonsten
kühl-realistischen Film mit einem Stück unerklärtem Mystizismus
enden zu lassen, wobei er sich an Regisseuren wie Apichatpong
Weerasethakul oder Carlos Reygadas, Vorbildern der Berliner Schule,
zu orientieren scheint. Anderweitig fehlt es Köhler aber an jedweder
auktorialer Identität. Inhaltlich ist Schlafkrankheit
zweifelsohne
ein komplexes kleines Kunstwerk, das mit Versatzstücken klassischer
(post-)kolonialer Literatur und einer tranceartigen Atmosphäre,
welche in gewissen Momenten von ferne an Lynch und Antonioni
erinnert, erst frustriert, dann intellektuell herausfordert –
wenngleich bis zum Schluss unklar bleibt, worauf die rudimentäre
Geschichte eigentlich hinaus will. Köhler zeigt ein reifes
Afrika-Bild, weiss damit aber nicht allzu viel anzufangen, auch nicht
auf der künstlerischen Ebene: Seine Vision ist von einer ärgerlichen
Banalität, die dem Film jedes Leben entzieht. Um die Frustration
Ebbos und Alex' zu unterstreichen, spielen sich gewisse Szenen
quälend langsam ab. Blutleere Sequenz wird an blutleere Sequenz
gereiht; die übergreifende Inszenierung lässt jeglichen Sinn für
narrative Fantasie vermissen, wodurch Schlafkrankheit
seinem
Titel letzten Endes leider allzu gerecht wird.
★★
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