Beim Filmfestival von Cannes setzte es Buhrufe ab; die Mehrzahl der Kritker stimmt ins ablehnende Echo mit ein: Only God Forgives, Nicolas Winding Refns Nachfolgewerk zum Neo-Noir-Thriller Drive, gilt weit herum als kapitaler Fehlschlag. Zu Unrecht.
Womöglich sind falsche Erwartungen der Hauptgrund für die teils
vitriolischen, oft vernichtenden Rezensionen. Man erhoffte sich eine
Art Fortsetzung zu Drive, der mit stilistischer Virtuosität
und emotionaler Kraft die Formeln des amerikanischen Action- und
Thrillerkinos variierte und sich auf Genre-Pioniere wie Sam Peckinpah
und Martin Scorsese berief. Only God Forgives hingegen bewegt
sich in eine völlig andere Richtung: Poster-Star Ryan Gosling, im
letzten Film des Dänen noch klarer Hauptdarsteller, spricht hier
kaum mehr als zwanzig Zeilen Dialog und spielt dramaturgisch eine
kleinere Rolle als der wenig bekannte thailändische Schauspieler
Vithaya Pansringarm; derweil ein Blick in den Abspann genügt, um
festzustellen, dass Refn hier mit anderen filmischen Präzedenzen
operiert. Only God Forgives ist dem chilenischen Filmemacher
Alejandro Jodorowsky gewidmet, dessen Filme (El Topo, La
montaña sagrada) bekannt sind für ihre surrealen Symbolwelten;
gedankt wird zudem dem Argentinier Gaspar Noé, der sein Publikum in Seul contre tous, Irréversible und Enter the Void mit Szenarien roher Gewalt herausforderte.
Die vergleichsweise komfortable, weil vertrautere, Welt des
amerikanischen Gangster-Films figuriert in Only God Forgives nur noch vereinzelt. Weit entfernt sind die "Mean Streets" von
New York und Los Angeles, als Schauplatz dient Bangkok, die höllische
Hauptstadt Thailands, wo Julian (Gosling) eine Thai-Box-Bar betreibt
und sich mit dem Verkauf von Drogen über Wasser hält. Nachdem sein
älterer Bruder Billy (Tom Burke) eine minderjährige Prostituierte
vergewaltigt und ermordet hat, erhält deren Vater vom
Polizeiinspektor Chang (Pansringarm) die Erlaubnis, selber über
Billy zu richten. Als seine Mutter Crystal (die raffiniert gegen den
Strich besetzte Kristin Scott Thomas), eine Unterwelt-Matriarchin vom
Typ Ma Jarrett (Margaret Wycherly in Raoul Walshs Film Noir White
Heat), davon erfährt, fliegt sie eigens aus den USA ein, um zu
sehen, wie Julian sich für seine Familie an Chang rächt.
Die Rache Gottes: Polizeiinspektor Chang (Vithaya Pansringarm) stellt
Crystal (Kristin Scott Thomas), die ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt
hat.
© Frenetic Films
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Auch in dieser Hinsicht widersetzt sich Refn den Erwartungen: An
seiner Oberfläche mag Only God Forgives wie ein Kriminaldrama
anmuten, doch darunter verbirgt sich ein kompromissloser
surrealistischer Horrorfilm, aufgeladen mit bizarren Traumbildern,
abstossender Gewalt und subtilen Verweisen (die Verneigung vor Un
chien andalou von Luis Buñuel und Salvador Dalí ist besonders
markant). In diesem Schema übernimmt Julian, die verhinderte
Hauptfigur, eine Doppelrolle. Zum Einen ist er die personifizierte
Krise der stereotypen Männlichkeit: Verzweifelt – und vergebens –
bemüht er sich um Dominanz über das weibliche Geschlecht; von
seiner Mutter, mit der er ein beinahe inzestuöses Verhältnis
pflegt, wird er verhöhnt. Unentwegt starrt er auf seine Hände, mit
denen er im Kampf gegen Chang nichts auszurichten vermag.
So ist er letztlich auch ein machtloser, ja kastrierter Teufel,
angedeutet durch das diabolische Logo seines Box-Clubs, der von einem
ruchlosen alttestamentarischen Gott ausgestochen wird, verkörpert
vom enigmatischen, von Vithaya Pansringarm grossartig gespielten
Chang, der mit klinischer Genauigkeit richtet, foltert und tötet –
und danach in gespenstischen Karaoke-Szenen davon singt, wie er
niemals vergisst. Er könnte vergeben, so der Titel, tut es aber
nicht.
Refn rahmt diese reiche Symbolik ein mit einer grandiosen Ästhetik,
die, bei allen filmhistorischen Verbindungen, ganz seine eigene ist:
die rigorose Farbpalette, beherrscht von düsteren Tönen von
neonrot-, -blau und -gelb, die magistral komponierten Tableaux, jedes
einzelne ein Beweis für die schiere Brillanz des Regisseurs. Manche
werden den Kinosaal dennoch kopfschüttelnd verlassen, einige
vielleicht sogar frühzeitig. Doch damit zeigt Only God Forgives,
das unbeirrte Werk eines radikalen Visonärs, einmal mehr, dass
kontroverse Kunst häufig die beste ist.
★★★★★
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