Nach seiner missratenen Exkursion ins US-Kino verbrachte Kult-Regisseur Wong Kar-wai sechs Jahre mit der Produktion seines nächsten Projekts – The Grandmaster. Zwar bietet dieser nur ein Minimum an Emotion, doch das Kung-Fu-Drama ist primär als filmhandwerkliche Meisterleistung zu verstehen.
Dreh- und Angelpunkt des zehnten Films des Hongkong-Chinesen, der
sich mit Werken wie Chungking Express (1994), Fallen Angels (1995) oder In the Mood for Love (2000) den Ruf erarbeitet hat,
zu den grössten lebenden Filmemachern zu gehören, ist das Motiv des
Konflikts. Kung Fu, die traditionelle chinesische Kampfkunst, welche
in den Siebzigerjahren dank des Actionkinos Marke Bruce Lee Eingang
in die westliche Populärkultur fand, fusst nicht nur auf dem
Austausch von Schlägen und Tritten, sondern legt mindestens ebenso
viel Wert auf die Konfrontation verschiedener Ideen und Techniken. Im
Norden Chinas wird so gekämpft, im Süden so; ein Vertreter des
Hung-Ga-Stils pflegt eine andere Philosophie als ein
Baghuazhang-Jünger.
Von diesem Konkurrenzkampf erzählt The Grandmaster: Mitte der
Dreissigerjahre reist der mandschurische Meister Gong Yutian (Wang
Qingxiang) ins südliche Foshan, um den gefeierten Ip Man (Tony Leung
Chiu-Wai) zu einem Kampf herauszufordern. Als sich dieser als würdig
erweist, bietet Gong ihm seine Nachfolge an – sehr zum Missfallen
seiner in allen wesentlichen Kung-Fu-Stilen kundigen Tochter Er
(Zhang Ziyi), welche bald darauf Ip Man dazu auffordert, sich mit ihr
zu messen. Im Laufe der Auseinandersetzung verlieben sich die beiden
Rivalen aber ineinander und bleiben auch nach Gong Ers Abreise in
regem Kontakt. Gestört wird die Beziehung durch den Einmarsch
japanischer Truppen, denen sich Yutians Adoptivsohn Ma San (Zhang
Jin) angeschlossen hat.
Doch Konflikt spielt sich auch ausserhalb des Plots ab: Was mag Wong
Kar-wai dazu bewogen haben, einen Film über den legendären
Kung-Fu-Meister Ip Man (1893–1972), den Lehrer Bruce Lees, zu
drehen? Ensteht dabei nicht ein Graben zwischen der künstlerischen
Vision, welcher Wong alles unterordnet, und den Anforderungen von
Mans Vita? Tatsächlich bleiben diverse Elemente der Geschichte, ob
historisch verbrieft oder nicht, enttäuschend unterentwickelt, so
etwa der Hintergrund des spät eingeführten Bagua-Grossmeisters "Rasierklinge" Yixiantian (Chang Chen). Einzig Ip Man und Gong Er
erhalten vollständige Charakterisierungen, wobei auch sie stets
distanzierte Konstrukte bleiben.
Ästhetische Meisterleistung: In stilisierten Bildern erzählt Wong
Kar-wai vom Kung-Fu-Meister Ip Man (Tony Leung Chiu-Wai, Mitte).
© filmcoopi
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Dies hängt aber auch mit Wongs trotz allem faszinierender
Inszenierung zusammen, in der die Gegenwart zu einem kaum fassbaren
mystischen Raum wird. Brechungen und Spiegelungen vervielfachen die
Figuren, die immer loser werdende Chronologie lässt die Grenzen
zwischen den Zeitebenen verschwimmen, was durch die zahlreichen, den
geschichtlichen Kontext erläuternden Zwischentitel ironisch
konterkariert wird. Die Lebensstationen Ip Mans geraten so zunehmend
zur Nebensache; zentral ist einmal mehr Wongs atemberaubende
Ästhetik. The Grandmaster ist die Demonstration eines
begnadeten Stilisten, der seine Filme minutiös komponiert.
Aussergewöhnliche Detailaufnahmen zeigen in extremer Zeitlupe, wie
sich während eines Kampfes Blut und Regen vermischen;
Farbdramaturgie, Cadrage und Kameraführung sind von berückender
Schönheit; das Tondesign erhebt marginale Geräusche wie leise
rauschender Wind oder das Klingeln von Ohrringen zu sphärischen
Klängen. Durch Wong Kar-wais Regie allein wird The Grandmaster zu einem Gedicht in Bildern.
★★★★
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