Donnerstag, 18. Juli 2013

The Grandmaster

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Nach seiner missratenen Exkursion ins US-Kino verbrachte Kult-Regisseur Wong Kar-wai sechs Jahre mit der Produktion seines nächsten Projekts – The Grandmaster. Zwar bietet dieser nur ein Minimum an Emotion, doch das Kung-Fu-Drama ist primär als filmhandwerkliche Meisterleistung zu verstehen.

Dreh- und Angelpunkt des zehnten Films des Hongkong-Chinesen, der sich mit Werken wie Chungking Express (1994), Fallen Angels (1995) oder In the Mood for Love (2000) den Ruf erarbeitet hat, zu den grössten lebenden Filmemachern zu gehören, ist das Motiv des Konflikts. Kung Fu, die traditionelle chinesische Kampfkunst, welche in den Siebzigerjahren dank des Actionkinos Marke Bruce Lee Eingang in die westliche Populärkultur fand, fusst nicht nur auf dem Austausch von Schlägen und Tritten, sondern legt mindestens ebenso viel Wert auf die Konfrontation verschiedener Ideen und Techniken. Im Norden Chinas wird so gekämpft, im Süden so; ein Vertreter des Hung-Ga-Stils pflegt eine andere Philosophie als ein Baghuazhang-Jünger.

Von diesem Konkurrenzkampf erzählt The Grandmaster: Mitte der Dreissigerjahre reist der mandschurische Meister Gong Yutian (Wang Qingxiang) ins südliche Foshan, um den gefeierten Ip Man (Tony Leung Chiu-Wai) zu einem Kampf herauszufordern. Als sich dieser als würdig erweist, bietet Gong ihm seine Nachfolge an – sehr zum Missfallen seiner in allen wesentlichen Kung-Fu-Stilen kundigen Tochter Er (Zhang Ziyi), welche bald darauf Ip Man dazu auffordert, sich mit ihr zu messen. Im Laufe der Auseinandersetzung verlieben sich die beiden Rivalen aber ineinander und bleiben auch nach Gong Ers Abreise in regem Kontakt. Gestört wird die Beziehung durch den Einmarsch japanischer Truppen, denen sich Yutians Adoptivsohn Ma San (Zhang Jin) angeschlossen hat.

Doch Konflikt spielt sich auch ausserhalb des Plots ab: Was mag Wong Kar-wai dazu bewogen haben, einen Film über den legendären Kung-Fu-Meister Ip Man (1893–1972), den Lehrer Bruce Lees, zu drehen? Ensteht dabei nicht ein Graben zwischen der künstlerischen Vision, welcher Wong alles unterordnet, und den Anforderungen von Mans Vita? Tatsächlich bleiben diverse Elemente der Geschichte, ob historisch verbrieft oder nicht, enttäuschend unterentwickelt, so etwa der Hintergrund des spät eingeführten Bagua-Grossmeisters "Rasierklinge" Yixiantian (Chang Chen). Einzig Ip Man und Gong Er erhalten vollständige Charakterisierungen, wobei auch sie stets distanzierte Konstrukte bleiben.

Ästhetische Meisterleistung: In stilisierten Bildern erzählt Wong Kar-wai vom Kung-Fu-Meister Ip Man (Tony Leung Chiu-Wai, Mitte).
© filmcoopi
Dies hängt aber auch mit Wongs trotz allem faszinierender Inszenierung zusammen, in der die Gegenwart zu einem kaum fassbaren mystischen Raum wird. Brechungen und Spiegelungen vervielfachen die Figuren, die immer loser werdende Chronologie lässt die Grenzen zwischen den Zeitebenen verschwimmen, was durch die zahlreichen, den geschichtlichen Kontext erläuternden Zwischentitel ironisch konterkariert wird. Die Lebensstationen Ip Mans geraten so zunehmend zur Nebensache; zentral ist einmal mehr Wongs atemberaubende Ästhetik. The Grandmaster ist die Demonstration eines begnadeten Stilisten, der seine Filme minutiös komponiert. Aussergewöhnliche Detailaufnahmen zeigen in extremer Zeitlupe, wie sich während eines Kampfes Blut und Regen vermischen; Farbdramaturgie, Cadrage und Kameraführung sind von berückender Schönheit; das Tondesign erhebt marginale Geräusche wie leise rauschender Wind oder das Klingeln von Ohrringen zu sphärischen Klängen. Durch Wong Kar-wais Regie allein wird The Grandmaster zu einem Gedicht in Bildern.

★★★★

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