Donnerstag, 29. August 2013

Pain & Gain

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Bombastisches, oft niveauarmes Actionkino bildet das Kerngeschäft des Michael Bay. Vielen gilt er als Inbegriff des anspruchslosen Popcorn-Blockbusters, manchen gar als Totengräber des Mediums. In seinem neuen Film, der unsteten Krimikomödie Pain & Gain, fordert er beide Standpunkte heraus.

Die vielleicht am stärksten nachhallende Einstellung in Pain & Gain dauert knapp zwei Sekunden. Angesiedelt ist sie in einer längeren Montagesequenz – in deren Dramaturgie sie keine essentielle Rolle einnimmt – und sie zeigt eine der Hauptfiguren als Silhouette im goldenen Abendlicht von Miami, wie sie neben einem Baum steht, dessen imposantes Geäst weit in den Bildrahmen hineinragt. Es ist eine beinahe perfekte Spiegelung eines ikonischen Tableaus, welches in Victor Flemings Hollywood-Klassiker Gone with the Wind zu finden ist. Michael Bay, der von zahllosen Cinephilen verachtete Regisseur von – finanziell erfolgreichen – Fliessband-Krachern wie Bad Boys (schrecklich) Armageddon (schrecklich) oder der Transformers-Trilogie (schrecklich), zitiert Gone with the Wind, den majestätischen Publikumsliebling von 1939.

Dies weist zwar nicht auf eine tief schürfende Veränderung in Bays Schaffen hin – er ist und bleibt der oberflächliche Ex-Werbefilmer –, wohl aber darauf, dass der bald bitterböse, bald infantile Pain & Gain in seiner Filmografie einen speziellen Platz einnimmt. Für einmal scheint Bay nicht ausschliesslich auf billige Unterhaltung abzuzielen. Die auf wahren Begebenheiten aufbauende, unverkennbar von den Werken der Coen-Brüder inspirierte Entführungskomödie lässt in ihren besten Momenten durchaus subversiv-satirische Züge erkennen.

Im Zentrum steht dabei der Amerikanische Traum und die für viele Menschen ernüchternde Realität. Mit dieser wird auch der muskelbepackte Fitnesstrainer Danny (Mark Wahlberg) konfrontiert, der Mitte der Neunzigerjahre unermüdlich für den persönlichen Erfolg schuftet. Doch nach und nach stellt der zwar sympathische, aber nicht sonderlich helle, junge Mann fest, dass es nicht die sich abrackernden "Macher" sind, welche von der boomenden Wirtschaft profitieren, sondern selbstgerechte Schnösel wie der milliardenschwere Unternehmer Victor Kershaw (Tony Shalhoub), der unter Dannys Aufsicht seinen Körper stählen will. Zusammen mit seinem besten Freund Adrian (Anthony Mackie) und dem frommen Ex-Sträfling Paul (Dwayne Johnson) plant Danny einen Coup: Victor soll entführt und dazu gezwungen werden, dem Trio sein Vermögen zu überschreiben. Einwandfrei gelingen will die Ausführung aber nicht.

Viele Muskeln, wenig IQ: Mit einer Entführung wollen Danny (Mark Wahlberg, Mitte), Adrian (Anthony Mackie, rechts) und Paul (Dwayne Johnson) reich werden.
© 2012 Paramount Pictures
Zu sagen, dass Bay sich in Pain & Gain als gereifter Filmemacher erweist, wäre übertrieben. "Reif" ist der Film mit seinen breit gestreuten Witzen über Sexspielzeug und Schwule fast ebenso wenig wie das stereotype "schwarze" Roboter-Zwillingspaar in Transformers: Revenge of the Fallen; Frauen sind einmal mehr blosse Staffage, leicht zu beeindruckende Stripperinnen, deren IQ sich sogar unter jenen von Danny, Adrian und Paul befindet.

Doch ein Blick hinter die Fassade lohnt sich. Bay, dessen Stil oft so wirkt, als habe er sich nie über die Werbe-Ästhetik der Neunzigerjahre hinaus entwickelt, erzählt in Pain & Gain eine fest in jener überschwänglichen Dekade verwurzelte Geschichte um Immigrantensöhne und -enkel, deren Nachnamen Lugo, Doorbal, Doyle oder DuBois lauten, und die frustriert sind von dem Versprechen, welches ihre Vorfahren einst nach Amerika lockte. Überall wehen die "Stars and Stripes", doch, so konstatieren die diversen Erzähler, ihre Ideale sind längst korrumpiert worden – durch die eigennützige Hochfinanz, durch lateinamerikanische Drogenbarone, durch asiatische Tiger-Ökonomien. Ähnlichkeiten mit den zeitgenössischen USA sind nicht von der Hand zu weisen.

Bay stellt dies in grellen, bisweilen auch drastischen Bildern und mit sich in stetigem Wandel befindlichem Filmmaterial dar, als wolle er nebst seiner kritischen Kommentare auch über seine eigene Karriere in Werbungen, Videoclips und Kinofilmen reflektieren. Das ist virtuos gemacht und hilft einem über die vielen ärgerlichen Passagen hinweg, welche Pain & Gain, Bays besten Film seit The Rock (1996), heimsuchen.

★★★

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