Kim Nguyens mit zehn kanadischen Screen Awards ausgezeichnetes Drama
Rebelle ist ein Film in der Schwebe: zwischen abgründigem
Realismus und märchenhafter Entrücktheit, zwischen drastischer
Gewalt im Cinéma-vérité-Stil und kunstvollen, einfacher zu
vermarktenden visuellen Euphemismen, zwischen kultureller Spezifität
und skizzenhafter Vagheit.
Nguyens Titel gebende Hauptfigur ist Komona (die hervorragende Rachel
Mwanza), die im Alter von zwölf Jahren von Rebellen entführt und
zur Soldatin ausgebildet wird. Mittels hallzuinogener "magischer
Milch" ist sie in der Lage, Geister zu sehen, was ihr schon bald
den Ruf einbringt eine Hexe zu sein – sehr zum Gefallen des
Rebellenführers (Mizinga Mwinga).
Dieser Teil der Handlung allein, welcher nur knapp die Hälfte des
gesamten Filmes ausmacht, ist voller Ambiguität, welche mitunter
Abbas Kiarostamis Kino der ewigen Unsicherheiten in Erinnerung ruft.
Nguyen zeigt Mut, indem er Komonas Alltag als Kindersoldatin nicht
partout als Hölle auf Erden inszeniert. Deserteure werden zwar
erschossen, Jungen und Mädchen, viele kaum grösser als die
Kalaschnikows, die sie tragen, als Zwangsarbeiter ausgebeutet;
Fussballspiele und Geschichten am Lagerfeuer genügen nicht als
Entschädigung. Doch auch Komonas nur kurz beleuchtetes Familienleben
in baufälligen Barracken an einem mit Plastikmüll verschmutzten
Flusslauf ist keine Utopie. Vielmehr stellt Nguyen ihr Leben in einen
grösseren Zusammenhang; er erzählt von der Ausweg- und
Perspektivlosigkeit im bürgerkriegsversehrten Afrika. So wird denn
auch nicht abschliessend geklärt, wo Rebelle spielt. Gedreht
wurde in der Demokratischen Republik Kongo, doch der Schauplatz steht
in seiner Anonymität stellvertretend für so viele subsaharische
Staaten, in denen Kinder für militärische Zwecke instrumentalisiert
werden – Sierra Leone, Burundi, Uganda.
Dem gegenüber steht ein heitereres Intermezzo, in dem Komona mit dem
etwas älteren Albino-Soldaten "Magicien" (Serge Kanyinda)
die Flucht ergreift und Schutz bei dessen Onkel (Ralph Prosper)
sucht, wobei auch hier gewichtige und heikle Fragen aufgeworfen
werden. Gründet die aufblühende Liebe zwischen den beiden
traumatisierten Jugendlichen darauf, dass Komona nach Monaten unter
Magiciens Aufsicht dem Stockholm-Syndrom erlegen ist? Und wie
glücklich kann man mit einer derartigen Vergangenheit im Leben
überhaupt werden? Auch in jenen humoristisch angehauchten Episoden –
etwa Magiciens Jagd nach einem weissen Hahn, den Komona als Preis für
ihr Jawort verlangt – ist die düstere Realität nicht fern:
Hausfrauen verteidigen Hab und Gut mit Sturmgewehren; ein in den
Boden eingegrabener Autoreifen dient als subtiles Mahnmal an die
Erzählung vom ungehorsamen Rebellen-Soldat, der einst dasselbe
Schicksal erlitten haben soll.
Das vorübergehende Idyll: Komona (Rachel Mwanza) und Magicien (Serge Kanyinda) sind aus einem Kindersoldaten-Lager geflohen. © Agora Films |
Es ist ein tristes Bild, welches Nguyen vom modernen Afrika malt –
natürlich hat die idyllische Zweisamkeit von Komona und Magicien
nicht lange Bestand –, doch eines, welches weit über die
Darstellung von Kriegsschrecken hinaus geht. Auch hier erweist sich
Rebelle als ein Film der variablen Bezugspunkte. Wie Youssouf
Djaoro in Mahamat Saleh-Harouns Un homme qui crie symbolisiert
Komona die Pein vieler von Krieg und Armut geschundener afrikanischer
Völker, doch durch ihre Geschichte erhält man auch Einblick in die
komplexe Identität der multikulturell und -religiös geprägten
Region zwischen Sahara und Kalahari.
In Rebelle treffen Stammestraditionen auf christliche Dogmen,
abrahamitisch geprägten Aberglauben und politische Führerkulte. Für
seine Rebellen ist Mizinga Mwingas Anführer eine mythische Figur mit
dem verklärenden Titel "Grosser Tiger", ein Schamane weiht
in Trance die Gewehre der Kindersoldaten, während Komona sich in
ihrem Voiceover oft an einen frustrierend gleichgültig scheinenden
Gott wendet und als angebliche Hexe bald verehrt, bald verteufelt
wird. (Nguyens kreatives Meisterstück ist in diesem Zusammenhang die
äusserst wirkungsvolle archaische Gestaltung von Komonas
Geistervisionen – stumme, weiss bemalte Menschen mit leeren Augen,
Figuren, die aus Souleymane Cissés Yeelen stammen könnten.)
Doch trotz der Faszination, welche diese Vision einer afrikanischen
"Pidgin-Religion" ausübt, stösst hier die Diskrepanz
zwischen vager Andeutung und spezifischer Anspielung an ihre Grenzen.
Es fällt schwer, ihr Glauben zu schenken, wenn sie nicht in einem
zumindest grob definierten Kulturkreis angesiedelt ist.
Dennoch ist Nguyen mit seinem erst dritten Langspielfilm ein
bemerkenswertes Werk voller spannender Implikationen gelungen, deren
stimmiges oder – wenn man ein derartiges Projekt in den Händen
eines Vietnam-Kanadiers so zu deuten beliebt – herablassendes Fazit
eine Version des afrikanischen Sprichworts ist, dass eine Reise in
der Gruppe am weitesten führt. Frieden herrscht in Rebelle,
von der Albino-Parallelgesellschaft bis zu in Armut vereinten
Anhaltern, nur in der Gemeinschaft.
★★★★
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