Mittwoch, 14. August 2013

The Lone Ranger

Western, quo vadis? 36 Jahre nach dem Tod von Howard Hawks, 40 nach dem von John Ford, gar 46 nach dem von Anthony Mann fristet das Genre in Hollywood ein Schattendasein. Genuine Einträge wie Andrew Dominiks The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford oder die True Grit-Neuauflage der Coen-Brüder sind Parodien (Shanghai Noon, Bandidas) und postmodernen Subversionen wie etwa Quentin Tarantinos Django Unchained – wo das Setting ohnehin der Marketing-Affiche "Tarantino macht..." unterworfen ist –, zahlenmässig unterlegen.

Dementsprechend überraschend ist es, dass sich ausgerechnet Gore Verbinskis 225-Millionen-Dollar-Flop The Lone Ranger zu jenen wenigen Werken der jüngeren Vergangenheit gesellt, welche dem Sinn und Geist des altehrwürdigen Genres gerecht werden. Trotz unübersehbarer Defizite beweist Verbinski, Oscargewinner für Rango sowie der Kopf hinter den ersten drei Filmen der Pirates of the Caribbean-Reihe, in diesem kindlich-verspielten Abenteuerfilm, dass er den Western in seiner ganzen Glorie verstanden hat.

Basierend auf dem Titel gebenden Proto-Superhelden, welcher sein Debüt im Januar 1933 in einer Detroiter Radiosendung feierte, erzählt Verbinski ein erfrischend altmodisches Wildwest-Märchen, in dem sich der gutbürgerliche Anwalt John Reid (Armie Hammer) mit dem schrulligen Comanche-Indianer Tonto (Johnny Depp) verbündet, um Jagd auf Butch Cavendish (William Fichtner) zu machen, den Mörder seines Bruders (James Badge Dale), und sich dabei das maskierte Alter Ego "Lone Ranger" aneignet. Hierbei ist die Geschichte des Westerns ähnlich greifbar wie diejenige des Stummfilms in Pablo Bergers Blancanieves; Anspielungen sind im Überfluss vorhanden, doch sie sind fast ausnahmslos vage genug, um als Belege für den anhaltenden Einfluss der alten Meister zu dienen.

Zwar enthält der Film mehrere direkte visuelle Zitate: Die Gruppe von Gaunern, welche vor dem Verschlag eines nervösen Stationsvorstehers auf einen Zug wartet, greift gleichermassen die ikonische Szene in Fred Zinnemanns High Noon respektive Sergio Leones Once Upon a Time in the West auf, während Armie Hammer William Fichter wie einst Eli Wallach Clint Eastwood in The Good, the Bad and the Ugly am Gängelband durch die Wüste führt. Auch John Ford erweist Verbinski seine Reverenz, indem er das Monument Valley, das geografische Zentrum des Ford'schen Westerns, prominent in seine (von Bojan Bazelli hervorragend eingefangene) Bilderwelt integriert – ungeachtet der Tatsache, dass sich das Valley in Utah befindet, The Lone Ranger aber ausdrücklich in Texas angesiedelt ist. Sogar der Stummfilm kommt in Form eines an D. W. Griffiths The Battle at Elderbush Gulch angelehnten Indianer-Angriffs zu seinem Recht.

Ein Hauch von Ford: Monument-Valley-Panorama.
© Disney
Noch spannender ist es allerdings, den Film anhand seiner abstrakteren intertextuellen Verbindungen in den Genre-Kontext zu stellen. Diese sind einerseits technischer Natur: Ohne offenkundige Not macht Verbinski von der heute nur noch selten benutzten "amerikanischen Nacht" Gebrauch, wie man sie in den Filmen Fords und Hawks' oft (und mit variierendem Erfolg) gesehen hat; "Big Sky"-Panoramen sind keine Seltenheit; die gemalte Leinwand, vor der ein gealterter Tonto 1933 die Geschichte des Lone Rangers darlegt, evoziert die Zeit, in der die Wüste im Hollywood-Studio mit Karton-Kakteen und Wagenladungen Sand nachgestellt wurde.

Doch auch der Untergang des alten Westens, das vielleicht zentrale Motiv des Genres, welches in so vielen zeitgenössischen Versuchen ausser Acht gelassen wird, findet in The Lone Ranger Erwähnung. Butch Cavendish entpuppt sich als Handlanger von Latham Cole (Tom Wilkinson), einem fortschrittsbesessenen Eisenbahnmagnaten, der ihn als "the last of a dying breed" bezeichnet: So wird Cavendish zu einem Cousin von Lee Marvins Liberty Valance und Henry Fondas Frank erhoben, Cole implizit zum Geistesverwandten von Gabriele Ferzettis Mr. "Choo Choo" Morton. Und wenn schliesslich der greise Tonto zu bedenken gibt, dass sein jugendlicher Zuhörer (Mason Cook) selber entscheiden muss, ob er die Mär vom Lone Ranger als Wahrheit akzeptiert – die Ehrenrettung eines anderweitig bestenfalls zweifelhaften Erzählelements –, glaubt man, jenen Kernsatz des Westerns zu hören, wie er in The Man Who Shot Liberty Valance gesprochen wurde: "When the legend becomes fact, print the legend".

Aber The Lone Ranger ist eben auch ein Film über einen Vorreiter der genmutierten Supermenschen, welche Ende der Dreissigerjahre die Fantasie der amerikanischen Jugend im Sturm eroberten, ein maskierter Rächer der Unschuldigen und Hilflosen. Und als solcher wird er auch von Verbinski verstanden. Sein Film distanziert sich entschieden vom düsteren Existenzialismus von Iron Man 3, Man of Steel oder Christopher Nolans Batman-Trilogie und feiert John Reid alias Lone Ranger als einen reinherzigen – wenn auch häufig widerwilligen – Helden ohne Anspruch auf jedweden Realitätsbezug.

Rächer der Hilflosen: The Lone Ranger (Armie Hammer, rechts) mit seinem schrulligen Comanche-Freund Tonto (Johnny Depp).
© Disney
Verbinski mag allzu stark Gefallen an dieser Affiche finden – der Film hat mit 150 Minuten leichte Überlänge, vor allem angesichts einiger unnötiger Umwege –, doch es gelingt ihm, ähnlich wie Andrew Stanton im ebenfalls zu Unrecht gefloppten Science-Fiction-Märchen John Carter, die Begeisterung des Zuschauers für das haarsträubende, hoffnungslos antiquierte Treiben auf der Leinwand zu wecken. Somit erübrigen sich Logik-Einwände gegen die finale – brillant inszenierte – Verfolgungsjagd, bei der Reid und Tonto auf zwei fahrenden Zügen atemberaubende Stunts vollführen. Selbst Armie Hammers übertriebenes Mienenspiel wird vor diesem Hintergrund zu einer nostalgischen Verneigung vor der allumfassenden Künstlichkeit der alten Lone Ranger-Serials, welche sich im Amerika der Dreissigerjahre grosser Beliebtheit erfreuten.

Gänzlich entschuldigen können die lobenswerten Aspekte die überdeutlichen Schwachstellen von Verbinskis Film leider nicht. So falliert der Versuch von Humor an vielen Stellen, während der übertriebene Fokus auf Tonto – was wohl auf Johnny Depps Status als Publikumsmagnet zurückzuführen ist – dem Erzählfluss nicht immer zum Vorteil gereicht. Trotzdem bleibt The Lone Ranger positiv in Erinnerung: als stilsichere Liebeserklärung an den Western, als unüblich menschlich ausgerichtete Jerry-Bruckheimer-Produktion, als höchst unterhaltsames Abenteuer, wie man es nur aus dem Kino kennt.

★★★

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