Western, quo vadis? 36 Jahre nach dem Tod von Howard Hawks, 40 nach
dem von John Ford, gar 46 nach dem von Anthony Mann fristet das Genre
in Hollywood ein Schattendasein. Genuine Einträge wie Andrew
Dominiks The Assassination of Jesse James by the Coward Robert
Ford oder die True Grit-Neuauflage der Coen-Brüder sind
Parodien (Shanghai Noon, Bandidas) und postmodernen
Subversionen wie etwa Quentin Tarantinos Django Unchained –
wo das Setting ohnehin der Marketing-Affiche "Tarantino
macht..." unterworfen ist –, zahlenmässig unterlegen.
Dementsprechend überraschend ist es, dass sich ausgerechnet Gore
Verbinskis 225-Millionen-Dollar-Flop The Lone Ranger zu jenen
wenigen Werken der jüngeren Vergangenheit gesellt, welche dem Sinn
und Geist des altehrwürdigen Genres gerecht werden. Trotz
unübersehbarer Defizite beweist Verbinski, Oscargewinner für Rango
sowie der Kopf hinter den ersten drei Filmen der Pirates of
the Caribbean-Reihe, in diesem kindlich-verspielten
Abenteuerfilm, dass er den Western in seiner ganzen Glorie verstanden
hat.
Basierend auf dem Titel gebenden Proto-Superhelden, welcher sein
Debüt im Januar 1933 in einer Detroiter Radiosendung feierte,
erzählt Verbinski ein erfrischend altmodisches Wildwest-Märchen, in
dem sich der gutbürgerliche Anwalt John Reid (Armie Hammer) mit dem
schrulligen Comanche-Indianer Tonto (Johnny Depp) verbündet, um Jagd
auf Butch Cavendish (William Fichtner) zu machen, den Mörder seines
Bruders (James Badge Dale), und sich dabei das maskierte Alter Ego
"Lone Ranger" aneignet. Hierbei ist die Geschichte des
Westerns ähnlich greifbar wie diejenige des Stummfilms in Pablo
Bergers Blancanieves; Anspielungen sind im Überfluss
vorhanden, doch sie sind fast ausnahmslos vage genug, um als Belege
für den anhaltenden Einfluss der alten Meister zu dienen.
Zwar enthält der Film mehrere direkte visuelle Zitate: Die Gruppe
von Gaunern, welche vor dem Verschlag eines nervösen
Stationsvorstehers auf einen Zug wartet, greift gleichermassen die
ikonische Szene in Fred Zinnemanns High Noon respektive Sergio
Leones Once Upon a Time in the West auf, während Armie Hammer
William Fichter wie einst Eli Wallach Clint Eastwood in The Good,
the Bad and the Ugly am Gängelband durch die Wüste führt. Auch
John Ford erweist Verbinski seine Reverenz, indem er das Monument
Valley, das geografische Zentrum des Ford'schen Westerns, prominent
in seine (von Bojan Bazelli hervorragend eingefangene) Bilderwelt
integriert – ungeachtet der Tatsache, dass sich das Valley in Utah
befindet, The Lone Ranger aber ausdrücklich in Texas
angesiedelt ist. Sogar der Stummfilm kommt in Form eines an D. W.
Griffiths The Battle at Elderbush Gulch angelehnten
Indianer-Angriffs zu seinem Recht.
Ein Hauch von Ford: Monument-Valley-Panorama. © Disney |
Noch spannender ist es allerdings, den Film anhand seiner
abstrakteren intertextuellen Verbindungen in den Genre-Kontext zu
stellen. Diese sind einerseits technischer Natur: Ohne offenkundige
Not macht Verbinski von der heute nur noch selten benutzten
"amerikanischen Nacht" Gebrauch, wie man sie in den Filmen
Fords und Hawks' oft (und mit variierendem Erfolg) gesehen hat; "Big
Sky"-Panoramen sind keine Seltenheit; die gemalte Leinwand, vor
der ein gealterter Tonto 1933 die Geschichte des Lone Rangers
darlegt, evoziert die Zeit, in der die Wüste im Hollywood-Studio mit
Karton-Kakteen und Wagenladungen Sand nachgestellt wurde.
Doch auch der Untergang des alten Westens, das vielleicht zentrale
Motiv des Genres, welches in so vielen zeitgenössischen Versuchen
ausser Acht gelassen wird, findet in The Lone Ranger Erwähnung.
Butch Cavendish entpuppt sich als Handlanger von Latham Cole (Tom
Wilkinson), einem fortschrittsbesessenen Eisenbahnmagnaten, der ihn
als "the last of a dying breed" bezeichnet: So wird
Cavendish zu einem Cousin von Lee Marvins Liberty Valance und Henry
Fondas Frank erhoben, Cole implizit zum Geistesverwandten von
Gabriele Ferzettis Mr. "Choo Choo" Morton. Und wenn
schliesslich der greise Tonto zu bedenken gibt, dass sein
jugendlicher Zuhörer (Mason Cook) selber entscheiden muss, ob er die
Mär vom Lone Ranger als Wahrheit akzeptiert – die Ehrenrettung
eines anderweitig bestenfalls zweifelhaften Erzählelements –,
glaubt man, jenen Kernsatz des Westerns zu hören, wie er in The
Man Who Shot Liberty Valance gesprochen wurde: "When the
legend becomes fact, print the legend".
Aber The Lone Ranger ist eben auch ein Film über einen
Vorreiter der genmutierten Supermenschen, welche Ende der
Dreissigerjahre die Fantasie der amerikanischen Jugend im Sturm
eroberten, ein maskierter Rächer der Unschuldigen und Hilflosen. Und
als solcher wird er auch von Verbinski verstanden. Sein Film
distanziert sich entschieden vom düsteren Existenzialismus von Iron
Man 3, Man of Steel oder Christopher Nolans
Batman-Trilogie und feiert John Reid alias Lone Ranger als
einen reinherzigen – wenn auch häufig widerwilligen – Helden
ohne Anspruch auf jedweden Realitätsbezug.
Rächer der Hilflosen: The Lone Ranger (Armie Hammer, rechts) mit seinem schrulligen Comanche-Freund Tonto (Johnny Depp). © Disney |
Verbinski mag allzu stark Gefallen an dieser Affiche finden – der
Film hat mit 150 Minuten leichte Überlänge, vor allem angesichts
einiger unnötiger Umwege –, doch es gelingt ihm, ähnlich wie
Andrew Stanton im ebenfalls zu Unrecht gefloppten
Science-Fiction-Märchen John Carter, die Begeisterung des
Zuschauers für das haarsträubende, hoffnungslos antiquierte Treiben
auf der Leinwand zu wecken. Somit erübrigen sich Logik-Einwände
gegen die finale – brillant inszenierte – Verfolgungsjagd, bei
der Reid und Tonto auf zwei fahrenden Zügen atemberaubende Stunts
vollführen. Selbst Armie Hammers übertriebenes Mienenspiel wird vor
diesem Hintergrund zu einer nostalgischen Verneigung vor der
allumfassenden Künstlichkeit der alten Lone Ranger-Serials,
welche sich im Amerika der Dreissigerjahre grosser Beliebtheit
erfreuten.
Gänzlich entschuldigen können die lobenswerten Aspekte die überdeutlichen Schwachstellen von Verbinskis Film leider nicht. So falliert der Versuch von Humor an vielen Stellen, während der übertriebene Fokus auf Tonto – was wohl auf Johnny Depps Status als Publikumsmagnet zurückzuführen ist – dem Erzählfluss nicht immer zum Vorteil gereicht. Trotzdem bleibt The Lone Ranger positiv in Erinnerung: als stilsichere Liebeserklärung an den Western, als unüblich menschlich ausgerichtete Jerry-Bruckheimer-Produktion, als höchst unterhaltsames Abenteuer, wie man es nur aus dem Kino kennt.
Gänzlich entschuldigen können die lobenswerten Aspekte die überdeutlichen Schwachstellen von Verbinskis Film leider nicht. So falliert der Versuch von Humor an vielen Stellen, während der übertriebene Fokus auf Tonto – was wohl auf Johnny Depps Status als Publikumsmagnet zurückzuführen ist – dem Erzählfluss nicht immer zum Vorteil gereicht. Trotzdem bleibt The Lone Ranger positiv in Erinnerung: als stilsichere Liebeserklärung an den Western, als unüblich menschlich ausgerichtete Jerry-Bruckheimer-Produktion, als höchst unterhaltsames Abenteuer, wie man es nur aus dem Kino kennt.
★★★
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