Donnerstag, 19. September 2013

An Episode in the Life of an Iron Picker

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

International bekannt wurde der bosnische Regisseur Danis Tanović mit seinem Kriegsfilm No Man's Land, der 2002 einen Oscar gewann. Elf Jahre später zeigt er in An Episode in the Life of an Iron Picker ein kriegsversehrtes Land, das seinen Optimismus dennoch nicht verloren hat.

Der Titel dieses minimalistischen, nicht einmal 75-minütigen Dramas ist Programm. Was der Zuschauer zu sehen bekommt, sind einige wenige Tage im Leben des im ländlichen Bosnien-Herzegowina lebenden Roma-Ehepaars Nazif (Nazif Mujić) und Senada (Senada Alimanović), eine Krise im von Armut bestimmten Alltag einer vierköpfigen Familie – vielleicht nicht einmal ihre schlimmste. Es ist eine (auf Tatsachen beruhende) Episode, wie sie sich in weiten Teilen Bosniens wohl nicht allzu selten zuträgt: Die schwangere Senada erleidet eine Fehlgeburt und muss sich einer Operation unterziehen, zu der ihr und Nazif, der sich sein karges Auskommen als Eisensammler verdient, mangels Krankenversicherung die finanziellen Mittel fehlen.

Obwohl sich An Episode in the Life of an Iron Picker letzten Endes in ein Märchen vom Glück in der Armut verwandelt – was in Aki Kaurismäkis inhaltlich verwandtem Le Havre bedeutend besser funktioniert hat –, lässt sich nur wenig in Tanovićs Film metaphorisch deuten. Wenn Nazif auf der Spitze eines steilen, teilweise von Schnee bedeckten Müllberges steht und anschliessend in dessen Tiefen nach metallenen Objekten gräbt – eine packende, herausragend in Szene gesetzte Sequenz –, schreit dies förmlich nach einem Vergleich mit dem mythischen Sisyphos. Auch eine Verbindung zu Hiob ist angesichts der nicht abreissenden Unglückskette, die den stets einen gänzlich indifferenten Gott anrufenden Nazif ("Da ging's mir ja im Krieg noch besser!") quält, nicht von der Hand zu weisen.

Ansonsten aber befindet sich Tanovićs Erzählung ganz im Hier und Jetzt, spürbar beeinflusst vom sowjetischen Sozialrealismus der späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre (nicht zuletzt am Filmplakat erkennbar, dessen karge Kohlestift-Ästhetik sich am ikonischen Poster zu Andrei Tarkovskys Ivan's Childhood zu orientieren scheint). Tanović konfrontiert sein Publikum mit dem Porträt eines Landes, das sich nicht um seine Bürger kümmern kann oder will. Gründe dafür findet Tanović im fehlenden Gemeinschaftssinn der Menschen des Landes (welcher bei den Roma in beinahe utopischem Überfluss vorhanden ist), in der maroden Wirtschaft und, wie schon Aida Begić in Children of Sarajevo, im wuchernden Kapitalismus, der geografische, nicht aber soziale Mobilität ermöglicht und der das leidige System der Bezahl-Medizin überhaupt erst in Bewegung gesetzt hat.

Trotz Armut führen Nazif (Nazif Mujić) und Ehefrau Senada (Senada Alimanović) ein glückliches Leben – wäre da nicht die fehlende Krankenversicherung.
© trigon-film
Eingerahmt sind diese Motive in einer direkten, stark personalisierten Handlung, welche in ihren schwächsten Momenten, unterstützt von einer mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzten Handkamera, einem boulevardesken Nachrichtenreport oder einer herablassenden Elends-Dokumentation ähnelt. Auch bedient sich Tanović des zweifelhaften Kniffs, die beiden kleinen Töchter (Šemsa Mujić, Sandra Mujić) von Senada und Nazif immer wieder in ihrer ganzen kindlichen Unschuld in die Kamera blicken zu lassen. Nicht nur hinterlässt diese plumpe Art des Mitleiderheischens ein ungutes Gefühl; die unbeholfene Publikumsmanipulation wäre gar nicht nötig. Denn die naturalistischen Darbietungen von den sich im Grunde selber spielenden Senada Alimanović und Nazif Mujić genügen vollauf, um dem Zuschauer ihre Nöte nahe zu bringen – und ihn schlussendlich an ihrem wohlverdienten Glück teilhaben zu lassen.

★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen