International bekannt wurde der bosnische Regisseur Danis Tanović mit seinem Kriegsfilm No Man's Land, der 2002 einen Oscar gewann. Elf Jahre später zeigt er in An Episode in the Life of an Iron Picker ein kriegsversehrtes Land, das seinen Optimismus dennoch nicht verloren hat.
Der Titel dieses minimalistischen, nicht einmal 75-minütigen Dramas
ist Programm. Was der Zuschauer zu sehen bekommt, sind einige wenige
Tage im Leben des im ländlichen Bosnien-Herzegowina lebenden
Roma-Ehepaars Nazif (Nazif Mujić) und Senada (Senada Alimanović),
eine Krise im von Armut bestimmten Alltag einer vierköpfigen Familie
– vielleicht nicht einmal ihre schlimmste. Es ist eine (auf
Tatsachen beruhende) Episode, wie sie sich in weiten Teilen Bosniens
wohl nicht allzu selten zuträgt: Die schwangere Senada erleidet eine
Fehlgeburt und muss sich einer Operation unterziehen, zu der ihr und
Nazif, der sich sein karges Auskommen als Eisensammler verdient,
mangels Krankenversicherung die finanziellen Mittel fehlen.
Obwohl sich An Episode in the Life of an Iron Picker letzten
Endes in ein Märchen vom Glück in der Armut verwandelt – was in
Aki Kaurismäkis inhaltlich verwandtem Le Havre bedeutend
besser funktioniert hat –, lässt sich nur wenig in Tanovićs Film
metaphorisch deuten. Wenn Nazif auf der Spitze eines steilen,
teilweise von Schnee bedeckten Müllberges steht und anschliessend in
dessen Tiefen nach metallenen Objekten gräbt – eine packende,
herausragend in Szene gesetzte Sequenz –, schreit dies förmlich
nach einem Vergleich mit dem mythischen Sisyphos. Auch eine
Verbindung zu Hiob ist angesichts der nicht abreissenden
Unglückskette, die den stets einen gänzlich indifferenten Gott
anrufenden Nazif ("Da ging's mir ja im Krieg noch besser!")
quält, nicht von der Hand zu weisen.
Ansonsten aber befindet sich Tanovićs Erzählung ganz im Hier und
Jetzt, spürbar beeinflusst vom sowjetischen Sozialrealismus der
späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre (nicht zuletzt am
Filmplakat erkennbar, dessen karge Kohlestift-Ästhetik sich am
ikonischen Poster zu Andrei Tarkovskys Ivan's Childhood zu
orientieren scheint). Tanović konfrontiert sein Publikum mit dem
Porträt eines Landes, das sich nicht um seine Bürger kümmern kann
oder will. Gründe dafür findet Tanović im fehlenden
Gemeinschaftssinn der Menschen des Landes (welcher bei den Roma in
beinahe utopischem Überfluss vorhanden ist), in der maroden
Wirtschaft und, wie schon Aida Begić in Children of Sarajevo,
im wuchernden Kapitalismus, der geografische, nicht aber soziale
Mobilität ermöglicht und der das leidige System der Bezahl-Medizin
überhaupt erst in Bewegung gesetzt hat.
Trotz Armut führen Nazif (Nazif Mujić) und Ehefrau Senada (Senada
Alimanović) ein glückliches Leben – wäre da nicht die fehlende
Krankenversicherung.
© trigon-film
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Eingerahmt sind diese Motive in einer direkten, stark
personalisierten Handlung, welche in ihren schwächsten Momenten,
unterstützt von einer mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzten
Handkamera, einem boulevardesken Nachrichtenreport oder einer
herablassenden Elends-Dokumentation ähnelt. Auch bedient sich
Tanović des zweifelhaften Kniffs, die beiden kleinen Töchter (Šemsa
Mujić, Sandra Mujić) von Senada und Nazif immer wieder in ihrer
ganzen kindlichen Unschuld in die Kamera blicken zu lassen. Nicht nur
hinterlässt diese plumpe Art des Mitleiderheischens ein ungutes
Gefühl; die unbeholfene Publikumsmanipulation wäre gar nicht nötig.
Denn die naturalistischen Darbietungen von den sich im Grunde selber
spielenden Senada Alimanović und Nazif Mujić genügen vollauf, um
dem Zuschauer ihre Nöte nahe zu bringen – und ihn schlussendlich
an ihrem wohlverdienten Glück teilhaben zu lassen.
★★★
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