1982, als die Disco-Welle eigentlich schon wieder passé war,
erlangte die amerikanische Popmusikerin Laura Branigan kurzzeitig
Weltruhm mit ihrer englischsprachigen Interpretation von "Gloria",
einem Eurodisco-Track, den der Italiener Umberto Tozzi drei Jahre
zuvor geschrieben und eingespielt hatte. Der seither in zahlreiche
andere Sprachen übersetzte Song handelt von einer Frau, die sich
offenkundig im Unklaren darüber befindet, ob sie sich wieder
verlieben soll, ob sich der ganze Stress überhaupt noch lohnt.
Auch der neue Film des Chilenen Sebastián Lelio heisst Gloria und
dreht sich um eine Frau, welche sich mit derartigen Fragen
auseinandersetzen muss. 1982 hätte sogar das Jahr sein können, in
dem sich Gloria (Paulina García) und Daniel (Alejandro Goic), auf
der Höhe von Augusto Pinochets Militärdiktatur, das Jawort gegeben
haben. Mittlerweile aber ist die Ehe zerbrochen, Gloria ist 58 Jahre
alt und sucht in Nachtclubs nach amourösen Abenteuern. Am Ende
seiner Geschichte verkneift es sich Lelio nicht, das Tozzi-Lied in
seiner ganzen Synthesizer-Pracht abgzuspielen. Problematisch ist
allerdings die Tatsache, dass dies der einzige Moment ist, an dem
Gloria so etwas wie Identität aufweist.
Jeder andere Teil des Films ist austauschbar. Der auf 110 Minuten
zerdehnte Plot macht grosszügig Gebrauch von den spezifischen
Klischees, wie man sie aus anderen Streifen über frustrierte
Menschen mittleren Alters kennt: Gloria besucht zweifelhafte
Gruppentherapien, in denen Probleme weggetanzt und -gelacht werden
sollen; sie greift zum Joint; sie verliebt sich in den gleichaltrigen
Rodolfo (Sergio Hernández), dessen Unzuverlässigkeit für den
Grossteil der breit getretenen Konflikte verantwortlich ist.
Gleich zweimal wird Gloria in eine Krise gestürzt, weil Rodolfo
inmitten einer gemeinsamen Unternehmung plötzlich verschwindet; dass
sein übertriebenes Verantwortungsgefühl für seine Töchter aus
erster Ehe der Grund für den Graben zwischen ihm und Gloria ist,
wird ad nauseam wiederholt. "Körperlich sind sie erwachsen",
so Rodolfo, "geistig nicht". Es ist ein Verweis darauf,
dass es sich mit den beiden Endfünfzigern ähnlich verhält. Lelio
erzählt von zwei Menschen, welche im Angesicht des Alters noch
einmal erwachsen werden müssen, welche einerseits (Gloria) ihre
Selbstachtung wiederzufinden versuchen und andererseits (Rodolfo)
lernen sollten, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Neue Liebe im mittleren Alter? Die geschiedenen Gloria (Paulina García) und Rodolfo (Sergio Hernández) finden Gefallen aneinander. © filmcoopi |
Gloria gelingt dies schlussendlich wenigstens ansatzweise; Rodolfo
hingegen scheitert, als er seine neue Liebe sitzen lässt, um seine
Ex-Frau zu besuchen, welche sich verletzte, indem sie in eine
Fensterscheibe knallte (man kann nur hoffen, dass dies nicht allzu
ernst gemeint ist). Den Weg dahin verkauft Lelio seinem Publikum als
hoch emotionalen Reifungsprozess, in dem sich Gloria auch damit
abfindet, Teil der "alten" Generation zu sein, die einst
noch gegen Pinochet demonstrierte, heute aber keinen Drang mehr dazu
verspürt, sich den Protesten gegen die neuen politischen Feindbilder
anzuschliessen.
Über alldem hängt die Atmosphäre der Werke von Mike Leigh, vorab
Happy-Go-Lucky und Another Year. Doch anders als in den
Filmen des britischen Meistercineasten ist in Gloria alles zu
beiläufig, zu steif, um wirklich grosse Gefühle auszulösen, zu
eintönig gemacht, um auf der filmischen Ebene zu packen. Die wenigen
Einblicke, die man in Glorias Psyche erhält, erwecken nicht
unbedingt Sympathie für diese ichbezogene, sich in ihrer Melancholie
suhlenden Person, während Rodolfo nie mehr als ein plotfreundliches
Konstrukt ist, dessen Charakterzüge nicht über das Nötigste
hinausgehen. Es fiele leicht, hier Leere und Vagheit mit Subtilität
zu verwechseln.
★★
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