Obwohl keineswegs ohne Mängel, so gehört Ari Folmans Dokumentation
Waltz with Bashir dennoch zu den klügsten, erschütterndsten
Werken, die der Animationsfilm in den letzten zehn Jahren
hervorgebracht hat. Diese Wirkung verdankt er nicht zuletzt der
Entscheidung Folmans, in den letzten Sekunden des Films das
gezeichnete Bild durch reales Archivmaterial zu ersetzen. Durch einen
simplen Schnitt wurden die weinenden palästinensischen Frauen,
welche aus dem von einer christlich-libanesischen Phalanx
massakrierten Flüchtlingslager von Sabra und Shatila strömten,
lebendig, ihr Leid durch den plötzlichen Medienwechsel förmlich
greifbar.
Man
kann darüber diskutieren, ob Folmans Methode die Grenzen der
akzeptablen Manipulation überschreitet, doch es lässt sich nur
schwer bestreiten, dass sie ihr Ziel erreicht hat. So gut hat dieser
Schnitt funktioniert, dass Folman ihn in seinem neuen Film, The
Congress,
einer freien Adaption von Stanisław
Lems Roman Der
futurologische Kongress,
gleich noch einmal einsetzt: Die sich selber spielende Schauspielerin
Robin Wright (The
Princess Bride,
Forrest Gump)
wandelt durch ein animiertes Schein-Utopia, dessen wunderschöne
Bewohner sich mit einem Schnitt in reale Menschen verwandeln,
sediert, ausgemergelt, in Lumpen gekleidet.
Dass der Kniff inzwischen nur noch halbwegs zu packen vermag,
verweist auf die fundamentalen inhaltlichen Probleme, von welchen The
Congress unterminiert wird. Der Grund, weshalb Wright überhaupt
in jene gezeichnete Fantasiewelt gefallen ist, liegt viele Jahre in
der Vergangenheit: Damals, im Jahr 2013, hat sie dem Filmstudio
Miramount die Rechte an ihrem Abbild überlassen, es dazu
autorisiert, ihre Person digital einzuscannen, um künftig einen
computergenerierten Avatar von ihr in jedem beliebigen Streifen zu
benutzen. (Vom Schauspielfach scheint Folman nicht allzu viel zu
halten, da der Scanner nur zwei Emotionen – Freude und Trauer –
von Wright benötigt.)
20 Jahre später reist sie zu einem von der mittlerweile
allmächtigen, einen vollständig animierten Lebensstil
propagierenden Miramount-Firma ausgerichteten Futuristen-Kongress,
auf dessen Gelände strikter "Animationszwang" herrscht.
Mittels einer chemischen Lösung halluzinieren sich die Teilnehmer in
eine alternative Realität, wo ihre Mitmenschen die Formen von
Cartoon-Charakteren, Kunstwerken und Berühmtheiten wie Clint
Eastwood, Marilyn Monroe, Frida Kahlo, Yoko Ono, Elvis Presley, John
Wayne, Michael Jackson und Elizabeth I. annehmen – eine Welt,
gezeichnet in einem bizarren Hybrid-Stil, der die Ästhetik von Silly
Symphonies, Merry Melodies, Sylvain Chomet, Cool World und
Yellow Submarine in sich vereint.
Am futurologischen Kongress herrscht "Animationszwang", auch für die Schauspielerin Robin Wright. © Pathé Films AG |
Abstreiten lässt sich die Brillanz von Folmans Animation nicht. In
zuckersüssen, ins Albtraumhafte überzeichneten Bildern fängt er
die düster-groteske Atmosphäre von Lems zynischer Dystopie ein;
faszinierend und beängstigend zugleich ist die Welt, die er kreiert.
Bis der Film aber seinen Hauptteil erreicht, verstreichen 40 lange
Minuten, in denen sich Robin Wright in realer Form mit der Aussicht
auf ein Leben abseits des Rampenlichts auseinandersetzt. Hier wird
ihr herzensguter Agent (Harvey Keitel) eingeführt, der danach
komplett von der Bildfläche verschwindet, ferner der skrupellose
Miramount-Produzent Jeff Green (Danny Huston), ihr schleichend Gehör
und Augenlicht verlierender Sohn Aaron (Kodi Smit-McPhee) sowie
dessen Arzt (Paul Giamatti).
Dieses erste Drittel ist, vereinfacht gesagt, eine technische wie
thematische Katastrophe. Die grässlich dämmergelbe Beleuchtung
macht aus jedem Dialog eine Abfolge von Dokumentarfilm-Interviews;
auf der Tonspur wird, in der Hoffnung charakterliche Tiefe zu
erzeugen, allzu häufig am Lautsträrkenregler gedreht. Banale Satire
dominiert: Folman lässt sich herab zu billigen
Schenkelklopf-Verweisen auf "B-actresses doing Holocaust flicks"
und ignorante Produzenten ("Do you know why nobody read Lord
of the Rings? Because it's boring! That's why we make movies").
Mit erhobenem Zeigefinger warnt er vor der Rationalisierung der
Künste (ausgediente Kameramänner bedienen Miramounts
Menschen-Scanner) und den Tücken des Fortschritts (die durchaus
nachvollziehbare Linie "Technophobie hat noch nie jemanden
weitergebracht" wird als Auswuchs jugendlicher Naivität
behandelt). Seinen lächerlichen Höhepunkt erreicht der sich selber
viel zu ernst nehmende Film bereits nach einer halben Stunde, als
Paul Giamatti während einer Beschreibung von Aarons Krankheit daraus
plötzlich die bedeutungsschwangere Linie "Imagine what movies
will be like in 50 years" ableitet.
Leider wird dieser Ansatz auch in den darauf folgenden 80 Minuten
weitergeführt; Lems hintergründiger Humor weicht einer geradezu
kindischen Wortakrobatik und uninspirierten Anspielungen – so
heisst etwa der Zeremonienmeister des Titel gebenden Kongresses Reeve
Bobs. Entsprechend pendelt The Congress stets zwischen
abgedroschener Oberflächlichkeit und – dank Folmans Virtuosität
im Bereich der Animation sowie der nachhaltigen Kraft von Lems
Erzählung – wahrhaftig fesselnden Passagen.
★★
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