Als Aussgangspunkt dient ihm dazu ein 3000 Jahre alter Quarzblock, der in der lebensfeindlichen Atacama-Einöde in Nordchile gefunden wurde. Darin gefangen ist ein einzelner Wassertropfen, der stellvertretend steht für die Grundlage fast allen Lebens auf der Erde – wie auch für den Pazifik, die längste Grenze Chiles, zu dem das Land über die Jahrzehnte nur bedingt einen emotionalen, identitätsbildenden Bezug aufgebaut hat.
Anders die Ureinwohner Feuerlands: Jahrhundertelang lebten sie als Wassernomaden im eisigen Archipel im Süden Patagoniens; ihr Lebensinhalt waren ihre Kanus und die Feuer, welche in ihnen brannten und welche dem "Tierra del Fuego" seinen Namen gaben. Doch 1830 tauschte der humanistisch gesinnte Captain FitzRoy der britischen HMS Beagle – das Schiff, welches wenige Jahre später Charles Darwin zu den Galápagosinseln bringen sollte – einen Perlmutterknopf gegen einen indigenen Jungen und brachte ihn nach England, wo der "wilde Gentleman" unter dem Namen Jemmy Button Berühmtheit erlangte. Damit begann, so Guzmán, die gezielte Ausrottung und gesellschaftliche Marginalisierung der patagonischen Ureinwohner, deren Anzahl seit der Ankunft europäischer Glücksritter im 19. und frühen 20. Jahrhundert auf heute nur noch einige Dutzend geschrumpft ist.
In seinem neuen Film thematisiert Patricio Guzmán unter anderem das tragische Schicksal der Ureinwohner Südpatagoniens. © Atacama Productions |
Macht sich El botón de nácar auch der Romantisierung und der impliziten Projizierung der eigenen Probleme auf äussere Faktoren schuldig – die Indigenen werden vorbehaltlos als gut und edel dargestellt, derweil eine der ersten Tatsachen, die man über Pinochets Putsch erfährt, ist, dass er von den USA finanziert wurde –, so ist er dennoch ein faszinierender Gedankenstreifzug und ein zutiefst persönliches Porträt eines vielschichtigen Landes. Guzmán sucht nicht nach geschichtswissenschaftlichen, sondern der – frei nach Werner Herzog – "ekstatischen" Wahrheit, einer poetischen Annäherung an seine Heimat, ihre sozialen Gräben und ihre historischen Problematiken. So überrascht es auch nicht, dass hier mindestens ebenso viele Künstler und Schriftsteller wie Professoren und Offizielle zu Wort kommen.
El botón de nácar handelt vom Kleinsten und vom Grössten – so auch vom Wasserdampf, das in einem gigantischen Quasar in den endlosen Weiten des Weltraums zu finden ist. © Atacama Productions |
Man kann Guzmán der Überspitzung, Verkürzung und Ausblendung bezichtigen; doch zu sehen, mit welcher Grazie und Poesie er sich vom mikroskopisch Winzigen ins astronomisch Allumfassende bewegt, ist ein nicht selten eindrückliches Erlebnis. El botón de nácar begibt sich auf die Suche nach der ekstatischen Wahrheit und findet sie – im Perlmutterknopf in den Tiefen des Meeres und der Geschichte, im einsamen Wasserteilchen im Universum, im Kosmos im Wassertropfen.
★★★★
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