Die soziale Dimension dieses wieder erstarkten Nationalismus, in dessen Namen die faschistoide Jobbik-Bewegung Xenophobie und Isolationismus zur Tagespolitik erhoben hat, hat sich nun Kornél Mundruczó in seinem parabelhaften Tier-Drama White God zum Thema gemacht. Entstanden ist der Film zwar 2014 – und damit vor der Eskalation der europäischen Flüchtlingssituation, auf die nicht zuletzt in Ungarn mit gewaltsamen Übergriffen gegenüber Asylbewerbern reagiert wurde. Doch Mundruczó assoziiert hier unzweifelhaft seine Erzählung mit der Lage des Landes; die prominente und wiederholte Inszenierung von Franz Liszts zweiter Ungarischer Rhapsodie unterstreicht den nationalen Charakter der Handlung.
Diese dreht sich um die 13-jährige Lili (Zsófia Psotta), die nach dem arbeitsbedingten Umzug ihrer Mutter mit ihrem geliebten Hund Hagen (Luke) vorübergehend bei ihrem Vater Dániel (Sándor Zsótér) einziehen muss. Doch nicht nur möchten weder Dániel noch sein Vermieter einen Hund im Haus haben; die Regierung hat vor kurzem eine Steuer auf nicht "reinrassige" Hunde erhoben, die zu bezahlen sich Lilis Vater weigert. Es dauert nicht lange, bis er die Geduld mit Hagen verliert und ihn am Strassenrand aussetzt.
Die Prämisse würde ein heldenhaftes Hundeabenteuer nach Disney-Art ermöglichen, in dem Hagen den Gefahren der Budapester Strassen trotzt und nach Hause zu Lili zurückfindet. Doch White God ist weniger The Incredible Journey und Homeward Bound als The Plague Dogs; Hagen wird nicht zum gefeierten Rückkehrer, sondern zum mörderischen Rebell. Auf der Flucht vor Hundefängern gerät er an einen Obdachlosen (Tarr-Veteran János Derzsi, der unter anderem die männliche Hauptrolle in The Turin Horse spielte), der ihn an einen Hundekampf-Ring verhökert. Hier wird Hagen unter dem neuen Namen Max (und "gespielt" von einem zweiten Hund namens Body) zum blutrünstigen Kampfhund abgerichtet. Er flieht jedoch nach seinem ersten Kampf und wird schliesslich ins Tierheim verfrachtet. Dort vereinigt er die anderen "Köter" hinter sich, um Rache an den Menschen zu nehmen.
Wegen einer Steuer auf Mischlinge muss Lili (Zsófia Psotta) von ihrem geliebten Hund Hagen (gespielt von Luke und Body) Abschied nehmen. © Magnolia Pictures |
Im Vergleich zu diesem eindringlichen Handlungsstrang droht die menschliche Ebene stellenweise fast zu gewöhnlich zu erscheinen. Lilis Suche nach dem verschwundenen Hagen verläuft in bekannten Bahnen – sie beklebt Wände mit Vermisstmeldungen und lässt sich bis spätabends nicht zuhause blicken –, ihr pubertärer Widerstand gegen ihren Musiklehrer (László Gálffi) funktioniert nur sporadisch als Parallele zu Hagens Entwicklung. Doch Mundruczó bettet auch diese Elemente elegant in seinen Film ein; gerade die schrittweise Wieder-Annäherung Lilis an Dániel macht White God zu mehr als einer nackten politischen Parabel.
Auf sich allein gestellt, schart Hagen eine Armee von Mischlingen um sich, um sich an seinen Peinigern zu rächen. © Magnolia Pictures |
Es ist eine provokante Meinung, die White God zu vertreten scheint: Der staatliche Rechtsrutsch mag auf die Regierung zurückzuführen sein, doch mit einem entschiedenen Gegenstoss aus der gemässigten Bevölkerung hätte es nicht so weit kommen müssen. Ohne dieses Engagement, so scheint es, ist Ungarn dazu verdammt, im Konflikt zwischen autoritärer Politik und dem (gerechtfertigten) Widerstand der Benachteiligten unterzugehen. In der betörenden letzten Szene ortet Mundruczó das "wahre" Magyarentum weder im Nationalismus noch in der Anarchie, sondern in der reichen kulturellen Vergangenheit Ungarns, am Leben erhalten durch die Jugend, seiner demografischen Zukunft.
★★★★
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