Mittwoch, 25. Januar 2017

"Liebe Schweizer Verleiher..." – Teil 1


In den Schweizer Kinos starten jedes Jahr Hunderte von Filmen aus aller Welt. Wir bekommen die grosse Mehrheit der Oscarkandidaten zu sehen, ebenso Auserlesenes aus dem internationalen Filmschaffen. Dass die hiesigen Verleiher entsprechend Entscheidungen bezüglich Programmation fällen müssen, die auf finanziellen Erwartungen basieren, ist sowohl logisch als auch verständlich.

Ein schwer zugänglicher Minimalfilm wie etwa Tsai Ming-liangs Stray Dogs (2013) oder eine schwarze Tragikomödie über Rassismus in den USA wie Justin Simiens Dear White People (2014) werden es im begrenzten Kinopool der Schweiz immer schwer haben – gegen die Blockbuster, gegen die "universelleren" Indie-Produktionen von Fox Searchlight und Co., gegen andere Minimalfilme, die in Cannes oder Venedig einen Preis gewinnen und daraufhin mit einem zweiwöchigen Lauf im Zürcher Houdini oder dem Luzerner stattkino belohnt werden. Es überrascht also nicht, dass die beiden genannten Werke hier niemand im regulären Programm sehen konnte.

Doch dieses Wissen mindert die Enttäuschung nur wenig, wenn man, nachdem man wochen- und monatelang im Sight & Sound, auf Indiewire und Twitter von einem Film liest, der in den USA oder anderswo für Furore sorgt, auf Bestenlisten landet und Kritikerpreise einheimst, einen hoffnungsvollen Blick auf die Startliste der Schweizer Verleiher wirft und ihn nirgends finden kann.

Aus diesem Grund soll auf Facing the Bitter Truth eine neue Reihe eingeführt werden: "Liebe Schweizer Verleiher..." macht auf Filme aufmerksam, die laut filmdistrubution.ch hierzulande noch keinen Verleiher gefunden haben und die es – meiner Meinung nach – verdienen würden, auf Schweizer Leinwänden gezeigt zu werden. Es wird sich zeigen, wie regelmässig ein solches Feature sich aufdrängen wird. Fest steht jedoch, dass nach dem heutigen Post bereits zwei weitere geplant sind. An die Arbeit, Schweizer Verleiher!



20th Century Women
  • Regie: Mike Mills (Beginners)
  • Mit: Annette Bening, Greta Gerwig, Elle Fanning, Billy Crudup
  • Oscarnomination für Bestes Originaldrehbuch
Mike Mills' Tragikomödie Beginners, für die Christopher Plummer den Nebendarsteller-Oscar erhielt, lockte im Sommer 2011 fast 20'000 Menschen in die Schweizer Kinos – ein Achtungserfolg. Entsprechend würde man annehmen, dass der Erwerb von Mills' erstem Film seither, dem oscarnominierten 20th Century Women, nach dessen Premiere beim New York Film Festival im Oktober reine Formsache sei. Leider aber rührt sich an der Verleiherfront bislang noch nichts.

Währenddessen überhäufen die amerikanischen Kritiker den Film, der seit dem 28. Dezember im regulären US-Programm zu sehen ist, mit Lob und Superlativen. Die Geschichte dreier Frauen – gespielt von Annette Bening, Greta Gerwig und Elle Fanning –, die 1979 gemeinsam ein Kind gross ziehen, greife auf einfühlsam-spielerische Weise zahlreiche feministische Diskurse auf, die man so im Kino nur selten zu sehen bekomme. Mills gebe Bening "die seltene Chance, in einer Hauptrolle zu brillieren", so der Kritiker-Konsens auf Rotten Tomatoes; derweil sein Drehbuch voller Dialogperlen, wunderbarer Figuren und subtiler Momente sei.



Right Now, Wrong Then
  • Regie: Hong Sang-soo (Night and Day, The Day He Arrives, Nobody's Daughter Haewon)
  • Mit: Jung Jae-young, Kim Min-hee, Youn Yuh-jung, Gi Ju-bong
  • Gewinner des Goldenen Leoparden und des Hauptdarstellerpreises beim Locarno International Film Festival 2015
Es ist wahrscheinlich schon zu spät, diesen Film in die Schweizer Kinos zu bringen, feierte er doch 2015 Premiere und startete im Sommer 2016 in den USA. Doch irgendwie wäre eine verspätete Aufnahme ins Programm symptomatisch: Der südkoreanische Regisseur Hong Sang-soo, der mit seinen minimalistischen Dialogfilmen schon seit Jahren ein treues internationales Publikum begeistert, ist bislang völlig an der Schweiz vorbeigelaufen. Obwohl er einen ähnlichen Schaffensdrang an den Tag legt wie etwa der Japaner Hirokazu Koreeda (I Wish, Like Father, Like Son, Our Little Sister), dessen Filme regelmässig in der Schweiz anlaufen, wartet Hong, nach 19 Langspielfilmen in den letzten 20 Jahren, nach wie vor auf einen ihm wohl gesonnenen Verleiher.

Auch Right Now, Wrong Then verspricht, eine anregende Vignette über zwischenmenschliche Beziehungen zu sein. Der Film handelt zweimal von derselben Begegnung, lässt allerdings seine Figuren sich jeweils unterschiedlich verhalten. Und sollte das Produktionsjahr 2015 wirklich zu weit zurück liegen – obschon zum Beispiel Drew Barrymores Whip It (2009) auch erst 2011 seinen Weg in die Schweizer Kinos fand –, dann sorgt Hong höchstselbst für ein Alternativprogramm: Im vergangenen Jahr präsentierte er Yourself and Yours, während er bei der diesjährigen Berlinale mit On the Beach at Night Alone vertreten ist.



The Witch
  • Regie: Robert Eggers
  • Mit: Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie
  • Gewinner des Regiepreises in Sundance; Gotham-Award-Gewinner (Breakthrough Actor); Debütpreis-Nominationenen bei den Independent Spirit Awards; zahlreiche Kritikerpreis-Siege und -Nominationen
Dem amerikanischen Indie-Liebling It Follows einen Schweizer Nachtvorstellungslauf zu geben, war ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die Nachricht, dass das Horrorgenre mehr zu bieten hat als Exorzisten-Schocker, Paranormal Activity-Sequels und M.-Night-Shyamalan- und James-Wan-Produktionen, scheint noch immer nicht richtig angekommen zu sein. Das zeigt das Übergehen von Robert Eggers' Sundance-Hit The Witch. (Ein weiterer Beleg ist das Fehlen von Fede Alvarez' Don't Breathe im Startkalender, worauf wohl in einer künftigen Ausgabe von "Liebe Schweizer Verleiher..." einzugehen sein wird.)

Vielleicht schreckt die Verleiher der Untertitel A New-England Folktale ab. Vielleicht vermuten sie einen fehlenden Bezug der Schweizer Zuschauer zur Geschichte der Puritaner – was nachträglich auch den Nichtstart von Sightseers- und High-Rise-Regisseur Ben Wheatleys A Field in England erklären würde. Tatsache ist, dass The Witch, der von einer dämonischen Heimsuchung im kolonialen Amerika handelt, sensationelle 40 Millionen Dollar eingespielt hat und einen beeindruckenden Palmarès aufzuweisen hat. Auch die Schweiz hat es verdient, aufstrebende Horror-Talente zu sehen zu bekommen.

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