4.5 Sterne
Ein in letzter Zeit viel diskutiertes Thema hat nun seinen Weg ins Kino gefunden: Onlinegames. Verführen sie Jugendliche zu Gewalttaten? Können die "armen Indoktrinierten" - so wird gerne alle Schuld von den Tätern genommen - noch zwischen Realität und Game unterscheiden? Der Filmkritiker Nic Balthazar hat nun sein eigenes Buch verfilmt, die Charakterstudie Ben X. Der Film geht von einem ungewohnten Standpunkt an das Thema heran und wird wohl noch für die eine oder andere Diskussion sorgen, denn Onlinegames werden hier nicht als gewaltverherrlichende Kriminalitätsauslöser angeprangert. Von derart billigen Ambitionen distanziert sich Ben X glücklicherweise. Im Grunde distanziert er sich auch von allem bisher Dagewesenen, der Film ist überdies auf eine unangenehme Weise höchst bizarr.
Schon bei einigen Kritikern war zu lesen, dass Ben X unangenehm erzählt ist und zu viele Fragen offenlässt. Dies ist zwar so, doch das soll nicht als Negativpunkt gesehen werden. Der Zuschauer erlebt die Geschichte aus Bens Blickwinkel - einem Autisten wohlgemerkt - entsprechend verschwommen und hektisch wird der Film vorgetragen. Die Kameraführung kann unter Umständen zu Schwindelanfällen führen und viele Schnitte wären Gift für Epileptiker. Doch genau diese unbequeme Filmart verschafft Ben X eine unglaubliche Einzigartigkeit, die auch sehr gut zu seiner Hauptfigur passt. Ben wird vom verhältnismässig alten Schauspieler Greg Timmermans (* 1979) gespielt, der eine auszeichnungsträchtige Performance abliefert. Er verschwindet völlig hinter der Figur Ben und man sitzt einfach staunend ob der Schauspielkunst da, wenn Ben sein Zimmer in einer unglaublich impulsiven Wut zerlegt. Auch die Nebenrollen sind gut besetzt, doch leider krankt es dort etwas an der Figurenzeichnung, die nicht über gängige Klischees hinauskommt.
Ben X ist ein ruheloses Drama, welches aber nicht immer das Meiste aus der Thematik herausholt. Vor allem am Anfang ist der Film etwas langatmig und dem Zuschauer fehlt ein konkreter Spannungsbogen. Dieser wird zwar ein bisschen spät eingeführt, doch kaum ist dieser da, kann man sich dem Film hingeben. Für 90 Minuten befindet man sich im Innern eines Autisten, dessen innerer Monolog Alltagsweisheiten enthält, die uns allen bekannt sein dürften; "Der einzige Weg, Lärm zu bezwingen, ist mehr Lärm. Besserer Lärm." oder "Im Leben ist der Tod endgültig, im Spiel jedoch dauerte es nur wenige Sekunden bis zum nächsten Versuch". Natürlich werden diese Sätze auf Flämisch gesprochen, was dem belgischen Film auch noch einen zusätzlichen Schuss Originalität einbringt.
Ben X ist seltsam, überaus seltsam. Der Film gönnt einem fasst keine Atempausen, man findet sich im ruhelosen Geist des Autisten Ben wieder. Das Medium Onlinegames fungiert hier auch nicht als negativer Aspekt, vielmehr lernt Ben durch diese, sein eigenes Leben in den Griff zu kriegen und so zu leben, wie es ihm am besten gefällt. Wer Ben X gesehen hat, wird es sich beim nächsten Mal zweimal überlegen, ob er den verwirrten, in Selbstgespräche vertieften Mann wirklich auslachen soll. Nic Balthazar ist ein sehr menschliches Porträt eines Autisten gelungen, welches aber kaum mit soviel Wärme aufwartet, wie Julian Schnabels vergleichbarer Film Le scaphandre et le papillon.
Nicht zu empfehlen ist der Film für gemütliche Kinoabende unter Freunden, denn man verlässt das Kino zwar nicht erschüttert, aber immerhin in Gedanken versunken.
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