4.5 Sterne
Die Arbeiterklasse Londons ist das Lieblingsthema vom alten Regiehasen Mike Leigh. Ähnlich wie sein etwas älterer und auch leicht zynischerer Kollege Ken Loach interessiert er sich für die Mittel- bis Unterschicht und bringt er immer mal wieder einen Film zu diesem Sujet ins Kino. Nun hat Leigh alle überrascht. Sein neuestes Werk - der beschwingte und fröhliche Happy-Go-Lucky - steht in starkem Kontrast zu seinem letzten Werk - dem viel bewunderten Vera Drake, der immerhin mit drei Oscarnominationen bedacht wurde, inklusive "Beste Regie". Happy-Go-Lucky sollte eine Komödie sein, doch hat man den Film gesehen, weiss man beim besten Willen nicht, was es nun wirklich ist.
Den ersten Lacher des Films bekommt man nach einigen wenigen, eher stummen Minuten serviert: Poppy, die Hauptfigur, tritt an eine Mauer, an der sie zuvor ihr Fahrrad abgestellt hat, und sieht, dass der Drahtesel nicht mehr da ist. Sie regt sich nicht etwa auf, wie das sonst wohl die normale Reaktion eines Menschen ist, sondern sie lacht, zuckt mit den Schultern und beklagt, dass sie sich nicht einmal verabschieden konnte. Dies hört sich nicht nach viel an, doch die Leichtigkeit, mit der die Linie vorgetragen wird, überträgt sich direkt auf den Zuschauer. Massgeblich daran beteiligt ist sicher Hauptdarstellerin Sally Hawkins, die bereits für Mike Leighs Filme Vera Drake und All or Nothing vor der Kamera stand. Sie haucht der aufgedrehten und herzensguten Poppy Leben ein und stimmt gleichzeitig die Leute im Kino ungemein froh und zufrieden. Mehr als einmal hat sie auch einen treffenden Spruch auf Lager, der aber nie unter die Gürtellinie zielt, sondern einfach nur als harmloses Witzchen gemeint ist. Für den Haha-Humor in Happy-Go-Lucky ist ein anderer zuständig: Eddie Marsan, bekannt aus grösseren Produktionen wie Gangs of New York, Match Point und - Wer hätte das gedacht? - Vera Drake. Er spielt den Fahrlehrer Scott mit viel Charisma und geht regelmässig in bester Donald-Duck-Manier an die Decke (respektive ans Autodach). Auch seine absurde Bennenung der verschiedenen Fahrzeugteile ist immer wieder für Lacher gut, besonders seine Tagline "Enraha!" (gemeint ist der Innenspiegel). Die weiteren Schauspieler zu nennen wäre reine Zeilenschinderei, denn der Film ist klar auf Sally Hawkins zugeschnitten, die den Streifen auch problemlos trägt. Und ausser Marsan vermag kein Nebenakteur besonders hervorzustechen.
Doch was ist Happy-Go-Lucky eigentlich? Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Komödie mit Feelgood-Elementen. Bald muss sich aber jeder eingestehen, dass auch Komödien und Feelgood-Filme eine mehr oder weniger durchdachte Story haben und die Figuren in der Regel eine Entwicklung - zum Guten oder zum Schlechten - durchmachen. Solche Merkmale kann man bei Mike Leighs Film lange suchen. Man hat das Gefühl, es wären einfach ein paar einzelne Episoden erdacht und gefilmt worden, es wurde eine sehr kleine Story eingefügt und voilà! Fertig war der Film. Erinnerungen an Once kommen da spontan hoch. Doch trotzdem vermag Happy-Go-Lucky zu entzücken. Klar, wenn man müde ist, kann man ohne jegliche Probleme ein Schläfchen von ein paar Minuten halten. Verpasst man die Exposition nicht, dann kommt man mühelos mit. Ob das ein gutes Zeichen für einen Film ist, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass man kaum umhin kommt, sich dem Charme von Poppy zu entziehen.
Mike Leighs neuster Film ist eigentlich gar keiner. An Happy-Go-Lucky ist so ziemlich nichts Filmisches dran, ausser dass sich die gezeigten Bilder bewegen. Er klinkt sich ins Leben einer hochzufriedenen Frau ein und schaltet nach zwei Stunden wieder ab. Nicht mehr und nicht weniger. Gelangweilt wird nie, unterhalten und berührt wird immer. Und wenn ein Film dies schafft, dann hat er sicherlich das Prädikat "Empfehlenswert", wenn nicht sogar "Geheimtipp" verdient.
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