5 Sterne
Das Problem am Medium Film ist, dass es kaum möglich ist, ein Werk zu schaffen, welches dem Zahn der Zeit entgeht. Man kann auf zeitlose Metaphern wie It's a Wonderful Life, Rashōmon oder Det sjunde inseglet (dt.: Das siebente Siegel von Ingmar Bergmann) verweisen, doch wenn man ehrlich ist, trifft man in der gut 90-jährigen Filmgeschichte nicht auf eine überwältigende Anzahl Filme dieser Art. Dennoch ist es vom heutigen Standpunkt aus interessant zu sehen, was Filmschaffende vor mehreren Jahrzehnten umtrieb. Ein spannendes Beispiel ist Norman Jewisons Rassenproblematikfilm In the Heat of the Night. Gedreht wurde er 1967 - ein Jahr vor dem Tod von Martin Luther King Jr. und somit dem nominellen Ende der geistigen Rassenternnung in den USA - und zeigt die Situation im Deep South sehr anschaulich auf. Zwar scheint der Film heute nicht mehr sonderlich aktuell zu sein - ganz genau lässt sich das allerdings nicht feststellen - doch er ist auch nach heutigen Standards spannend und eindringlich.
Die wohl berühmteste Szene aus In the Heat of the Night spiegelt hervorragend die Situation im Süden der USA während den 60er-Jahren wider: Der professionelle, schwarze Cop aus dem Norden, Virgil Tibbs, wird vom kleinstädtischen Inspektor Gillespie spöttisch gefragt, wie man ihn denn da oben in Philadelphia nenne, wenn nicht "Boy", woraufhin der sonst ruhige und besonnene Virgil mit donnernder Stimme entgegnet "They call me MISTER Tibbs!". Das Bild geht wunderbar auf: Während fast in den ganzen USA Schwarze in hohen Positionen arbeiten, pochen die Südstaatler auf der Ehre der Dixies und verweigern den Afroamerikanern das Existenzrecht. Auf diesem Problem baut auch der Roman von John Ball, auf welchem In the Heat of the Night basiert, auf. Die Story ist auf den ersten Blick zwar relativ einfach - Ein schwarzer Polizist wird im Süden festgenommen und wieder freigelassen und muss den hiesigen Behörden beim Aufklären eines Falls helfen, wobei er immer wieder mit rassistischen Affronts zu kämpfen hat. - zeigt aber ein interessantes und vielschichtiges Sittenbild der Südstaaten auf. Denn es wurde nicht nur Rassismus und Toleranz thematisiert, sondern es wurde neben der Geselllschaftskritik auch ein brillanter Spannungsbogen kreiert, der den Leser richtiggehend fesselt. Diese hochkarätige Vorlage wurde von Norman Jewison bzw. seinem Drehbuchautoren Stirling Silliphant sehr gewissenhaft umgesetzt. Zwar wurde auf dem ernsten Grundton des Buches verweilt, doch vor allem in den Dialogen zwischen Virgil Tibbs und Bill Gillespie schwingt auch eine gesunde Prise Lakonik mit. Vorgetragen wird diese von Sidney Poitier und Rod Steiger - zum Zeitpunkt des Erscheinens des Films bereits arrivierte Filmstars. Poitier gibt mit Virgil Tibbs eine für ihn sehr typische Rolle. Sein Durchbruch gelang ihm 1958 in Stanley Kramers Film The Defiant Ones - auch ein Film über Rassismus - und war der erste Schwarze, der eine Liebesszene mit einer Weissen spielte (Guess Who's Coming to Dinner) und dafür akzeptiert wurde. Seine typische Rolle ist die des gebildeten Afroamerikaners, welche der hochtalentierte Schauspieler - er nennt zwei Oscars sein Eigen - auch in In the Heat of the Night exzessiv spielen darf. Neben ihm - beinahe zur Nebenfigur degradiert - agiert Rod Steiger, der den Polizeichef Gillespie in bester Method-Actor-Manier gibt. Doch auch wenn einem Method-Actors suspekt sein sollten, beeindruckt Steiger mit einer Performance, die den Zuschauer immer zweifeln lässt, ob man jetzt mit Gillespie sympathisieren sollte oder nicht. Leider wirken die Stimmungsschwankungen von Steigers Figur nicht immer ganz glaubwürdig, doch an dessen Spiel liegt dies eher nicht. Der Fehler ist hier wohl beim Drehbuch zu suchen, welches hie und da doch einen etwas unverständlichen Bocksprung vollführt. Diese Mängel werden aber durch drastischere Szenen, die gut gemeinte und professionell vorgetragene Message und die Dialoge des Profis Tibbs mit den Laien von der kleinstädtischen Polizei von Mississippi ausgebügelt. Alles in allem geht der Oscar für das beste adpatierte Drehbuch in Ordnung, wenn man vor allem auf gekonnte Dialoge achtet.
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob In the Heat of the Night heute noch jemanden vom Hocker reissen kann. Es ist klar, dass die Rassismusfrage in der Zwischenzeit zumindest in den USA zu einem schönen Teil gelöst ist. Der Film von Norman Jewison hat aber unverkennbar Spuren hinterlassen. Alan Parkers Mississppi Burning, der Rassisums in den 80er-Jahren "aufdeckt" ist ohne Zweifel an In the Heat of the Night angelehnt. Und auch jetzt - 41 Jahre nach In the Heat of the Night, 20 Jahre nach Mississippi Burning - interessiert das Thema Rassismus noch immer. Einerseits weil man seine Vorurteile gegenüber dem amerikanischen Süden gerne bestätigt sieht, andererseits weil man ein klares Muster von Gut und Böse seviert bekommt. Dies hört sich jetzt möglicherweise etwas trivial an, ist aber auf keinen Fall beleidigend gemeint. Es soll nur unterstrichen werden, dass In the Heat of the Night auf geniale Weise publikumskonform gedreht wurde. Natürlich schockierte die Aussage des Films. Natürlich kam er in den Südstaaten nicht gut an. Aber der Hauptpunkt ist, dass er die Massen mit mehr als einem schlichten Aufruf nach der Gleichberechtigung der Rassen ins Kino lockte - mit moderater Action, einigen lockeren Szenen und einem nervenaufreibenden Spannungsbogen. Wenn es je einem Film gelungen ist, eine ernste politische Thematik wirksam zu verkaufen, dann In the Heat of the Night.
Der Film staubte bei den Oscars 1968 fünf Auszeichnungen (bei sieben Nominationen) ab - inklusive "Bester Film" und "Bester Hauptdarsteller" (Rod Steiger). Diese Ehrungen sind keinesfalls übertrieben. In the Heat of the Night ist ein hochinteressanter und spannender Thriller, der mit guten Darstellern und einem gut geschriebenen Drehbuch besticht. Die Darstellung von Gewalt von Weissen an Schwarzen ruft auch heute noch wütende Gefühle hervor und damit wäre wohl das Ziel erreicht.
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