6 Sterne
Die Spannung war gross. DreamWorks hat im Sommer Kung Fu Panda lanciert, welcher zwar ziemlich dürftig war, in der Beliebtheitsskala aber weiterhin ganz oben steht. Solche Popularität war bzw. ist dieses Jahr lediglich Mamma Mia! und Bienvenue chez les Ch'tis vergönnt. Ob WALL·E da mithalten kann, ist fraglich, denn der neueste Pixar-Streich wirft so ziemlich sämtliche bekannten Animationsfilm-Konventionen über den Haufen.
Kaum war der erste Teaser zu WALL·E erschienen, fragten sich die Leute kopfkratzend, ob Pixar den Verstand verloren hätte. Um die Reaktion zu begreifen, muss etwas weiter ausgeholt werden. 1994 - 15 Jahre nach der ursprünglichen Gründung von Pixar - fanden sich die führenden Köpfe des Studios zu einem Mittagessen ein, welches in die Geschichte eingehen sollte. Andrew Stanton, Regisseur von Finding Nemo und WALL·E, Peter Docter, John Lasseter und einige mehr waren dabei, als über verschiedenste Projekte gesprochen wurde. Die Grundsteine für Toy Story, A Bug's Life, Monsters, Inc. und Finding Nemo wurden gelegt. Doch es wurde auch über einen kleinen Roboter gesprochen. Ein Roboter namens WALL·E räumt die von den Menschen verlassene Erde auf, weil ihn jemand abzustellen vergass. Seit diesem Mittagessen sind fast noch einmal 15 Jahre vergangen. Und nun sind die Verantwortlichen endlich dazu gekommen, auch die letzte Idee dieses Tages zu realisieren. Doch WALL·E unterscheidet sich grundlegend von den anderen Pixar-Filmen. Das war der Grund, weshalb sich die Leute gefragt haben, ob Pixar genug Geld hätte, um ein solches Risiko einzugehen. Eine Figur, die quasi nicht spricht? Wo bleibt der für Pixar so typische Wortwitz? Die Hauptfigur ist ein Roboter?! Aber der hat ja überhaupt keinen Charme!
Diese Befürchtungen - das sei schon einmal gesagt - waren unbegründet. WALL·E ist ein Meisterstück, wie man es vom Studio mit der Lampe inzwischen gewohnt ist. Dennoch erleidet der Zuschauer im Kino einen gewissen Schock, denn sein Bild von Disney wird mehr oder weniger zerstört. Einige amerikanische Kritiker nannten WALL·E den zynischsten und kritischsten Disney-Film aller Zeiten. Die Erde ist zugemüllt, die Menschen haben sich feige verzogen und sind in der Zwischenzeit - 700 Jahre, um der Wahrheit die Ehre zu geben - jämmerliche, unbewegliche Fettklopse geworden. Es waren zwar auch Stimmen zu hören, welche beklagten, dass die Öko-Botschaft zu stark betont wurde. Das mag sein, doch wenn bereits in einem Animationsfilm darauf hingewiesen werden muss, dass wir das Auslastungsvermögen unseres Planeten unnötig strapazieren, dann muss es schon sehr schlimm um unsere Umwelt stehen. Und mittendrin in diesem Gebirge aus Müll - die traurigen Überreste einer gedankenlosen Konsumgesellschaft - schuftet ein kleiner Roboter, der bei der Flucht der Menschen nicht abgeschaltet wurde. Er verarbeitet Müll zu Quadern, die er pflichtbewusst aufstapelt - ein mechanischer Sisyphos sozusagen. In seiner Arbeit gibt es ein Ziel, welches er niemals erreichen kann. Doch trotzdem arbeitet der kleine Kerl unermüdlich und wächst auf diese Weise dem Zuschauer sofort ans Herz. Mit der Zeit hat WALL·E nämlich gelernt, Gefühle zu verspüren - man erinnert sich an Marvin aus The Hitchhiker's Guide to the Galaxy, den Prototypen für GPP (Genuine People Personality). Der Arbeitsroboter hat sogar gelernt, wie man sich verliebt, da er sich jeden Abend auf seinem iPod Hello, Dolly in einer Endlosschleife ansieht. Überhaupt sind die ersten 40 Minuten des Films, in denen sich die Figurenzahl auf drei beschränkt (WALL·E, EVE, Kakerlake), eine cineastische Offenbarung und suchen seinesgleichen. Es wird fast nicht geredet und die Kameraeinstellungen - Visual Consultant war immerhin Roger Deakins - sind geradezu atemberaubend.
Die Figuren in WALL·E haben einen ganz speziellen Charme. Nicht nur die Titelfigur, sondern auch EVE, M·O und der Raumschiffkapitän sind gelungene Protagonisten. Zwar überzeugt auch dieses Mal der Bösewicht nicht besonders, doch der Autopilot AUTO war vermutlich nur als Hommage an HAL aus 2001: A Space Odyssey - auf den Film wird mehrere Male angespielt - gedacht. Das Herzstück des Films ist die Liebesgeschichte zwischen WALL·E und EVE, die hervorragend funktioniert. Man freut sich und leidet mit den beiden Androiden mit und darf immer mal wieder herzlich über die tollpatschigen Annäherungsversuche des kleinen Müllroboters lachen. Hier wurde eine Romanze realisiert, die sich vor den Klassikern - beispielsweise Frank Capras Filmen - nicht verstecken muss. Im Gegenteil, WALL·E fügt sich in Sachen Human Interest nahtlos in die Reihe von grossen Klassikern ein - gleich neben Mr. Smith Goes to Washington und It Happened One Night. Man kann sogar so weit gehen und sagen, dass in WALL·E mehr menschliche Wärme und mehr Gefühl verborgen liegt als in 90% aller Hollywood-Unterhaltungsfilme mit richtigen Menschen. Und das ist wirklich nicht übertrieben!
Einen ganz besonderen Reiz haben bei Pixar ja auch immer die Animationen. Und wieder einmal wurden sämtliche bisherigen Konventionen durchbrochen. WALL·E & Co. scheinen fotorealistischer als alles Bisherige zu sein. Hier wurde seit dem auch schon genial animierten Ratatouille wieder ein grosser Schritt gemacht.
Es lässt sich darüber streiten, ob WALL·E besser als andere Pixar-Filme ist - wie beispielsweise Ratatouille, Toy Story oder Monsters, Inc.. Dennoch hat der Film mit dem Roboter etwas, was bei den anderen Filmen fehlte: sehr viel glaubwürdige Romantik und einen Hauptdarsteller, den man - obwohl es sich um eine Maschine handelt - am liebsten als Haustierchen hätte. Pixar hat mit WALL·E erneut Massstäbe gesetzt und nun wäre es wünschenswert, wenn sich die Verantwortlichen wieder zu einem Mittagessen zusammensetzten, um die nächsten 15 Jahre zu planen.
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