Warten auf Akzeptanz: Harvey Milk (Sean Penn, 2.v.r.) und ein Teil seines Team: Cleve Jones (Emile Hirsch, links), Michael Wong (Kelvin Yu) und Anne Kronenberg (Alison Pill).
4.5 Sterne
Der Politiker Harvey Bernard Milk wurde am 27. November 1978 von seinem Ratskollegen Dan White erschossen. Milk war der erste bekennende Schwule in einem höheren Amt in den USA. Man dürfte annehmen, dass ein derartiges Schicksal Filmemacher wie der Honig die Fliegen anzieht. Tatsache ist aber, dass Gus Van Sants Milk der erste Spielfilm ist, der sich mit Harvey Milk beschäftigt. Abgesehen von der mit einem Oscar ausgezeichneten Dokumentation The Times of Harvey Milk wurde die Symbolfigur der Emanzipation der Homosexuellen in den USA bisher filmisch verschont. Jetzt hat sich Gus Van Sant an die Thematik herangetraut und ein persönliches, spannendes und dokumentarisch angehauchtes Drama gedreht, welches zwar das Genre nicht neu erfindet, Harvey Milk aber ein angemessenes filmisches Denkmal setzt.
Es gibt einige Zeitgenossen, die der Ansicht sind, Sean Penn sei die halbe Miete bei Milk. Man muss den Satz etwas offener formulieren: Der Cast ist die halbe Miete bei Milk. Natürlich bringt Sean Penn eine schauspielerische Topleistung und kann sich mühelos mit seinen Gegnern bei den Oscars messen. Penn gibt als Harvey Milk wohl die Performance seines Lebens ab und schafft es vielleicht sogar, schauspielerische Ausrutscher wie i am sam vergessen zu machen. Ob seine Darstellung allerdings den berührenden Tiefgang eines Mickey Rourke schlägt, ist eine andere Frage. Penns Schauspielpartner stehen ihm aber in fast nichts nach. Allen voran schreitet aber nicht Josh Brolin, dessen Oscarnomination angesichts seines ungefähr 5-minütigen Auftritts etwas übertrieben erscheint, sondern Emile Hirsch, der hier mit seiner Nebenrolle sehr zu gefallen weiss. Seine Darstellung von Cleve Jones, der auch heute noch politisch aktiv ist, schlägt seine Verkörperung von Chris McCandless in Sean Penns überlangem Naturepos Into the Wild um Längen. In weiteren Nebenrollen sind die sehr talentierte Alison Pill und James Franco, dem man nach Pineapple Express keine ernste Rolle mehr zugetraut hätte, zu sehen. Die Darsteller harmonieren prächtig miteinander und verkaufen dem Zuschauer die 70er Jahre hervorragend. Dies liegt sicherlich auch an den schönen Kostümen - Oscarnomination - den überwältigenden Frisuren und der akkuraten Ausstattung. Auch Gus Van Sants Rechnung, Milk einen gewissen dokumentarischen Unterton zu verleihen, geht auf. Diesen Versuch unternahm er ja bereits 2003 mit Elephant. Die Originalbilder von den Krawallen in San Francisco wurden sehr gekonnt in die Geschichte eingeflochten. Die Oscarnomination für den Schnitt von Elliot Graham ist jedenfalls hochverdient. Und wenn gerade von den Oscars die Rede ist: Dustin Lance Blacks Skript ist im Rahmen der Möglichkeiten immer auf der Höhe - die Nomination geht ind Ordnung. Doch da beginnt ein kleines Problemchen, mit dem Milk leider zu kämpfen hat: Der Film ist nicht wirklich neu. Mit dem gleichen Problem hatte auch Revolutionary Road zu kämpfen. Das Szenario ist im Prinzip immer dasselbe: Ein Idealist arbeitet sich hoch, muss einige Dämpfer hinnehmen, sein Liebesleben leidet darunter, er muss sich zwischen Arbeit und Privatleben entscheiden, er findet einen Mittelweg, er wird ermordet. Natürlich können auch Filme, die auf diesem Szenario basieren, im Endeffekt sehr gut sein - so auch Milk - aber man hat bei ihnen einfach immer das Gefühl, schon mehrmals etwas Vergleichbares gesehen zu haben. Die Originalbilder erinnern beispielsweise stark an Emilio Estevez' Film Bobby. Dieser Faktor macht Milk zwar nicht schlechter, mindert aber immerhin den Eindruck, den er auf das Publikum macht. Ansonsten gibt es aber an Blacks Drehbuch nicht viel mehr auszusetzen. Die politischen Konflikte wurden verständlich dargestellt, Harvey Milk erscheint mit seinem Eifer und seinem schrägen Humor sehr sympathisch und obwohl jedem klar ist, wie die Geschichte ausgeht, wird sehr sorgfältig wirksame Spannung aufgebaut, die in einem leider etwas unterkühlt ausgefallenen Finale ihren Höhepunkt findet. Black zeigt ebenfalls keinerlei Berührungsängste mit Aspekten, die für einige Kinogänger tabu sind. Seit Brokeback Mountain weiss man, dass homosexuelle Sexszenen eben doch das Zeug zum Irritieren haben. Dustin Lance Black und Gus Van Sant soll an dieser Stelle herzlich zu diesem Mut gratuliert werden.
Das Ziel, die Menschen über die Diskriminierung von Homosexuellen in den USA aufzuklären, wurde mit Milk ohne Zweifel erreicht. Anita Bryant und John Briggs werden sauber zu den ultimativen Feindbildern aufgebaut, während Dan White, Milks Mörder, so wirkt, als hätte er lediglich sehr viel Pech gehabt. Dem Zuschauer wird überzeugend vermittelt, was es hiess, in den 70er Jahren homosexuell zu sein, was natürlich auch einen Blick auf die heutige Gesellschaft nötig macht. Einige Argumente der Leute, die die Rechte der Homosexuellen einschränken wollten, werden auch heute noch von konservativen Politikern und Bürgern verwendet. Dass Harvey Milk in dieser Zeit zu einem Helden wurde, ist nicht verwunderlich. Sein Tod machte ihn zu einer Ikone und ebnete den Weg zu einer gerechteren Gesellschaft. Dem aufmerksamen Betrachter wird überdies auffallen, dass Harvey Milk sich in seinen politischen Ansichten und Schlagwörtern nicht sonderlich von Barack Obama unterschied. "Hope" war Milks Lieblingswort, ein Wort, welches Obama auch immer mal wieder gerne verwendet.
Milk ist ein interessantes Drama über die Emanzipation von Schwulen und Lesben geworden. Hauptdarsteller Sean Penn brilliert in seiner Rolle als Harvey Milk, der sehr genau wiedergegeben wurde. Der Film setzt zwar nicht neue Massstäbe im filmischen Sinne, zeigt dem Zuschauer aber eine spannende Geschichte eines besonderen Mannes, der den selben Weg ging, wie viele Querdenker vor ihm. Wer historisch bewandert oder zumindest interessiert ist, wird an Milk seine helle Freude haben. Selten konnte man so einfach in die 70er Jahre abtauchen.
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