Dienstag, 31. März 2009

Die Geschichte vom Brandner Kaspar

Zwei gewitzte Kerle unter sich: Der Boanlkramer (Michael "Bully" Herbig, rechts) versucht, den Brandner Kaspar (Franz-Xaver Kroetz) dazu zu überreden, mit ihm ins Jenseits zu kommen.

4.5 Sterne

Der deutsche Film hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Erfolge wie Der Baader-Meinhof Komplex oder Das Leben der Anderen kommen zwar hin und wieder in die Kinos, doch besonders an der Komödienfront sieht sich der Kinozuschauer dem ewig gleichen Krampf gegenübergestellt. Ähnlich wie in der Schweiz bleibt das Niveau der Lustspiele konstant niedrig. Dass eine willkommene Ausnahme ausgerechnet aus Bayern kommt, ist irgendwie passend. Joseph Vilsmaier inszenierte eine Neuauflage des alten bayrischen Volksmärchens Die Geschichte vom Brandner Kaspar, in welchem ein störrischer Bayer dem Tod ein Schnippchen schlägt und sich 20 weitere Lebensjahre ergaunert. Vilsmaiers Film ist bereits die dritte Adaption des Stoffs - nach einem Kinofilm von 1949 und einer TV-Version von 1975 - und wird der Vorlage in vielerlei Hinsicht gerecht.

Die Geschichte vom Brandner Kaspar ist ein Musterbeispiel für eine kleine Low-Budget-Produktion. Umso überraschender scheint es, dass der deutsche Komödienstar Michael "Bully" Herbig darin einen Part übernahm. Die Produzenten werden sich gedacht haben, dass sein Name auf dem Filmplakat vielleicht noch den einen oder anderen Menschen mehr ins Kino locken könnte. Grosses Interesse wird dem Film aber voraussichtlich auch nicht zuteil werden. Dabei wäre Vilsmaiers Streifen zurzeit wohl einer der wenigen Gründe, den Gang ins Kino anzutreten.

Warum sollte man sich Die Geschichte vom Brandner Kaspar zu Gemüte führen? Immerhin kommt er aus einem Bundesland, in welchem bis vor kurzem die CSU bei den Wahlen jeweils mit einem Resultat von 50%+x rechnen konnte. Nun, Bayern beherbergt nun einmal die lustigsten Leute Deutschlands, daran gibt es nichts zu deuteln. Das ist schon einmal ein erster Grund. Ein weiterer Grund ist, dass Die Geschichte vom Brandner Kaspar ein Film ist, den man sich ganz gemütlich ansehen kann. Man wurde intellektuell zwar auch schon mehr gefordert, aber dennoch ist Die Geschichte vom Brandner Kaspar nicht niveaulos oder etwa dumm. Es finden sich immer wieder kleine Anspielungen auf Vorgänge im 19. Jahrhundert und in unserer heutigen Zeit. Der Film zieht sich nicht in die Länge, besteht nicht nur aus Effekten - im Gegenteil! - und vermag im Grossen und Ganzen gut zu unterhalten. Selbstverständlich ist Klaus Richters Drehbuch kein Meisterstück der Schreibkunst. Vor allem während der Exposition sind ein paar kleinere Schwächen bemerkbar. Doch daran dürfte man als Zuschauer wohl kaum einen Gedanken verschwenden, denn auf der anderen Seite ist das Drehbuch sehr pfiffig und macht sich bayrische Eigenheiten gekonnt zunutze. Das diesbezügliche Highlight ist sicherlich der Vorhof zum Himmel, in welchem es einen vergesslichen Petrus, einen fröhlichen, Bier trinkenden, Weisswurst essenden Erzengel Michael und keine Preussen gibt. Und natürlich ist dort Boarisch Standardsprache. Solch angenehm absurde Szenen häufen sich besonders im zweiten Teil des Films. Dort sind auch die meisten eingängigen Sprüche zu finden, so etwa Michaels Bemerkung "Des 6. Gebot is doch a Empfehlung und ka Dogma!".

Auch die Schauspieler verdienen sich ein grosses Lob. Das bayrische Urgestein Franz-Xaver Kroetz passt perfekt in die Rolle des Brandner Kaspar, der mit seiner verschrobenen Art sämtliche Sympathien auf seiner Seite hat. Doch auch Michael Herbig liess sich für den Film nicht lumpen. Er spielt den Tod, genannt Boanlkramer, mit viel Inbrunst und übertreibt dermassen, dass man sich an Zero Mostels hervorragende Performance in A Funny Thing Happened on the Way to the Forum erinnert fühlt. Herbig hat einige gute Sprüche auf Lager - seine Beichte bei Michael ist einer der komödiantischen Höhepunkte des Films - und spielt den Tod so, dass man sich fragt, warum er überhaupt so gefürchtet wird. Die Geschichte vom Brandner Kaspar lebt vom Zusammenspiel der beiden Hauptakteure, die gemeinsam einige exzellente Szenen zu spielen haben. Ansonsten ist der Film mit den üblichen deutschen Nebendarstellern ausstaffiert. So dürfte man Lisa Potthoff und Detlev Buck schon hie und da einmal gesehen haben. Da aber der Film in erster Linie auf den Zweikampf Brandner Kaspar-Boanlkramer ausgerichtet ist, kommen die Nebenfiguren nur spärlich zum Zuge und haben im Prinzip nur die Funktion, die Geschichte voranzutreiben. Dies wurde allerdings mehr als nur akzeptabel eingefädelt.

Allzu viele Mängel gibt es nicht zu beklagen. Der Film kämpft lediglich mit einem eklatanten Problem, welches kleinere Produktionen gerne ereilt - die Technik. Obwohl Kameramann Jörg Widmer bereits bei Grossproduktionen wie V for Vendetta, King Arthur oder Le scaphandre et le papillon mitgearbeitet hat - nicht als Kameramann allerdings - bekundet er hier sichtlich Mühe, kinoreife Bilder zu produzieren. Zwar wurde der Grossteil des Films normal gefilmt, doch in einigen Szenen kommt unverhofft eine Art Dogma-Stimmung auf, die sich vor allem durch eine nicht besonders optimale Bildqualität offenbart. Zudem sind immer mal wieder Anachronismus-Fehler zu entdecken, die ihrerseits aber auch einen Teil des Charmes des Films ausmachen.

In Bayern ist die Sage vom Brandner Kaspar und dem Boanlkramer wohlbekannt, dem Rest der Welt ist sie wahrscheinlich weniger geläufig. Zwar ist Die Geschichte vom Brandner Kaspar die Adaption einer Theaterversion des Sagenstoffs, was bedeutet, dass etwas an der Chronologie herumgepfuscht werden musste, um einen echten Film zu erhalten. Wer ihn sich aber ansieht, wird die Grundstruktur und die Hauptaussagen des Volksmärchens mühelos nachvollziehen können.

Joseph Vilsmaiers neuer Film ist eine ziemlich schnörkellose, gut unterhaltende, sehr bayrische Filmfassung eines Stoffs, der auf den ersten Blick nicht sonderlich filmisch wirkt. Bei Die Geschichte vom Brandner Kaspar von einem deutschen Film zu sprechen, wäre eine Beleidigung für die Produzenten. Dem Zuschauer werden bayrischen Lebensweis- und -eigenheiten verkauft, die zwar sehr klischiert, aber mit viel Herzblut und Charme angerichtet wurden. Getragen wird der Film fast ausschliesslich von seinen beiden Hauptdarstellern, die es allein schon wert sind, den Film zu sehen. Die etwas billigen Spezialeffekte und das gänzliche Fehlen von Computereffekten sind es ebenfalls.

Sonntag, 8. März 2009

Watchmen

Wieder in Aktion: Dem Verbot zum Trotz machen sich Nite Owl II (Mitte, Patrick Wilson) und Silk Spectre II (Malin Akerman) auf, ihren Kollegen Rorschach aus dem Gefängnis zu befreien.

4 Sterne

Graphic Novels sind eine typisch amerikanische Subkultur. Lustigerweise ist aber gerade einer der grössten Meister dieses Literatur-Genres Brite. Alan Moore, Autor eines der erfolgreichsten Comics der Geschichte, der zwölfteiligen Serie Watchmen, die es im Time Magazine als einzige Bildergeschichte in die besten 100 amerikanischen Romane seit 1923 geschafft hat, ist ein Exzentriker sondergleichen und steht mit Hollywood seit der Verfilmung von League of Extraordinary Gentlemen auf Kriegsfuss. Ob er wohl an Watchmen mehr Freude hat? Der Film wird zwar den Fans der Serie gerecht, stellt aber gleichermassen auch Leute zufrieden, die sich mit der Thematik nur marginal auskennen. Filmische Mängel sind aber dennoch vorhanden.

Wenn man sich etwas mit der Vita und dem Wesen Alan Moores beschäftigt, stellt man eine verblüffende Ähnlichkeit mit Cormac McCarthy fest. Das Gesamtwerk beider zeichnet sich durch kompromisslose Gewalt und abgrundtiefe Dunkelheit aus. Liest oder sieht man aber ein Interview mit ihnen, fragt man sich sofort, wie jemand, der so friedfertig und freundlich Antwort gibt, für derartige Gewaltverklärungen verantwortlich sein kann. Besonders Moores Comics V for Vendetta und Watchmen zeichnen sich durch exzessive, gewollt verstörende Brutalität aus. Für die Verfilmung von Watchmen wurde wohl gerade deshalb ein Kenner der grafischen Gewalt engagiert. Zack Snyder, von Haus aus Regisseur von Werbefilmen, hat erst dreimal auf dem Regiestuhl Platz genommen und dabei die nicht eben unblutigen Werke Dawn of the Dead und die Filmadaption von Frank Millers 300 geschaffen. Und Snyder setzt nun bei Watchmen dort an, wo er bei 300 aufgehört hat. Es fliesst viel Blut, Arme und Finger werden in Zeitlupe gebrochen, Schwangere werden erschossen, Unbeteiligte verletzt und letzten Endes darf sich der Film wohl rühmen, der Streifen mit der höchsten Opferzahl in der Filmgeschichte zu sein. Wie viele Menschenleben das Ganze fordert und weshalb, soll hier nicht verraten werden. Zwar verkommt das optisch versierte Gemetzel mit der Zeit etwas zum Selbstzweck; trotzdem erreicht die reine Blutrünstigkeit ihr Ziel. Snyder hat aber nicht vergessen, dass Moores Comics sich auch durch einen anderen Charakterzug auszeichnen: moralische Fragen. Man würde eine dermassen tiefgreifende Frage in einem Film von Zack Snyder nicht erwarten, doch sie wird trotzdem gestellt. Darf man Leute töten, um den Weltfrieden zu gewährleisten? Ein Problem, welches in Comic und Film direkt an den Konsumenten weitergegeben wird. Diese Frage verleiht dem Genre des Superheldenfilms eine bisher unbekannte Tiefe. Doch die originalgetreue Wiedergabe wird den Autoren David Hayter und Alex Tse während des Films mehrmals zum Verhängnis. Obwohl das Ende abgeändert wurde, ist Watchmen noch immer eine sehr starre Umsetzung der Vorlage. Entsprechend arm an Höhepunkten ist der Film. Seitenhiebe auf die heutige Zeit wie die Feststellung "A cowboy in the White House? Forget it!", die sich zwar auf Ronald Reagan bezieht, sind viel zu selten. Stattdessen folgten Hayter und Tse brav dem Original. Zunächst werden die verschiedenen Figuren eingeführt, wobei der mit der Vorlage nicht vertraute Kinogänger, wenn er gut aufpasst, keine Mühe haben wird, die verschiedenen Superhelden und Ex-Helden auseinanderzuhalten. Leider aber ist der Film in dieser Phase zu inkohärent. So hat man es nach etwas mehr als einer Stunde langsam gesehen mit den Rückblenden und Hintergrundgeschichten. Auch die teilweise sehr klischierten Dialoge à la "Ich verstehe alles, nur nicht die menschliche Natur" hemmen die Begeisterung. Und über die Karikaturen der Politiker kann man ebenso geteilter Meinung sein. Während man sich über einen sehr gut wiedergegebenen Pat Buchanan oder einen Henry Kissinger freut, fasst man sich bei Richard Nixon doch an den Kopf und fragt sich, ob da die Nasengrösse und die Gebärden nicht zu stark überzeichnet wurden. Zudem zieht sich Watchmen an einigen Stellen grausam in die Länge. Dies bedeutet aber nicht, dass der Film je wirklich langweilig wird. Wie man es von einer Comicverfilmung erwarten darf, vor allem wenn es sich um die Version eines Moore-Buchs handelt, ist Watchmen eine visuelle Perle. Das beginnt mit dem sich ständig verändernden Muster auf Rorschachs Maske und hört mit den detailverliebten Zeitlupenaufnahmen, die einen zwar immer wieder an asiatische Kung-Fu-Filme denken lassen, auf. Kameramann Larry Fong weiss die hervorragend chreografierten Kämpfe bildgewaltig in Szene zu setzen und begeistert Mal für Mal mit ausgeklügelten Kamerapositionen und eleganten Kamerafahrten. Gemeinsam mit dem sehr untypischen Soundtrack, der von Bob Dylan über Leonard Cohen bis hin zu Jimi Hendrix und Nat King Cole alles bedient, was das Klassiker-Herz begehrt, sorgen die teils bombastischen, teils rohen Bilder für ein audiovisuelles Feuerwerk, das einen problemlos in seinen Bann ziehen kann.

Wer im Cast von Watchmen nach grossen Namen sucht, wird kaum fündig. Die grössten Berühmtheiten sind sicher Malin Akerman, von der man eigentlich nichts anderes erwarten würde, als dass sie hübsch aussieht, die aber trotzdem eine überzeugende Leistung abliefert, und der oscarnominierte Jackie Earle Haley (Little Children) als Rorschach bzw. Walter Kovacs - eine Figur mit Kultpotential. Haley spielt schlicht und ergreifend brillant. Seine knurrende Stimme und sein hartes Äusseres - eine seltsame Mischung aus Clint Eastwood und Josef Hader - verleihen Rorschach das nötige kantige Profil. Zu ihm und Akerman gesellen sich Billy Crudup, der seiner Figur grösstenteils nur die Stimme leiht, Patrick Wilson, ebenfalls ein Schauspieler aus Little Children, und Jeffrey Dean Morgan, der in den Erinnerungen der verschiedenen Watchmen richtig gemein sein darf. Schauspielerisch bewegt sich Watchmen in den bekannten Superheldenkonventionen. Ein paar wenige Darsteller stechen hervor, der Rest spielt solide, ohne besonders aufzufallen.

Zack Snyder hat mit Watchmen keineswegs Filmgeschichte geschrieben. Dennoch gefällt seine Adaption von Alan Moores Graphic Novel durch gekonnt stilisierte Gewalt, einen sehr guten Soundtrack und einen genialen Jackie Earle Haley. Doch was ist Watchmen überhaupt? Es handelt sich in erster Linie um ein zwölfbändiges Comic-Epos, welches in einen 163-minütigen Film gepresst wurde. Bei einer derartigen Voraussetzung ist ein nicht perfekter Film vorprogrammiert. Trotzdem: Die Fans werden ihre Freude daran haben und sich an den Prügeleien und den technischen Finessen nicht sattsehen können. Letztere sind auch der Hauptgrund, weshalb man sich als Normalsterblicher - ergo: Nichtkenner der Materie - Watchmen ansehen sollte.

The Reader

Sommerliebe: Michael (David Kross) und Hanna (Kate Winslet) verbringen einen wunderschönen, gemeinsamen Sommer miteinander. Noch ahnt Michael nichts von ihrer SS-Vergangenheit.

4 Sterne

Eigentlich bringt The Reader sämtliche Voraussetzungen mit, die bei einem Oscar-Abräumer dazugehören: Der Film dreht sich indirekt um den Zweiten Weltkrieg, im Mittelpunkt steht eine unmögliche Liebesgeschichte, es ist eine Romanadaption und die Hauptdarstellerin war schon einige Male für einen Oscar nominiert, musste sich aber immer geschlagen geben. Dennoch setzte es für Stephen Daldrys Verfilmung von Bernhard Schlinks Kultbuch Der Vorleser "nur" fünf Nominationen und bloss einen Gewinn ab. Entweder hat die Academy sich partout geweigert, sich The Reader anzusehen oder sie haben endlich begriffen, dass viele Nominationen den sehr guten Filmen vorbehalten sein sollten.

Wer sich bei Revolutionary Road schon dachte, dass sich dieser in bereits zigmal gesehenen Konventionen suhlt - auf eine höchst stimmige Weise aber, nebenbei bemerkt -, der wird bei The Reader ein ähnliches Gefühl haben. Stephen Daldry, der mit seiner Nomination für den Regieoscar einen Rekord aufgestellt hat - dreimal Regisseur, drei Nominationen (Billy Elliot, The Hours) - inszenierte mit The Reader ein Drama, welches mit nicht mit einer einzigen Wendung überrascht und nicht einmal wirklich packt. Aber trotzdem weiss der Film in gewisser Weise zu gefallen und lässt mehrmals sogar so etwas wie Spannung aufkommen. Leider krankt die Inszenierung daran, dass der Regisseur und der Drehbuchautor offensichtlich davor zurückschreckten, etwas näher auf die beiden Hauptfiguren einzugehen. Entsprechend erkennt der Zuschauer zwar die Leidenschaft der Beziehung von Michael und Hanna, kann sich aber nicht darauf einlassen, da der Film lediglich an der Oberfläche kratzt. Die Atmosphäre von The Reader ist stark unterkühlt und distanziert gehalten. Eine gewisse Scheu, einer Nationalsozialistin allzu viele positive Charakterzüge abzugewinnen, ist merklich vorhanden. Emotionale Distanziertheit und erzählerische Nüchternheit sind demnach Programm. Auch das Drehbuch von David Hare hat einige Löcher und offenbart gewisse Schwächen im Umgang mit einer geradlinigen Geschichte. Der Film hüpft je länger je mehr zwischen zwei Zeitebenen hin und her, ohne jedoch speziell zu packen oder auf ein grosses Finale hinzudeuten. Und auch wenn die Geschichte ausnahmsweise etwas längere Zeit im gleichen Zeitabschnitt verweilt, ist David Hares Skript doch eine gewisse Planlosigkeit anzumerken. Diese erreicht im Prozess gegen Hanna ihren Höhepunkt. Dass diese Szenen aber gleichzeitig zu den interessantesten des Films gehören, hebt das Drehbuch über den Durchschnitt. Echtes menschliches Interesse ist jedoch Fehlanzeige. Nur kurz vor dem Ende kann The Reader dem Kinogänger eine Gefühlsregung abgewinnen, doch kurz darauf befindet man sich wieder, was die Gefühle angeht, auf verlorenem Posten.

Was aber ist positiv an The Reader? Man könnte sich vorstellen, dass diese Frage einfach zu beantworten ist, doch sie ist es leider keineswegs. Man kann die verschiedenen Elemente des Films einzeln aufrollen. Die Schauspieler sind allesamt solide, verblassen aber zweifellos neben einer Kate Winslet, die mit Hanna Schmitz hoffentlich die definierende Rolle ihres Lebens gefunden hat und so Rose Bukater (Titanic) hinter sich lassen kann. Zwar scheint ihre Rolle nur eine Nebenrolle zu sein, doch dass sie für "Beste Hauptdarstellerin" den Oscar erhalten hat, rechtfertigt sich damit, dass sie die einzige Darstellerin ist, die ihre Figur während des ganzen Films spielt. David Kross hingegen ist nur in zwei Zeitabschnitten zu sehen. Seine Performance steht sicherlich im Schatten von Kate Winslet, doch der junge Deutsche beweist einen Funken Talent, zumindest was die Dialoge angeht. Wenn es an die Mimik geht, hat er noch einigen Nachholbedarf. Sein mimisches Spektrum umfasst, ungefähr fünf Gesichtsausdrücke, die er offensichtlich beliebig oft wiederholen durfte. Dass er und Ralph Fiennes keinerlei Ähnlichkeit miteinander haben, fügt sich hervorragend in den Vorwurf der Distanziertheit ein. Fiennes' Leistung ist dennoch zwar nicht schlecht - er spielt sehr gewissenhaft -, obwohl er leider hie und da etwas gelangweilt wirkt, was seiner Figur nicht unbedingt entspricht. Dass im Cast auch Namen wie Hannah Herzsprung, die in Vier Minuten gemeinsam mit Monika Bleibtreu eine brillante Performance ablieferte, und Bruno Ganz auftauchen, ist nicht mehr als blosse Namensnennung. Beide Schauspieler agieren gut, haben aber keinen besonderen Einfluss auf die Geschichte. Doch Stephen Daldry weiss natürlich, dass Bruno Ganz, egal was er macht, sofort die Sympathien im Publikum auf seiner Seite hat. Kurz gesagt: The Reader hat gute bis hervorragende Schauspielleistungen zu bieten, hätte aber gut daran getan, die Figuren etwas sorgfältiger auszugestalten und David Kross und Ralph Fiennes sich einander mehr ähneln zu lassen.

Womöglich kann man bereits herauslesen, was das grundlegende "Problem" von The Reader ist. Bei Sam Mendes' Revolutionary Road gehen die Kritikpunkte in eine ähnliche Richtung wie hier. Alles ist gut, doch Begeisterung kommt keine auf. So verhält es sich auch mit Stephen Daldrys Film. Er ist stimmig, aber zu akademisch ausgefallen. Alle Schauspieler sind gut, aber nur Kate Winslet ist begeisternd. Auch die Kameraführung unterstreicht diese Tendenz. Chris Menges und Roger Deakins wurden mit einer Oscarnomination für die Arbeit an The Reader geehrt - eine Frechheit, wenn man an Revolutionary Road denkt, wo die Bilder das Salz in der Suppe waren. Der Film wurde im typischen Hollywood-Stil gedreht, der zwar nicht neu ist, sich aber schon immer bewährt hat. Schöne Aufnahmen, die aber letztlich zur distanzierten Erzählweise des Films passen. An der Kameraarbeit gibt es aber grundsätzlich nichts auszusetzen.

Wer sich das Buch Der Vorleser zu Gemüte geführt hat, wird natürlich gespannt sein, ob Schlinks Werk adäquat auf die Leinwand übertragen wurde. Jeder muss dies für sich selbst entscheiden. Man merkt, dass der Film nicht an die Vorlage gekettet ist und Daldry durchaus auch seine eigenen Ideen verwirklichen konnte.

Möglicherweise klingt diese Rezension übertrieben negativ. The Reader macht viele Dinge, die man von einem akzeptablen Film erwarten darf, richtig, begeht aber dennoch gewisse Fehler. Die konventionelle Inszenierung und der offensichtliche Wunsch, bei den Oscars möglichst gut dazustehen, gehören zu diesen Schnitzern. Trotzdem wirft der Film - insbesondere die Schlussszene - interessante moralische Fragen auf, die einem noch etwas Gedankenfutter mitgeben können. Insgesamt gibt auf dieser Ebene der zweite Teil mehr her als der erste, der seinerseits auf die komplizierte Beziehung zwischen Hanna und Michael fokussiert. Keinesfalls ein Meisterwerk, aber trotzdem ein sehenswertes Leinwanddrama.

Sonntag, 1. März 2009

Defiance

Konflikt unter Brüdern: Zus (Liev Schreiber, links) hat genug von Tuvias (Daniel Craig) Politik. Er will sich den echten russischen Soldaten anschliessen.

4.5 Sterne

Der Zweite Weltkrieg ist ein beliebter Ideenlieferant für Hollywood. Doch in letzter Zeit ist immer weniger Interesse am klassischen Kriegsfilm vorhanden. Der Zuschauer ist nicht mehr am grossen Schlachtgetümmel, sondern an exemplarischen Einzelschicksalen interessiert. Entsprechend erfolgreich sind Filme wie der oscarprämierte Austria-Film Die Fälscher. In gewisser Weise knüpft Edward Zwick, der mit Blood Diamond vor wenigen Jahren einen Hit landete, an den österreichischen Streifen an. Doch da es sich um eine amerikanische Produktion handelt, kommt auch Defiance nicht um typische Kriegsfilmelemente herum.

Einer der heikelsten Punkte eines Kriegsfilms - besonders wenn er in einem nicht englischsprachigen Gebiet spielt - ist die Sprache. Wenn der Film in Deutschland oder in Polen spielt, wirkt die englische Sprache sehr unglaubwürdig. Ein Trend, der in Hollywood in den letzten Jahren Einzug hält, scheint aber zu funktionieren: Die Schauspieler reden gebrochenes Englisch und vermischen das mit der eigentlichen Landessprache. Was im Prinzip unausgewogen und seltsam klingen müsste, verleiht einem Film gleichzeitig Lokalkolorit und Verständlichkeit. So wurde auch in Defiance gearbeitet. Die Darsteller reden immer mal wieder Russisch untereinander und behalten ein rollendes R im Englischen bei. Hauptdarsteller Daniel Craig nimmt man so mühelos den Weissrussen Tuvia Bielski ab. Bielski führte eine stetig wachsende Gruppe von Juden jahrelang durch die Wälder Weissrusslands. Die Nazis stellten ihnen nach, konnten sie allerdings nie einfangen. Was aber Tuvia Bielski von einem Oskar Schindler unterscheidet, ist die Einstellung zur Gewalt. Bielski trainierte seine Kameraden im Umgang mit Schusswaffen, damit sie sich gegen etwaige deutsche Angriffe zur Wehr setzen konnten. Auf diese Weise hatten bis 1945 1'200 Juden überlebt, gleich viele wie durch Schindlers Unternehmen. Allerdings haben die Bielski-Partisanen auch unzählige Kollaborateure und Deutsche auf dem Gewissen, was die Frage aufwirft: Was darf man im Krieg? Eine Frage, die auch in Die Fälscher gestellt wird, dort jedoch im umgekehrten Sinne (Darf man mit dem Feind gemeinsame Sache machen, um sein Leben zu retten?). Dieser Frage wird in Defiance zunächst auch nachgegangen. Der Gewissenskonflikt wird durch den Bruderzwist zwischen Tuvia (Daniel Craig), Zus, ein hervorragender Liev Schreiber, Asael, Jamie Bell in einer ähnlichen Rolle wie in King Kong (!) und Aron Bielski, ein fast nicht präsenter und demnach auch nicht einfach zu bewertender George MacKay dargestellt. Zus will sich den professionellen Partisanen, einer Unterabteilung der Roten Armee, anschliessen, Tuvia will seine Schützlinge in Sicherheit bringen, wobei auch er Verluste nicht scheut, und Asael und Aron sehen sich zwischen ihren älteren Brüder hin- und hergerissen. Zus sagt sich auch bald von der Gruppe los, was im Film für einen Knick sorgt, der ihn ein Stück von der guten Ausgangslage wegbewegt. Dass dies früher oder später passieren muss, ist dem Zuschauer von der ersten Filmminute an klar. Zu gewalttätig ist die wahre Geschichte hinter Defiance, dass man auf Kriegsszenen verzichten könnte. Dennoch muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Drehbuch von Edward Zwick und Clayton Frohman, basierend auf Nechama Tecs Buch, nicht auf billige Effekthascherei setzt. Auch der Teil des Films, der eher an einen Kriegsfilm im klassischen Sinne erinnert, vermag zu überzeugen. Es kommt zwar zu mehr Explosionen, rasanten Schnitten und Kampfszenen, doch diese wurden vom sicheren Auge des Kameramannes Eduardo Serra, der unter anderem für die packenden Bilder von Blood Diamond verantwortlich ist, stimmig eingefangen. Dass in einer Szene auf das Szenario vom kurzzeitigen Tinitus geseztzt wird, ist verzeihlich. Vor allem weil Defiance, nicht zuletzt wegen des soliden Drehbuchs, ansonsten Klischees mit schöner Regelmässigkeit ausweicht. Die Liebesgeschichten werden nüchtern erzählt und sind teilweise sogar historisch korrekt. Es gilt auch nicht der Grundsatz: Frauen kämpfen nicht. Beim Kampf gegen die Nazis verlieren auch einige Frauen ihr Leben. Und Tuvia Bielski ist nicht ein selbstloser Übermensch, sondern jemand, der nicht zögert, einen Meuterer vor aller Augen zu erschiessen. Zu den Konventionen eines Kriegsfilms gehört normalerweise auch das Pathos. Wer darauf verzichtet, tut gut daran. Clint Eastwood und Steven Spielberg taten dies bei Flags of Our Fathers und fuhren dafür mit beeindruckenden Panoramaaufnahmen (Tom Stern hinter der Kamera) auf, Edward Zwick ersetzt Pathos mit - so unglaublich es klingen mag - Musik. Der oscarnominierte Score von James Newton Howard untermalt weder Zeitlupenbilder noch wilde Verfolgungsjagden. Seine Orchestrierung geht vielmehr auf die Gefühle der Personen ein.

So gut derartige Dinge ankommen, so unzureichend kaschieren sie doch den Niedergang des Dramas während des zweiten Teils. Das ursprünglich angestossene Thema flammt nur noch am Rande auf und muss einigen Kampfszenen Platz machen, die zwar schön eingefangen wurden, im Ganzen aber zu konventionell sind, um wirklich zu packen.

Man kann geteilter Meinung über Defiance sein. Aber er gehört sicherlich zu den besseren Projekten über den Zweiten Weltkrieg, die uns in letzter Zeit vorgesetzt wurden. Das Thema über den fast vergessenen Kampf der Juden gegen die Nazis wurde spannend angegangen, verwandelt sich aber nach und nach leider in einen handelsüblichen Kriegsfilm, der sich aber nichtsdestoweniger auf einem ansprechenden Niveau halten kann. Und Edward Zwick hält sich an ein Konzept, welches sich auch in Stefan Ruzowitzkys Die Fälscher bestens bewährt hat: Lass den Zuschauer am Grundsatzproblem teilhaben.