Nach einem beinahe tödlichen Anschlag auf eine Schülerin ist Vorsicht geboten: Severus Snape (Alan Rickman, links) und Minerva McGonagall (Maggie Smith) untersuchen den gefährlichen Artefakt, während Hermione (Emma Watson), Ron (Rupert Grint, Mitte) und Harry (Daniel Radcliffe) wieder zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
5 Sterne
Die Serie ist auf dem Papier zu Ende, auf Zelluloid geht es erst in die entscheidende Phase. Der zweitletzte Teil und drittletzte Film der Harry-Potter-Saga, Harry Potter and the Half-Blood Prince, ist in den Kinos angelaufen. Für den eingefleischten Fan der Bücher ist jetzt Skepsis das höchste Gebot. Nach dem soliden fünften Teil, der bereits schwierig zu verfilmen war, nahm sich Regisseur David Yates jetzt des als besonders unfilmisch geltenden sechsten Teils an. Das Problem bei diesem Stoff liegt in erster Linie darin, dass am Ende nicht wirklich etwas dabei herauskommt, was den Wald-und-Wiesen-Zuschauer möglicherweise verärgern könnte. Doch Yates hat trotz aller Widrigkeiten viel aus dem Buch, welches zwar als geschriebenes Werk funktioniert, als Film aber nicht zwingend reüssieren muss, herausgeholt. So viel sogar, dass man als Harry-Potter-Freak nun ungeduldig dem siebten Teil entgegenfiebert.
Es war von Anfang an eine gute Entscheidung, die sieben Harry-Potter-Filme nicht von einem einzelnen Regisseur drehen zu lassen. So lässt sich der Tonfall eines jeden Buches mehr oder minder genau mit dem Regisseur abstimmen. So übernahm der Familienfilmexperte Chris Columbus die Regie der ersten beiden Teile, Alfonso Cuarón, Meister der düsteren Erzählweise, drehte den dritten Teil, der den Fans der ersten beiden Filme ein Dorn im Auge war (in Wahrheit aber ganz klar der beste Film ist, so wie auch das dritte Buch als Meisterwerk aus der Serie heraussticht), Mike Newell drehte mit Harry Potter and the Goblet of Fire die schwächste Verfilmung und für den Rest der Serie hat Warner Bros. David Yates engagiert, der zuvor nicht durch allzu viele Regiearbeiten aufgefallen war und somit auch mit keinerlei Vorbelastung ans Werk gehen konnte. Gut möglich, dass Yates nach Harry Potter nie mehr etwas von Bedeutung drehen wird, aber seine Arbeit wird den Fans des Potter-Universums in ewiger Erinnerung bleiben. Warum? Nun, erstens hat er die Serie in der heiklen Phase übernommen, wo sich Harry und seine Freunde langsam, aber sicher den Fragen und Problemen der Pubertät stellen müssen. Und zweitens hat Yates den Filmen seine eigene Idee der Düsternis eingeflösst. Er weiss die Bedrohung durch Lord Voldemort und die Todesser sehr gut einzufangen.
Doch der Reihe nach. Die Regie von Yates ist insofern gelungen, dass er die Schauspieler richtig getrimmt hat, dazu später, und dass er der Geschichte einmal mehr Zeit gibt, sich zu entwickeln. Zwar hat man mehrfach das Gefühl, dass einige Schauspieler bei der schieren Grösse des Casts unterzugehen scheinen, andererseits aber verleiht dieser Umstand dem Film eine angenehme Vielfalt. Dass Yates nach dem etwas am Skript kränkelnden fünften Teil wieder Steven Kloves, der für die Drehbücher in den vorangegangenen vier Filmen verantwortlich war, verpflichtet hat, war sicherlich die richtige Entscheidung. Denn kombiniert man Yates' Art, einen Film zu inszenieren, mit Kloves' Art, eine Geschichte zu entwerfen, ist das Resultat mehr als nur zufriedenstellend. Das Drehbuch hat alles, was man für einen gelungenen Film braucht: Humor - viel davon! Harry Potter and the Half-Blood Prince hat gute Chancen, als lustigster Film der Serie in die Geschichte einzugehen -, Magie, dezentes Grauen, Charakterstudien, erzählerische Tiefe - Teil 5 hat diese etwas vermissen lassen - und, teilweise zwar etwas überkandidelte, Romantik. An einigen Stellen droht der Film zwar, sich in einen Teenie-Streifen zu verwandeln, doch zumeist verhindert ein guter Spruch oder das Auftauchen von Ron, der sich besonders in einer Szene als echter Lusttöter entpuppt (witzig!), das Aufkommen von echtem Kitsch. Ein ganz spezielles Vergnügen sind die Dialoge zwischen Ron und Harry, welche direkt aus dem Leben gegriffen zu sein scheinen. Sie sind gleichzeitig lustig und von Grund auf ehrlich. Ein Opfer, welches Steven Kloves allerdings bringen musste, um ein kohärentes Skript anzufertigen, war der Verzicht auf erklärende Sequenzen. Harry Potter and the Half-Blood Prince führt fast nahtlos seinen Vorgänger weiter und dürfte den Zuschauer, der das Buch nicht gelesen hat, ziemlich ratlos zurücklassen. Beispiel gefällig? Rons Freundin wird lange nicht mit ihrem echten Namen angeredet - wer das Buch nicht gelesen hat, muss anderweitig dahinterkommen, dass es sich um Lavender Brown handelt. Überhaupt ist der Film mehr auf die echten Fans von Harry Potter ausgerichtet. Auf diejenigen, welche die Plots der sieben Bücher ohne weiteres aus dem Ärmel schütteln können. Wer zu dieser Gruppe gehört (der J.K. Rowling auch - zumindest zum Teil - Harry Potter and the Deathly Hallows gewidmet hat ("...and to you if you have stuck with Harry until the very end.")), wird zweifelsfrei unterhaltsame zweieinhalb Stunden hinter sich bringen. Der einzige diesbezügliche Wermutstropfen ist die unbeholfen, ja fast schon schäbig wirkende Szene, in welcher der Fuchsbau der Weasleys in Flammen aufgeht. Diese dazugepappte Stelle hat keine Bewandtnis im ganzen Film und wurde wohl hinzugedichtet, weil den Produzenten der Film wahrscheinlich zu arm an Action war. Überdies zerstört die Szene das gemächliche Tempo, in welchem Harry Potter and the Half-Blood Prince vorgetragen wird. Selbst in seinen Actionszenen verhält sich der Film durchaus bedächtig. Diese Bedächtigkeit bringt aber nicht nur Vorteile mit sich. Die finale Szene in der Höhle, in welcher Voldemort einen Horkrux aufbewahrt, ist etwas gar kurz geraten - vor allem wenn man bedenkt, wie viele Seiten des Buches dieser Aufgabe gewidmet sind. Derartigen Anpassungen sieht man auch das Bestreben an, den Film PG-tauglich zu machen.
Schauspielerisch stellt Harry Potter and the Half-Blood Prince einige seiner Vorgänger mühelos in den Schatten. Daniel Radcliffe war nie witziger, Rupert Grint nie verliebter - ergo: trotteliger -, Emma Watson nie sarkastischer. Und das wohl grösste Verdienst von David Yates: Das junge Trio wirkte nie lebendiger, nie lebensechter. Aus den drei fiktiven Charakteren sind endlich echte Menschen geworden. Doch nicht nur die drei Youngsters überzeugen. Wir können endlich etwas genauer auf Draco Malfoy, gut gespielt von Tom Felton, eingehen. Michael Gambon brilliert als plötzlich schwächelnder Albus Dumbledore, Alan Rickman begeistert wieder als Snape und Jim Broadbent ist der unterhaltsamste neue Lehrer seit Kenneth Branagh in Harry Potter and the Chamber of Secrets. Da David Yates ein gut 600-seitiges Buch in zweieinhalb Stunden pressen musste, bleiben anderen Darstellern leider nur Kurz- bis Kürzestauftritte. Julie Walters, Helena Bonham Carter, Timothy Spall, Robbie Coltrane, Maggie Smith, die einen herrlichen Satz zu sagen hat, und David Thewlis wurden zwar alle irgendwie eingebaut, doch ihr Einfluss auf das Geschehen ist verschwindend gering.
Woran es dem sechsten Harry-Potter-Film aber keinesfalls mangelt, ist visuelle Virtuosität. Kameramann Bruno Delbonnel hat es sehr gut geschafft, den Film in mehreren Szenen fast Schwarzweiss wirken zu lassen. Umso grösser ist die Wirkung des Kontrastes, wenn man sich im Scherzartikelladen von Fred und George Weasley oder auf der Weihnachtsparty von Horace Slughorn befindet. Unterstützt wurde Delbonnel in der Bebilderung des Films natürlich durch gute Spezialeffekte, die zwar die lebenden Toten wie Gollum aussehen lassen, welche ihre Wirkung aber keineswegs verfehlen.
Dass bei einer derartigen Geschichte der Hang zum Pathos unumgänglich ist, beweist die Musikuntermalung von Nicholas Hooper, die, besonders am Ende, vielleicht etwas zu dick aufgetragen ist. Dennoch beweist der Komponist, dass er problemlos in der Lage ist, einen Film atmosphärisch mit Musik zu versorgen.
Wie lässt sich Harry Potter and the Half-Blood Prince zusammenfassen? Der Film ist alles andere als perfekt, doch er ist gleichzeitig eine würdige Verfilmung eines nicht perfekten Buches. Die Vorlage ist die Vorbereitung auf den siebten Teil und dieser Vorgabe wird der Film auf jeden Fall gerecht. Das Ende ist offen, aber nichtsdestotrotz vorsöhnlich und befriedigend und ist, wenn man zwischen den Zeilen liest, auch eine Art Retrospektive auf die vergangenen sechs Jahre im Potter-Universum. Diese Attitüde ist auch den ganzen Film hindurch spürbar. Versinnbildlicht wird dies durch Rons Antwort auf Professor McGonagalls Frage "Why is it always when something like this happens you three have something to do with it?": "Professor, I've been asking myself this question for the past six years." In diesem Sinne: Projekt Harry Potter and the Half-Blood Prince ist geglückt, Harry Potter and the Deathly Hallows kann kommen - hoffentlich bald!
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