Sonntag, 16. August 2009

The Limits of Control

Exzentrische Geheimnistuerei: Der einsame Mann (Isaach de Bankolé) bekommt von der cinephilen Blondine (Tilda Swinton) eine weitere Nachricht. Was das wohl bedeutet?

4.5 Sterne
[nach wiederholtem Schauen auf 6 Sterne aufgebessert]

Eine tragische Tendenz, die sich beim heutigen Kinopublikum durchzusetzen scheint, ist die Weigerung, einen undurchsichtigen Film selber zu durchschauen. Man sitzt im Kinosaal und ärgert sich darüber, wenn ein Film bis zum Ende nicht alle seine Geheimniss offenbart hat. Dies mag ein Grund sein, weshalb Jim Jarmuschs neuestes Werk, The Limits of Control, von Publikum und Kritikern gleichermassen verachtet wird. Selbstgefälligkeit, Langeweile, Leere und Verhöhnung des Publikums sind Begriffe, welche im Zusammenhang mit dem schwer zugänglichen Film gern genannt werden. Doch bewirkt The Limits of Control nicht genau das, was ein deratiger Kunstfilm bewirken soll? Man kratzt sich nach der Vorstellung am Kopf und redet, diskutiert, debattiert über das, was da gerade über die Leinwand flackerte. Jeglicher Interpretationsansatz könnte der Entschlüsselung des Rätsels dienen und jeder Kinogänger kann sich seine eigenen Gedanken dazu machen - solange er sich nicht vor diesem Kraftakt scheut.

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Jim Jarmusch das personifizierte Grauen für den durchschnittlichen, amerikanischen Actionliebhaber ist. Seine Filme kommen häufig ohne viel Dialog aus, zelebrieren die Langsamkeit, sie haben offene Enden und handeln meistens von einer Reise ohne sicheres Ziel. Dieser Radikalismus grenzt den Regisseur auch von seinen Kollegen aus dem amerikanischen Independentfilm ab, weshalb man ihn wohl oder übel in einem Atemzug mit seinen europäischen Pendants Michael Haneke oder Aki Kaurismäki nennen muss. Bezeichnenderweise spielt The Limits of Control, eine Ode an den filmischen Minimalismus und Anti-Perfektionismus, auch in Europa, in Spanien, genauer gesagt. Der Film dreht sich um einen einzelnen Menschen, der kaum ein Wort sagt, sich seltsam aufführt und Leute trifft. Die Eingangsszene lässt einen vermuten, dass er einen Auftrag zu erledigen hat, doch worum es sich dabei handelt, darauf muss man von selbst kommen. Jarmuschs Drehbuch ist so angelegt, dass jeder, der in das Geheimnis der namenlosen Hauptfigur eingeweiht ist, The Limits of Control mühelos folgen kann. Da der Zuschauer sich aber nicht unter den Eingeweihten befindet, entfacht fast jede einzelne Szene, die meisten davon sind, laut Jarmusch, Abwandlungen anderer Szenen, einen angestrengten Denkprozess. Ansonsten lässt sich über das Drehbuch nicht allzu viel sagen, nicht zuletzt weil Jarmusch seine Drehbücher fortlaufend ändert und gewisse Dinge erst am Set entschieden werden. Somit werden seine Skripts oft zum Bestandteil des Drehprozesses degradiert und dienen nicht als Grundpfeiler eines Projekts.

Der Anti-Perfektionismus von The Limits of Control wurde bereits angetönt. Dies schlägt sich in der Auswahl der verwendeten Aufnahmen nieder. Insgesamt ist der Film stimmig gefilmt, lebt von Bildern, die man aus Spionagethrillern kennt, und vermittelt dem Zuschauer alles, was er über die Schauplätze wissen muss. Doch hin und wieder wird die scheinbare Bildharmonie durch körnige Bilder gebrochen. In diesen Szenen hat Jarmusch, wie er offen zugegegben hat, gegen die Konvention, die sogar er in der Regel befolgt, gearbeitet, und diejenigen Aufnahmen benutzt, die sonst im Abfall gelandet wären. Daraus folgt eine atmosphärische Stimmung, welche einen neue Umgebungen mit den Augen der Hauptfigur sehen lässt. Diese Hauptfigur, im Abspann "Lone Man" genannt, ist auch die eine oder andere Betrachtung wert. Gespielt wird der Mann von Isaach de Bankolé, ein alter Freund von Jarmusch, mit dem er bereits drei Filme gedreht hat (Coffee and Cigarettes, Night on Earth, Ghost Dog: The Way of the Samurai). Der Ivorer ist die ideale Besetzung für den geheimnisvollen Killer (?), der sich beinahe stumm durch den Film arbeitet. Auf seinem Weg begegnet de Bankolé verschiedenen Charakteren, die ihm alle eine Streichholzschachtel mit einem für den Zuschauer unleserlichen Code zustecken. Diese Ritual geschieht aber erst nach einem kurzen, höchst einseitigen Dialog. Tilda Swinton sinniert über alte Filme, John Hurt redet über die Kunstrichtung der Bohème, das Leben und Aki Kaurismäki und Gael García Bernal äussert seine Meinung über Gitarren. Isaach de Bankolé hört jeweils geduldig zu, trinkt seine beiden Espressi (kein doppelter Espresso, zwei Espressi in zwei Tassen!) und hört Weisheiten wie "The best films are like dreams you're never really sure you had." oder "La vida non vale nada." - scheinbar das Leitmotiv des Films - an. Überdies wird er von einer nackten Schönheit besucht, deren sexuellen Wünschen er nicht entgegenkommt - "Not while I'm working." -, und hebt hie und da seinen Blick gen Himmel, um einen kreisenden Hubschrauber zu erblicken.

Zugegeben, das Gefühl des Überdrusses schleicht sich auch beim beflissensten Zuschauer ein. Zudem ist The Limits of Control mit zwei Stunden Laufzeit auch etwas zu lang geraten. Sein Ende jedoch, über welches getrost gesprochen werden kann, denn in diesem Film gibt es keine echten Spoiler (Wer anderer Meinung ist, kann diesen Teil überspringen.), ist der Auslöser für wildeste Spekulationen. Der Einsame ist im spanischen Niemandsland und findet ein schwer bewachtes Gebäude. Der Helikopter, vielleicht derjenige, den er mehrfach gesehen hat, landet und Leute steigen aus. Er beobachtet das Anwesen. Schnitt. Er sitzt im mit einer Panzertüre gesicherten Büro eines Amerikaners, herrlich gespielt von Bill Murray, der über die Bohème und die junge Generation flucht. Auf die Frage, wie er überhaupt hier reingekommen sei, antwortet de Bankolé "I used my imagination.". Er erwürgt den Amerikaner mit einer Gitarrensaite und geht. Ein Interpretaionsansatz sei diesem Kritiker erlaubt: Wir leben in einer rundum kontrollierten Welt. Die Kontrolle liegt in The Limits of Control metaphorisch in den Händen des Amerikaners, während der "Lone Man" den normalen Menschen darstellt. Doch etwas lässt sich nicht kontrollieren: die Fantasie. Durch Fantsie dringt der normale Mensch in den Elfenbeinturm des Kontrollierenden ein. Die menschliche Vorstellungskraft ist "The Limit of Control". Oder ist The Limits of Control, wie Jarmusch insinuiert hat, eine Selbstreflexion der exzentrischsten Art? Wir werden es wohl nie ganz wissen können. Aber solange sich jeder sein Bild macht, dann müssen wir uns um unsere Vorstellungskraft nicht sorgen.

The Limits of Control ist ein seltsamer Film, der es offensichtlich darauf anlegt, Diskussionen zu provozieren. Die Schauspielleistungen stimmen, die Bilder begeistern und die Geschichte regt zum Überlegen an. Dass dafür die Spannung etwas zu kurz kommt, lässt sich problemlos verschmerzen. Eine letzte Betrachtung ist der hier Schreibende seinen Lesern aber noch schuldig. Der Streifen endet nämlich nicht mit dem Mord am Amerikaner. Isaach de Bankolé ist auf einem Flughafen zu sehen, die Kamera folgt ihm, er verlässt das Gebäude. Kaum ist auch die Kamera im Freien, wackelt sie, schwenkt ins Nirgendwo und die Leinwand ist schwarz. Was sagt uns diese letzte Einstellung? "Ätschbätsch, es war nur ein Film."

Freitag, 7. August 2009

Ice Age: Dawn of the Dinosaurs

Beim Kampf der grossen Animationsstudios DreamWorks und Pixar geht die Animationsabteilung von Fox gerne vergessen. Dass es diese aber auch noch gibt, daran erinnert uns Ice Age: Dawn of the Dinosaurs, in welchem der Cast wieder einmal vergrössert, die Animationen einmal mehr verfeinert und das Niveau erneut gesenkt wurde. Es scheint zwar eine gute Idee zu sein, nach zwei grob animierten Schneeabenteuern ein hervorragend animiertes Dschungelabenteuer zu machen, doch auch ein Schauplatzwechsel kann die Serie nicht mehr aus dem Loch von Ice Age: The Meltdown (2006) herausholen. Die Storyidee hätte Potential gehabt, doch anstatt glorios zurückzukehren, ist die Marke Ice Age sang- und klanglos abgesoffen. Und sichert sich trotzdem den Titel "Erfolgreichster Animationsfilm ausserhalb der USA".

Wie bei vielen schwachen Trickfilmen ist auch bei Dawn of the Dinosaurs der Hauptgrund für das Misslingen beim Drehbuch zu suchen. Dieses steckt voller Löcher und ist, nimmt man es etwas genauer unter die Lupe, der reinste Witz – aber leider kein sonderlich lustiger. Wussten die Autoren bei Ice Age (Michael J. Wilson, Michael Berg, Peter Ackerman) noch einigermassen gut mit Storyaufbau, Slapstick, Drama und Action umzugehen, scheinen die Urheber des Skripts von Teil drei (Peter Ackerman, Michael Berg, Yoni Brenner) die kitschigen und unlustigen Szenen aus den Vorgängern besonders genial gefunden zu haben. Es gibt in der Fangemeinde der Filme erwiesenermassen auch Menschen, die älter als acht Jahre sind. Und dennoch scheinen 70% von Dawn of the Dinosaurs daraus zu bestehen, dass Faultier Sid einen Hang hinunterrutscht oder sich sonst irgendwie höchst uninspiriert zum Deppen macht. Haha. Die restlichen Prozente werden vom Lieben und Leiden von Manny und Ellie, den Sorgen von Diego – so unglaublich es klingt: der beste Subplot! – und dem Kitsch-Overkill, der Liebesgeschichte von Scrat und Scratte, eingenommen.

Der Film krankt ausserdem daran, dass einem die unzähligen Hauptfiguren inzwischen auf die Nerven gehen. Selbst Scrat verspielt sich hier sämtliche Sympathien. Dass dem Ice Age-Universum zu allem Überfluss noch eine weitere Figur aufgezwungen wird, fällt dabei nicht einmal mehr allzu stark ins Gewicht, zumal dieser Charakter, der völlig durchgeknallte Buck, eine Auflockerung des ansonsten komplett verkrampften Films darstellt. Dementsprechend ist Simon Pegg, den man aus den britischen Komödienhits Hot Fuzz (2007) und Shaun of the Dead (2004) kennt, auch der einzige Sprecher, der wirklich etwas zu bieten hat. Mit einer Mischung aus britischem und australischem Dialekt sprüchelt er sich in die Herzen der gelangweilten Zuschauer. Aber auch Buck kann einem hin und wieder auf die Nerven gehen. Doch sein letzter einprägsamer Einzeiler – "The buck stops here", eine Anspielung auf den ehemaligen US-Präsidenten Harry Truman – zaubert einem tatsächlich so etwas wie ein Lächeln auf die Lippen, da dieser Spruch in krassem Gegensatz zum Niveau, welches im Rest von Ice Age: Dawn of the Dinosaurs zelebriert wird, steht. Über die Leistungen der restlichen Sprecher muss kaum ein Wort verloren werden. Sie wirken zwar nicht unmotiviert, sind aber fast ausnahmslos dröge. Einzig Queen Latifah und Denis Leary bewegen sich in Bahnen, die man als "witzig" bezeichnen könnte.

© Twentieth Century Fox Film Corporation
Wohlwollendere Kritiker als der hier schreibende würden anführen, dass Dawn of the Dinosaurs, wenn schon kein cineastisches Meisterstück, dann wenigstens ein unschuldiges Kinderabenteuer für die ganze Familie ist. Mag sein, doch ein echtes Kinderabenteuer hält auch etwas für diejenigen Kinogänger bereit, die noch lange nicht unterhalten sind, wenn einem Akteur fünfmal hintereinander eine Kokosnuss auf den Schädel fällt. Doch nach Wortwitz, verstecktem Biss oder inspirierten Filmanspielungen, die beispielsweise in Horton Hears a Who! (2008) im Überfluss vorhanden waren, sucht man im dritten Teil von Ice Age vergebens.

Auch der Wechsel in die farbige Unterwelt täuscht nicht über die langweilige Geschichte und die platten Slapstick-Szenen hinweg. Man muss die Szenen bei den Dinosauriern nicht einmal allzu genau betrachten, um festzustellen, dass dort im Prinzip das Gleiche passiert wie oberhalb des Eises. Anstatt Eisschollen im Wasser gibt es bei den Dinosauriern einfach Steine in Lava. Die Wandergruppe wird nicht von Säbelzahntigern oder Menschen, sondern von Fleischfressern und einem Ankylosaurus gejagt. "Zurück zur Scholle" kann man da nur sagen.

© Twentieth Century Fox Film Corporation
Wenn man jemandem ein Kompliment machen muss, dann dem Animationsteam, welches sich für Dawn of the Dinosaurs wirklich ins Zeug gelegt hat. Die Unterwelt erscheint lebendig, was in 3D vermutlich auch den einen oder anderen Skeptiker milde stimmen dürfte, und besticht durch beinahe makellose Formen und Konturen. Damit ist das Studio insofern ungefähr auf der Höhe von Pixars Ratatouille (2007) angekommen – immerhin.

Nach DreamWorks scheitert somit aber auch Fox kläglich beim Versuch, Pixar das Wasser zu reichen. Doch sieht man sich Dawn of the Dinosaurs an, dann fragt man sich, ob sich die Produzenten wirklich grosse Mühe gegeben haben. Die spannungs- und humorfreie Story, gespickt mit kitschigen Szenen en masse, sieht danach aus, als ob man sich im Hauptquartier von Fox auf die Beliebtheit der Marke verlassen und einen Prakitkanten dafür bezahlt hätte, schnell ein Drehbuch zusammenzuschustern. So sehnt man sich während dieses viel zu langen Films ständig nach dem Abspann. Dass in demselben grundlos getanzt wird, ist einem dann auch egal.

★★