Love in the Time of the Great Depression: John Dillinger (Johnny Depp) hat sich in Billie (Marion Cotillard) verliebt, wird aber andauernd verfolgt. Dies ist Billie (Marion Cotillard) aber herzlich egal, da er sie fasziniert.
4 Sterne
Die Amerikaner sind ein illustres Völkchen. Während der grossen Wirtschaftskrise, die von 1929 bis in die frühen 1940er Jahre andauerte, machten brutale Gauner das Land der unbegrenzten Möglichkeiten unsicher. Ähnlich wie die Outlaws aus dem 19. Jahrhundert, die vom Westerngenre schon unzählige Male abgefeiert und verklärt wurden, raubten sie Banken aus und töteten dabei auch unschuldige Menschen. Doch die Symbolkraft dieser Aktionen schien wichtiger zu sein als die Anzahl toter Zivilisten. Die Auflehnung gegen die reiche Obrigkeit beeindruckte in den frühen 30er Jahren ein ganzes Land und die Gangster wurden bejubelt - die Todesopfer machten alles nur dramatischer. Michael Mann erzählt mit seinem Film Public Enemies diesen turbulenten Abschnitt der amerikanischen Geschichte am Beispiel von John Dillinger. Diese routinierte Aufarbeitung kommt episch, aber chaotisch daher.
Dass Michael Mann ungewöhnliche Geschichten erzählen kann, hat er schon mehrfach bewiesen. So inszenierte er zum Beispiel den Kultfilm Heat oder den spannungsgeladenen Thriller Collateral. Aber Mann hat in seiner Karriere nicht nur Hits produziert. Immer mal wieder wurde der Kinozuschauer mit mehr oder minder mittelmässigen Streifen wie Miami Vice oder The Insider abgespeist. Ob Public Enemies in die Kiste des Mittelmasses gehört oder der grösste Film über die Outlaws der Great Depression seit Bonnie and Clyde ist, wird unter Kinofans zurzeit eifrig diskutiert. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den beiden Polen, da der Film grandiose und mittelmässige Aspekte gleichermassen zu bieten hat.
Es ist wahrscheinlich das Beste, bei den Schauspielern anzufangen. Der Cast von Public Enemies spielte nämlich bei der Promotion des Films eine zentrale Rolle. Und es kann wohl niemand abstreiten, dass die beiden männlichen Hauptfiguren - zumindest vom finanziellen Standpunkt aus gesehen - perfekt gecastet sind. Es gibt momentan wohl keinen beliebteren Hollywood-Schauspieler als Johnny Depp. Damit ist es schon so gut wie sicher, dass seine gesamte Fangemeinde ins Kino strömt. Ob es den vornehmlich weiblichen Fans letztendlich gefällt, kann dem Studio herzlich egal sein. Depps Gegenpart ist ebenfalls eine potentielle Goldgrube. Christian Bale hat mit seiner Rolle als Batman in Batman Begins und The Dark Knight den Durchschnittskinogänger auf sich aufmerksam gemacht. Seitdem lässt sich sein Name problemlos vermarkten. Sind die beiden Akteure aber auch das Geld wert, welches sie die Produzenten kosteten (denn grosse Namen sind, wie man weiss, nicht gratis)? Die Frage kann man ohne weiteres mit Ja beantworten. Vor allem Johnny Depp liefert eine Performance ab, die John Dillinger ein durchaus menschliches Antlitz verleiht. Der stetige Gefühlswechsel zwischen Selbstsicherheit und Selbstzweifel wird von Depp sehr gut interpretiert. Doch auch Bale macht seine Sache mehr als gut. Als rastloser FBI-Inspektor weiss der Schauspieler zu glänzen. Neben diesem Duo, welches sich auf der Leinwand einen glaubwürdigen Psychokrieg liefert, geht die zurückhaltend wirkende Marion Cotillard beinahe unter. Aber trotzdem beweist sie auch in Public Enemies ihr enormes Talent. Für La Môme bekam sie einen Oscar, für Manns Film dürfte zumindest eine Nomination im Bereich des Möglichen liegen. Abgesehen vom Trio Depp/Bale/Cotillard gibt es keine erwähnenswerte Leistungen, wohl aber nennenswerte Auftritte. So verkörpert Billy Crudup den legendären FBI-Chef J. Edgar Hoover, was sich auf jedem Bewerbungsschreiben sehen lässt, und Giovanni Ribisi ist in der Rolle des Gauners "Creepy Karpis", der erst 1979 starb und als letzter "Public Enemy" gilt, zu sehen.
Der Grund, weshalb das Gros der Schauspielleistungen aus Public Enemies nicht im Gedächtnis haften bleibt, ist die Indifferenz, mit der die verschiedenen Figuren angegangen werden. Dies zeigt sich bei den Schiessereien besonders stark. Wer wen umbringt und ob jemand von Bedeutung erschossen wurde, bleibt fast gänzlich im Dunkeln. Da täuscht auch die stellenweise eingesetzte Wackelkamera, die eines Epos nicht würdig ist, nicht über den Fakt hinweg, dass der Zuschauer wirklich nur Zuschauer ist. Zwar findet diese Kameraführung in den meisten positiven Rezensionen zu Public Enemies Erwähnung, doch die Dissonanz zur opulenten Fotografie, die man im Rest des Films vorfindet, ist zu gravierend. Wenn der Kamerameister Dante Spinotti mit der Handkamera auffährt, fühlt man sich trotz aller Nähe hoffnungslos verloren. Logisch, die Anonymität der Opfer, egal ob Ganove oder Ordnungshüter, ist Teil des Konzepts des Streifens. Die verwirrende Ära der Wirtschaftskrise und der Prohibition wird mit filmischen Mitteln dargestellt. Doch mehr als ein anerkennendes Nicken wird dieser Kunstgriff dem Publikum nicht entlocken. Es stellt sich die Frage, ob eine zuschauerfreundlichere Umsetzung nicht lohnenswerter gewesen wäre.
Zugegeben, schlecht ist Michael Manns neuster Streich überhaupt nicht. Sieht man von den erwähnten Mängeln ab, ist Public Enemies ein unterhaltender und meisterhaft gemachter Gangsterfilm. Dante Spinottis Kameraführung ist, wenn sie nicht wackelt, einsame Klasse und versetzt einen mühelos in die USA von 1933. Auch William Ladd Skinners und Patrick Lumbs Ausstattung ist schlichtweg brillant. Autos, Gebäude und Inneneinrichtungen sehen unglaublich echt aus, schreien nach Oscar und erfreuen das Herz des nostalgischen Kinogängers. Und auch die Kostümdesignerin Colleen Atwood darf auf ein Goldmännchen, es wäre bereits ihr drittes, hoffen. Neben diesen eher kleinen Vorzügen glänzt Public Enemies aber auch in einer grösseren Disziplin: Das Drehbuch, basierend auf Bryan Burroughs Buch, geschrieben von Ronan Bennett, Ann Biderman und Michael Mann selbst, ist voll von Verweisen auf die amerikanische Kriminellenszene der 1930er Jahre. Persönlichkeiten wie "Baby Face" Nelson, den man vielleicht noch aus O Brother, Where Art Thou? kennt, "Pretty Boy" Floyd oder Tommy Carroll wurden bravourös in das Skript eingearbeitet. Zudem wird einem die Liebesgeschichte zwischen John Dillinger und Billie Frechette ganz ohne Kitsch präsentiert.
Mit Public Enemies verhält es sich ähnlich wie mit Watchmen: Der neutrale Kritiker wird den Film gut finden, mehr nicht. Als Ganzes handelt es sich sicher nicht um ein Meisterwerk, dazu geht es an einigen Stellen zu schnell und zu unübersichtlich zu und her. Doch in Einzelteilen beweist Public Enemies nichts anderes als Brillanz (Ausstattung, Kamera). Geschichtlich Interessierte werden Gefallen am Plot finden, Actionliebhaber werden die Schiessereien lieben und Cinephile werden sich an Dante Spinottis wunderbar komponierten Bildern nicht sattsehen können. Michael Mann hält einmal mehr für jeden etwas bereit.