"Och, hattu dir dat Köpfchen angehauen...?" Gitti (Birgit Minichmayr) neckt ihren Freund Chris (Lars Eidinger) nach dessen Missgeschick, was ihm nicht besonders gefällt. Kann die Entfremdung noch gestoppt werden?
3 Sterne
Es ist tragisch, wenn einem Film der Erfolg deswegen verwehrt wird, weil er zu publikumsunfreundlich gemacht ist. Klar, es gibt Werke, die zwar mehr oder minder bewusst am Zuschauer vorbeiproduziert sind - Michael Manns Thriller Public Enemies oder Tony Gilroys Anwaltsdrama Michael Clayton zum Beispiel -, aber dennoch einen genug fesselnden Inhalt haben, um zu beeindrucken. Bei dermassen grossen Themen ist die Distanz zum Publikum auch als fortgeschrittenes Stilmittel zu interpretieren. Doch man braucht kein Filmkenner zu sein, um zu erraten, dass solche Extravaganzen einem deutschen Independentfilm nicht allzu gut zu Gesicht stehen. Entsprechend ist Maren Ades neuster Film, Alle Anderen, in welchem fast über die ganze Länge nur zwei Personen zu sehen sind, nicht der grosse Renner, als solcher er einem von verschiedenen Seiten angepriesen wurde.
Der Plot von Alle Anderen ist weder neu noch sonderlich originell: Ein Pärchen macht Ferien. Sie pflegt einen eher verrückten Lebensstil, während er der Langweiler aus dem Bilderbuch ist. Reibungen und Spannungen sind vorprogrammiert. Hm, hat man diese Ausgangssituation nicht schon mindestens zehnmal in ähnlicher Form gesehen? Doch, aber die veraltete Geschichte von Alle Anderen ist für einmal nicht der Grund, weshalb man das Kino mit gerunzelter Stirn verlässt. Aber der Reihe nach: Man kann viel über die Fehler von Ades Film schreiben, doch es ist nicht so, dass er nicht auch seine positiven Aspekte hat. Zwar sind diese vornehmlich in der Form zu finden, doch sie sorgen immerhin dafür, dass sich Alle Anderen auf keiner Flop-Liste am Ende des Jahres wiederfinden muss.
Symptomatisch für Maren Ades Film ist das von ihr selbst geschriebene Skript. Einerseits brilliert dieses durch lebensechte und beklemmende Dialoge, andererseits aber wird dieser Vorzug derart überstrapaziert, dass - das prägnante Modewort sei dem Schreibenden verziehen - der Fremdschämfaktor die Schmerzgrenze übersteigt. Natürlich ist dies das kleinere Übel als, sagen wir, schlechte Schauspieler oder eine übertrieben wackelige Kamera. Aber es tut dem Filmgenuss dennoch einen Abbruch. Die Kunst des realistischen Schreibens liegt nicht zuletzt darin, es nicht zu übertreiben. Doch abgesehen davon kann man sich über die Dialoge von Ade nicht weiter aufhalten. Die teils recht kryptische Handlung ist eher ein Grund zur Kritik. Alle Anderen wechselt den Tonfall quasi im 5-Minuten-Takt. Damit wurde zwar eine schöne Brücke zur dargestellten Beziehung geschaffen - eine, formal gesehen, gekonnte Parallele - doch es verleiht dem Film eine ganz eigene Art der Sprunghaftigkeit und Inkohärenz. Im einen Moment schäkert sie mit einem Kind herum, in einem anderen läuft er ohne Vorwarnung ungespitzt in eine Glastüre. Eine Szene, die besser in einen Slapstick-Film als in ein Beziehungsdrama passen würde.
Auch schauspielerisch überzeugt Alle Anderen nicht zu 100%. Birgit Minichmayr, zuletzt herrlich in Der Knochenmann, macht das Beste aus ihrer sehr verqueren Figur - sie wurde an der Berlinale dafür mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet - und verleiht dem Film eine gewisse schauspielerische Klasse. Ihr Partner jedoch, Lars Eidinger, macht kaum etwas. Er steht apathisch in der Landschaft herum, er mahnt seine Freundin, sich nicht so seltsam aufzuführen, und er läuft in Glastüren und schlägt sich dabei die Stirn auf (siehe oben). Man kann zwar zumindest halbwegs die Figur dafür verantwortlich machen, doch auch so spielt Eidinger das Talent, welches ihm zweifelsohne innewohnt, überhaupt nicht aus. Die weiteren für die Handlung wichtigen Schauspieler sind nicht besonders zahlreich, sodass sie hier auch noch den ihnen zustehenden Platz erhalten. Hans-Jochen Wagner spielt Hans, die etwas unsympathische Nemesis von Chris (Lars Eidinger). Er macht seine Sache relativ gut und ist bei jedem seiner wenigen Auftritte eine Bereicherung, was aber vielleicht auch daran liegt, dass man als Zuschauer froh ist, für einmal jemand anderen als Eidinger und Minichmayr auf der Leinwand zu sehen. Hans' schwangere Frau Sana wird von Nicole Marischka verkörpert. Sie ist eine blasse Bourgeoise, die von Marischka ebenso blass dargestellt wird. Die Figur Sana ist wohl auch der satirischste Teil von Alle Anderen. Die langweiligste Figur von allen - ja, sie schlägt sogar Chris - wird als die Traumpartnerin per se hingestellt, was einer Birgit Minichmayr selbstredend nicht in den Kram passt.
Ein zweifelhaftes Kompliment muss dem Kameramann Bernhard Keller gemacht werden. Seine Bilder sind zwar stimmig, haben aber den Anschein, als würde sich auf Sardinien, wo der Film spielt, hinter jeder Ecke ein Killer lauern, so roh ist Alle Anderen fotografiert. Vergleichbare Kameraführungen findet man in der Regel in amerikanischen Schlitzerfilmen. Auch schafft Keller es, dem Ferienparadies Sardinien jegliche Idylle zu nehmen. Ein farbloser Himmel und flimmernde Luft erinnern überraschend stark an Filme über den Irakkrieg.
Es muss bemerkt werden, dass Alle Anderen für eine Altersgruppe gemacht ist, der der Schreibende noch lange nicht angehört. Die gemeinsamen Ferien, der Wunsch, wie "alle Anderen" zu sein, gegenseitiges Desinteresse und Unverständnis, dies sind alles Themen, mit denen sich jemand, der auf der Schwelle zur Volljährigkeit steht, nur bedingt identifizieren kann. Aber trotzdem darf die Frage gestellt werden, warum sich Alle Anderen fast jeglicher erzählerischer Ästhetik entzieht. Maren Ade verzichtet auf viel Dramaturgie und erzählt dafür lieber von abstrusen und unfreiwillig komischen Missgeschicken, überempfindlichen Charakteren und einer ungeschnittenen Outdoor-Sexszene, welche einfach nur obsolet wirkt. Und Gespräche über Geschlechtsteile sind auch nur ansatzweise interessant.
Stark gekürzt wäre Alle Anderen als Bewerbungsfilm für eine Filmakademie zweifellos geeignet. Doch als abendfüllender Kinofilm fällt Maren Ades dritter Film in wichtigen Punkten durch. Einige Stilmittel werden zu exzessiv bemüht, andere zu wenig; sinnvollen Konventionen, wie zum Beispiel einem Handlungsmotor, wurde getrotzt und als Helden wurden zu unsympathische Schnittmuster benutzt. Kurz: Alle Anderen hat auf der formalen Ebene viel Gutes zu bieten, versagt aber letztendlich beim Versuch des Spagats zwischen akademischem Kunst- und unterhaltendem Kinofilm.
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