Nun schlagen die Juden zurück: Der "Bärenjude" Donny Donowitz (Eli Roth, links) und Lt. Aldo Raine (Brad Pitt) knöpfen sich mit ihrem Trupp Nazis vor.
4.5 Sterne
Dass Quentin Tarantino ein Legastheniker ist, sehen wir für einmal schon dem Titel seines Films an. Dabei es handelt sich nicht einmal um einen Fehler seinerseits. Es ist lediglich eine Hommage an den Videoverleih, in welchem er einmal gearbeitet hat, wo das Vorbild für Inglourious Basterds, der "Makkaroni-Kriegsfilm" The Inglorious Basterds - Originaltitel: Quel maledetto treno blindato - mit dem "ou"-Schreibfehler im Verzeichnis stand. Das Vorbild war bereits mehr oder weniger eine B-Film-Verarbeitung von Robert Aldrichs Klassiker The Dirty Dozen und wurde nun durch den Kultregisseur Tarantino noch einmal aufgepeppt. Viele Stars haben sich zusammengefunden, um einen Film zu drehen, der sich überhaupt nicht ernst nimmt, eine Seltenheit bei Tarantino, und Filmanspielungen en masse zu bieten hat. Leider kommen sich die beiden Plots stellenweise arg in die Quere.
Quentin Tarantinos Filme sind Geschmackssache. Die einen sehen in ihm den Messias des post-postmodernen Films, während andere ihn als klauenden Filmkenner verdammen. Beide Standpunkte haben ihre Berechtigung, doch die Verfechter der beiden werden sich bei ihrem Verdikt über Inglourious Basterds wohl einig sein. Denn Tarantinos neuster Film verbindet geschickt opulenten Stil mit Anleihen aus der Filmhistorie. Dies fängt schon beim Prolog an. Sieht man sich diesen genau an, ist er im Prinzip nichts anderes als eine Neuinterpretation und eine Mischung gleichermassen aus den berühmten Eingangssequenzen von The Good, the Bad and the Ugly und Once Upon a Time in the West - Vorlagen, die während des ganzen Films immer wieder aufgegriffen werden. Und selbst Louis de Funès ist vor einer Verneigung Tarantinos nicht sicher, da der Plan, der im letzten Akt im Zentrum steht, doch starke Ähnlichkeit mit La grande vadrouille hat.
Auch der Rest des Films ist gespickt mit vor Spannung knisternden Szenen und zuweilen genialen Dialogen. Diese sind die wahre Stärke von Tarantinos Skript. Der Dialogfilm wurde aus Hollywood quasi verbannt. Inglourious Basterds aber bringt diese Form des Drehbuchs in einer Extremform zurück auf die Leinwand. Der Film besteht grundsätzlich aus nichts anderem als spannenden Gespräche, die mitunter auch länger als eine Viertelstunde dauern und den Zuschauer überhaupt nicht langweilen. Zu einem fantastischen Skript fehlt dem Film aber leider die überzeugende Handlung. Die beiden Plots, die Tarantino präsentiert, passen nicht wirklich zueinander und verleihen Inglourious Basterds eine gewisse Dissonanz. Neben der frech und rebellisch wirkenden Basterds-Geschichte wirkt der etwas ernstere und getragenere Plot der auf Rache sinnenden Jüdin teilweise etwas schwerfällig. Wie das Ganze aber zu Ende geführt wird, ist stilvoll, brutal, historisch absolut verkehrt, filmgeschichtlich einwandfrei und unglaublich unterhaltsam.
Die illustren Charaktere und die Schauspielleistungen sind eine Sache für sich. Hans Landa zum Beispiel ist ein kühler, kalkulierender, blitzgescheiter Opportunist, der ohne mit der Wimper zu zucken sein Land verkauft. Gespielt wird er von einem hervorragend aufspielenden Christoph Waltz, der, egal ob er Deutsch, Englisch, Französisch oder Italienisch spricht, den Kinozuschauer an seinen Sitz fesselt. Waltz ist ein Filmschauspieler par exellence. Aus zurückhaltender Mimik und Gestik holt er das Maximum heraus. Seine Performance wird ihm mindestens eine Oscarnomination einbringen (ja, es ist wieder soweit, Filme müssen mit den Academy Awards im Hinterkopf besprochen werden). Während Waltz' Leistung jeden Filmkenner erfreut, unterhält Brad Pitt das gesamte Publikum. Aldo Raine ist ein selbstbewusster Yankee mit Apachenblut, der in jeder Lage cool wirkt. Egal ob er seine Männer à la The Dirty Dozen - mit den haargenau gleichen Einstellungen, wohlgemerkt - auf ihren Auftrag einschwört ("We'll be doing one thing and one thing only: Killing Nazis.") oder sich mit fürchterlichem Italienisch durch ein Gespräch mit Hans Landa ringt - die lustigste Szene des Films. Pitt hatte offensichtlich Spass an diesem Part und spielt Raine entsprechend enthusiastisch. Er und Waltz sind definitiv die schauspielerischen Highlights von Inglourious Basterds. Doch der Reigen der Stars hört bei diesem Duo noch längst nicht auf. Diane Kruger spielt eine waschechte Femme fatale, die Aldo Raine in Sachen Coolness in fast nichts nachsteht - ihr Schauspiel wirkt stellenweise aber leider etwas gestellt -, Eli Roth verkörpert Raines rechte Hand, den "Bärenjuden", der seine Opfer mit einem Baseballschläger bearbeitet - die entsetzten Geräusche und Gesichter im Kino sind vorprogrammiert - und Til Schweigers Figur Hugo Stiglitz, welche wie Giulio Andreottis Kabinettsmitglieder in Il divo vorgestellt wird, scheint ihm auf dem Leib geschrieben zu sein - ein überdurchschnittlich gewalttätiger deutscher Deserteur, der kaum einen Ton von sich gibt. Wer Schweigers relativ beschränktes schauspielerischers Talent kennt, weiss, dass er gut daran tut, wenn er wenig zu sagen hat. Daniel Brühl hingegen macht seine Sache nur mässig gut, was zur Folge hat, dass einem sein Frederick Zoller nach kurzer Zeit schon auf die Nerven geht. Entsprechend feuert man Shosanna Dreyfus, stark gespielt von Mélanie Laurent, innerlich an, als sie schliesslich die Waffe auf ihn richtet. Auch die zahlreichen Gastauftritte tragen zum Reiz des Films bei. So gibt Martin Wuttke Hitler der Lächerlichkeit preis - und das mit einer Stimme, die ganz eindeutig an Bruno Ganz in Der Untergang erinnert -, Mike Myers mimt einen britischen General und Bela B. Felsenheimer durfte einen Platzanweiser spielen, während der Regisseur von Quel maledetto treno blindato, Enzo G. Castellari "sich selbst" zum Besten gibt.
Inglourious Basterds ist überdies fantastisch bebildert und geschnitten. Robert Richardson beweist beim Versuch, Aufnahmen, die man in einem Western vermuten würde, mit typischen Kriegsfilmeinstellungen zu verbinden, ein gutes Händchen. Es ist nicht zuletzt seinen Einstellungen zu verdanken, dass man den langen Dialogen eifrig folgt. Unterstützt wird diese Leistung von Sally Menkes Schnitt, der mehrmals sehr fantasievoll Szenen miteinander verbindet. Und um die Lobgesänge abzurunden, soll auch noch der von Tarantino ausgewählte Soundtrack/Score erwähnt werden. Dieser ist wie immer sehr eklektisch, verfehlt seine Wirkung aber überhaupt nicht. Allein schon "The Verdict" von Ennio Morricone ist das Eintrittsgeld wert. Zwar hätte Morricone ursprünglich den ganzen Score komponieren sollen, musste aus Zeitgründen aber absagen. Schade drum.
Ja, Inglourious Basterds ist ein mehr als nur guter Film, man könnte sogar sagen, er sei Quentin Tarantinos bester. Der Regisseur hat sich für einmal nicht bei anderen Filmen bedient, sondern die Anspielungen wirklich als Hommagen eingesetzt. Man ist sich stellenweise zwar nicht sicher, ob man sich nun in einem Pseudokriegsfilm, einer Parodie oder einem Thriller befindet, doch diese Unentschlossenheit des Films wird durch herrlich gestreckte Dialoge, grösstenteils gute Schauspielleistungen und genüsslich gezeigter Gewalt wettgemacht. Zudem bietet Inglourious Basterds eine gelungene Umschreibung der Geschichte, die jedem gefallen wird, der genug von den historisch korrekten Filmen über den Zweiten Weltkrieg hat.