Auf der Flucht: Roger Thornhill (Cary Grant) wird für einen gewissen George Kaplan gehalten, der nirgendwo zu finden ist. Infolgedessen wird er von Kriminellen und der Polizei gleichermassen gesucht.
5 Sterne
Alfred Hitchcock ist eine Ikone der Filmwelt und gehört zweifellos zu den besten Regisseuren aller Zeiten. Seine Filme geniessen Kultstatus, sie wurden unzählige Male zitiert und sein Œuvre kann einige Szenen vorweisen, die sich zu Musterbeispielen für meisterhaftes Filmemachen gemausert haben. Doch welches seiner vielen Werke das beste ist, darüber ist sich niemand so richtig einig. Die einen optieren für Rear Window, der unterschwellig den Voyeurismus thematisierte, andere sehen im vertrackten Vertigo Hitchcocks Meisterstück, wieder andere bevorzugen Psycho, der mit einer schönen Menge von Filmkonventionen brach und damit die Massen schockierte. Aber auch North by Northwest taucht immer wieder in dieser Diskussion auf. Es handelt sich dabei um einen ironischen Agentenfilm mit einmaligen Bildern, legendären Schauplätzen und einer spannenden Geschichte.
Es gibt Filmszenen, die im Laufe der Zeit zu Legenden avancieren: der Schluss von Casablanca zum Beispiel, der Kletterakt auf das Empire State Building im originalen King Kong, der Mord in der Dusche in Psycho oder der Angriff des Flugzeugs in North by Northwest. In dieser Szene ist erkennbar, welch ein genialer visueller Cineast Alfred Hitchcock wirklich war. Er lässt seine Hauptfigur Roger Thornhill fast acht Minuten im Niemandsland herumstehen und warten, bevor sich ein Agrarflugzeug in der Ferne in seine Richtung zu bewegen und ihn anzugreifen beginnt. Die wilde Hatz endet abrupt, als der Flieger mit einem Tanklaster kollidiert und in Flammen aufgeht - ein Effekt, den man so in einem Film von 1959 nicht unbedingt erwarten würde. Die Art, in der diese zehn Minuten komponiert sind - der Verzicht auf jegliche Musikuntermalung, das Spielen mit der Erwartung des Zuschauers und die finale Explosion resultieren in eine der wirkungsvollsten Szenen der Filmgeschichte. Allein diese eine Sequenz ist die Visionierung von North by Northwest wert. Doch wer Hitchcock kennt, weiss, dass seine Filme weitaus mehr hergeben als bloss die Szenen, für die sie berühmt sind. So ist North by Northwest ein Film, der das bewährte Muster von The Wrong Man aufgreift und damit spannende und kurzweilige Unterhaltung bietet.
Für das Drehbuch war hier Ernest Lehman verantwortlich, natürlich unter dem wachsamen Auge von Meister "Hitch". Würde dieser Film heute gedreht, würde alle Welt über den Plot lachen. Denn dank einer Reihe von James-Bond-Filmen sind für uns Agentenfilme mit klassischen Bösewichten, Verwechslungen, Landesverrat und brisanten Mikrofilmen nichts Neues mehr. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - funktioniert Lehmans Story, die Klischees grösstenteils zu umgehen weiss. Selbst die dazugedichtete Liebesgeschichte des Helden mit einer von Hitchcocks berühmten Blondinen wirkt nicht gezwungen und tut der Handlung sogar gut. Selbstverständlich ist das Ganze durch und durch künstlich. Nur ein Narr würde in North by Northwest - oder überhaupt in einem Film Hitchcocks - nach Realismus suchen. Denn auch hier ist die Geschichte bloss das Mittel zum Zweck. Die Story liefert lediglich den Stoff, den der Regisseur brauchte, um seine ureigene Vision von filmischer Eleganz umsetzen zu können. Nichtsdestoweniger ist Ernest Lehman ein stringentes und überaus ansprechendes Skript mit guten Dialogen, wunderbar herbeigeführten Situationen - etwa diejenige, in welcher Thornhill zum gejagten Mörder wird -, gut nachvollziehbaren Wendungen und viel Humor gelungen. Hie und da werden einzelne Szenen etwas zu stark gestreckt und gegen Ende verliert der Film etwas an Elan, doch dies ist vergeben und vergessen, wenn sich die Protagonisten einen halsbrecherischen Kampf ums Überleben auf dem Gipfel und den Präsidentenköpfen des Mount Rushmore liefern.
In North by Northwest arbeiteten Alfred Hitchcock und Cary Grant bereits zum vierten und gleichzeitig letzten Mal zusammen. Und Grant beendet hier diese Zusammenarbeit mit einer wahrlich hervorragenden Leistung. Grants trockene Sprüche, seine Glanzideen und seine etwas unwürdigen Aktionen - man denke nur an seinen Aufenthalt im geschlossenen Klappbett - machen aus Roger Thornhill eine Figur, der man bald von ganzem Herzen wünscht, sie möge unversehrt aus der Sache herauskommen. Es mag keine Performance sein, die einem Schauspieler einen Oscar einbringt - entsprechend war Cary Grant auch nicht nominiert -, aber es ist eine, die den Zuschauer nicht lange nach einer Identifikationsfigur suchen lässt. So gesehen ist es sicher nicht verkehrt, George Clooney als den wahren Erben Grants zu bezeichnen. Aber auch die weibliche Hauptfigur weiss zu überzeugen. Eva Marie Saint, die man heutzutage meistens als die Mutter einer Hauptfigur zu Gesicht bekommt - Superman Returns, Don't Come Knocking -, übernimmt hier die Rolle der Hitchcock-Blondine. Saint überzeugt als Eve Kendall und überrascht anfangs als eigenständige und starke Frau - ein Bild, das man im Kino der 1950er Jahre nicht oft zu Gesicht bekam. Leider verfällt sie am Ende aber dennoch etwas in alte Muster. Schauspielerisch gibt es daran aber nichts auszusetzen. Im Gegenteil, sie verleiht ihrer Figur sehr viel Tiefe. Den Part des Bösewichts übernahm der Brite James Mason, der mit Vandamm einen kalkulierenden und ausgekochten Kriminellen spielt, den Goldfinger bewundert hätte. Seine rechte Hand wird übrigens von Martin Landau verkörpert, der knapp 30 Jahre später den Oscar für seine Verkörperung von Bela Lugosi in Ed Wood erhielt. Und man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass er in jungen Jahren tatsächlich grosse Ähnlichkeit mit dem etwas verrückten Vampirfürsten hatte.
North by Northwest ist berühmt für seine legendären Einstellungen und seine Bildkompositionen. Robert Burks, der für die Kamera zuständig war, hat tatsächlich erstklassige Arbeit geleistet. Besonders die oben erwähnte Flugzeugszene zeugt von einem hervorragenden Auge. Das Spiel mit Nahaufnahmen, die auch in einen Western von Sergio Leone passen würden, und den Totalen, welche die Einsamkeit der Hauptfigut unterstreichen, erzielt einen unglaublichen Effekt.
North by Northwest ist ein unbestrittener Klassiker der Filmgeschichte und des "Hitch"-Kanons. Die Story um eine fatale Verwechslung, die in eine wilde Verfolgung durch den Norden der USA mündet, ist zeitlos und blieb vom Zahn der Zeit quasi unbehelligt. Alfred Hitchcock hat hier alle seine Stärken ausgespielt und konnte auf einen gut aufgelegten Cast zurückgreifen. North by Northwest ist ein grossartiges Kinostück, welches jeder Cinephile gesehen haben muss. Es ist eine meisterhaft inszenierte Stilübung, die auf höchst erfolgreiche Weise mit dem Filmkunstvokabular spielt.
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