Zu sagen, dass sich Russells Film über diese Dinge hinwegsetzt, wäre eine Fehleinschätzung. Die Geschichte des Weltergewichtsboxers Micky Ward, der 2000 überraschend Weltmeister wurde, enthält sämtliche Ingredienzien für einen typisch amerikanischen – sprich pathetischen – Sportfilm. Doch The Fighter konzentriert sich auf Wards nächstes Umfeld, in welchem während der Neunzigerjahre schlimmste Spannungen herrschten und konstruiert daraus ein sportliches Familiendrama, das so packend und mitreissend ist wie ein Boxkampf.
Beneiden kann man Micky Ward um seine Familie, wie sie einem in The Fighter präsentiert wird, nicht: Seine Mutter Alice (Melissa Leo) ist ein tyrannischer Haudegen, mit dem man sich auf keinen Fall anlegen sollte – eine Erfahrung, die Mickys Vater George (Jack McGee) merhmals macht. Seine sieben Schwestern sind vom gleichen Kaliber wie Alice; und sein Halbbruder Dicky (Christian Bale) ist ein cracksüchtiger Angeber, der noch immer die Illusion hegt, eines Tages zum Profiboxen zurückzukehren. Und in Mickys Fall besteht nicht einmal die Chance, Verwandschaft und Sport zu trennen, da seine Karriere wie ein Familienunternehmen geführt wird: Alice fungiert als Managerin, Dicky als Trainer und George als Berater, auf den niemand hören will. Und sie alle wollen nur das Beste für Micky, ob es ihm passt oder nicht.
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Doch diesbezügliche Probleme werden durch das Herzstück von The Fighter – das zentrale Familienkonstrukt – spielend leicht vergessen gemacht. Das Autorentrio hat bei der Charakterzeichnung ganze Arbeit geleistet: Die Charakterisierungen sind von Mike Leigh'scher Genauigkeit und Beobachtungsgabe und zeigen einem hinter jeder Figur eine glaubwürdige Motivation, eine tragische Seite, sodass man selbst mit einer im Grunde unausstehlichen Person wie Alice durchaus mitfühlen kann.
Trotzdem ist der Sympathieträger des Films eindeutig Micky. The Fighter konzentriert sich auf seinen Reifeprozess, den körperlichen – Trainingsmontagen sind keine Mangelware – wie den emotionalen, der aufzeigt, wie er sich nach und nach von seiner Familie distanziert und schliesslich stabil genug ist, sich ihr wieder zu nähern und ihr klarzumachen, dass er derjenige ist, der sich um ihr finanzielles Auskommen kümmert und deshalb im Gegenzug auch das Recht hat, dass seine Meinung gehört und akzeptiert wird.
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Die Skriptschreiber belassen es aber nicht bei der Behandlung von Mickys Konflikt mit seiner Familie. Sein Aufstieg, Niedergang und erneuter Aufstieg in der Welt des Boxens wird zum Katalysator für sämtliche schwelenden Auseinandersetzungen der Ward-Sippe: Vater George versucht verzweifelt, Micky aus dem Würgegriff seiner Frau zu befreien; die sieben Schwestern sehen sich durch Charlene bedroht; und Alice hat die Hoffnung, dass Mickys Erfolg Dicky irgendwie von der Crackpfeife befreien kann – vergeblich, denn Dicky landet für eine gewisse Zeit im Gefängnis, in welchem allerdings seine Katharsis, die, wie Mickys Reifeprozess, eine physische sowie eine emotionale Seite hat, seinen Lauf nimmt. Insbesondere letztere Konstellation ist von beeindruckender Intensität, wohl nicht zuletzt dank der grandiosen schauspielerischen Leistungen von Melissa Leo und, vor allem, Christian Bale, dessen Rastlosigkeit perfekt zum Tempo von The Fighter passt. Die Szenen, die sich die beiden teilen, gehören zu den bewegendsten des Films – etwa wenn Alice weinend im Auto sitzt, weil sie Dicky wieder in einer Crackhöhle gefunden hat, und er sie aufheitern will, indem er "I Started a Joke" zu singen beginnt.
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In Zeiten der Wirtschaftskrise ist es verlockend, The Fighter der momentanen gesellschaftlichen Befindlichkeit in den USA gegenüberzustellen, wie es diverse Kritiker getan haben. Tatsächlich liesse sich David O. Russells achter Film problemlos als Parabel für die Durchsetzungskraft des Starken in Zeiten der Schwäche hinstellen. Doch das ist im Grunde genommen gar nicht nötig, denn auch ohne diese doppelbödige Interpretation ist The Fighter ein gehaltvoller, eindringlicher und gleichzeitig durch und durch traditioneller Boxstreifen, der durch ein atemberaubendes Tempo, starke Charaktere und genuine Dramatik besticht. Insofern liegt er nahe an Martin Scorseses Raging Bull, auch was die Qualität anbelangt, da auch hier die Menschen und nicht der Sport im Mittelpunkt stehen. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn sich zukünftige Sportfilme eine Scheibe von The Fighter abschneiden würden.
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