Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Vor zwei Jahren wagte sich Drew Barrymore erstmals auf den
Regiestuhl. Und siehe da: Das Resultat lässt sich sehen – endlich
auch hierzulande. Obwohl sie mit der Teenager-Saga Whip It das
Rad nicht neu erfindet, fällt es schwer, sich dem Charme des Films
zu entziehen.
"Deprimierend", "am Ende der Welt" und voll von "rassistischen Hinterwäldlern"
– so "besingt" die 17-jährige Bliss Cavendar (die famose Ellen
Page) ihren Wohnort Bodeen, eine weisse Suburbia nahe der texanischen
Hauptstadt Austin, zur Melodie von Dolly Partons Country-Hit "Jolene". Das Kaff ist fürwahr nicht der Traum eines
orientierungslosen, unscheinbaren und gelangweilten Teenagers.
Ausstiegschancen bieten sich kaum, ausser in Form einer
College-Anmeldung, wofür Bliss sich aber nicht richtig begeistern
kann. Stattdessen arbeitet sie mit ihrer besten Freundin und
Mit-Aussenseiterin Pash (Alia Shakwat) im lokalen
Fast-Food-Restaurant und macht, ihrer traditionell gesinnten Mutter
Brooke (eine starke Marcia Gay Harden) zuliebe, bei
Schönheitswettbewerben mit. Als Bliss sich aber eines Tages auf
Shoppingtour in Austin befindet, wird sie auf eine Gruppe von Frauen
mit bunten Haaren, schrillen Outfits und 1970er-Rollschuhen
aufmerksam – ein Roller-Derby-Team. Fasziniert von deren
Unabhängigkeit und frechen Einstellung schnappt sie sich Pash und
besucht heimlich ein Spiel. Der Sport begeistert sie sofort,
woraufhin sie ihr Alter fälscht und ein Probetraining der "Hurl
Scouts", der schlechtesten, aber gleichzeitig beliebtesten Truppe
der Liga, besucht. Dort fällt sie durch ihr Talent auf und wird
prompt ins Team aufgenommen. Bei Maggie Mayhem (Kristen Wiig),
Smashley Simpson (Drew Barrymore) & Co., ihren neuen
Kolleginnen/Idolen, fühlt sich Bliss zwar so wohl wie nie zuvor,
distanziert sich damit aber auch von ihrer Familie, da diese nichts
von der "ungebührlichen" sportlichen Aktivität ihrer ältesten
Tochter wissen darf.
Neu ist die Geschichte von Whip It wirklich nicht. Autorin
Shauna Cross, die hier ihr eigenes Buch (Derby Girl)
adaptierte, versah den Film mit einer Vielzahl von wohlbekannten
Mustern, welche fast schon ans Formelhafte grenzen: der Aufstieg des
Underdogs, der Kampf des liberal gesinnten Teenagers gegen die
altmodischen Eltern, der Ausbruch aus der Kleinstadt-Ödnis. Doch der
Film weiss dies in gleich mehrfacher Hinsicht wettzumachen. Zum einen
handelt es sich dabei um eine ungemein warmherzige und aufstellende
Angelegenheit, woran der etwas eigene, leicht abseitige Humor im
Stile von Terry Zwigoffs Ghost World oder Wes Andersons
Komödien (Rushmore, The Royal Tennenbaums) sicherlich
seinen Anteil hat. Allerdings verzichtet Whip It auch nicht
auf durchaus nachvollziehbare Konflikte. Besonders die Betonung der
Mutter-Tochter-Beziehung entwickelt eine spannende Dynamik, geht über
gängige Klischees hinaus und führt letztlich zu einem für beide
Seiten befriedigenden Ende.
Rollende Leidenschaft: Die 17-jährige Bliss Cavendar (Ellen Page)
hat im rauen Roller Derby ihren Sport gefunden.
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Zum anderen zeichnet sich der Film durch einen gewitzten
Genre-Stilbruch aus. Drew Barrymores Regiedebüt wird zu einem
schönen Teil von seinen aufregend inszenierten Roller-Derby-Szenen
geprägt. Whip It ist ein Sportfilm aus dem Bilderbuch und
damit ein Vertreter des wohl amerikanischsten aller Filmgenres. Aber
so amerikanisch sein Inhalt, so gänzlich unamerikanisch seine Moral:
Es geht nicht ums Gewinnen, nicht darum, dass man am Ende obenauf
schwingt, sondern dass es viel wichtiger ist, sich dessen zu
erfreuen, was man macht, und die Freude daran mit Leuten, die einem
nahe stehen, zu teilen. Dass das "Feiern der Mittelmässigkeit"
("We're number two!"), wie es der Trainer der Hurl Scouts nennt,
hier nicht nur als Gag gebraucht wird, sondern als erstrebenswerte
Tugend dargestellt wird, ist Shauna Cross und Drew Barrymore hoch
anzurechnen.
Whip
It ist kein bahnbrechender Film, aber das muss er auch nicht sein.
Er ist solide inszeniert – Drew Barrymore besitzt offenkundig
Regietalent – und unterhält mit losem Mundwerk und handfesten
Sportszenen sowie einem hervorragenden Cast (komödiantisches
Glanzlicht: der Stand-Up-Comedy-Star Jimmy Fallon). Und obwohl sich
der Plot öfters am Rande des Klischeehaften bewegt, kann man dem
Film nicht wirklich böse sein; zu gut gelaunt und zu charmant kommt
das Ganze daher. Whip It ist ein kleiner sommerlicher
Aufsteller, der neben den Blockbustern 2011 wahrscheinlich
verschwinden wird, es aber verdient hätte gesehen und anerkannt zu
werden. Wer weiss? Vielleicht entdeckt ja sogar jemand das Roller
Derby für sich.
★★★★½