Sonntag, 5. Juni 2011

Potiche

François Ozon ist wohl der zurzeit populärste und womöglich sogar bekannteste französische Regisseur. Seine Werke locken selbst jene Leute ins Kino, die französischsprachige Filme sonst nur vom Hörensagen kennen und verhelfen so der frankophonen Filmindustrie zu wohlverdientem Prestige. Ozon dreht massentaugliche Komödien, Dramen und Satiren, die sich fast ausnahmslos grosser Beliebtheit erfreuen: sei es ein ironisches Singspiel à la Woody Allens Mighty Aphrodite (der Megahit 8 femmes), ein kühl-erotisches Drama wie Swimming Pool oder Romanzen wie Sous le sable und 5x2.

Sein neuster Streich richtet sich offensichtlich an das Publikum, welches sich von 8 femmes begeistern liess: Potiche spielt in einer genauso knallbunten und stilisierten Vergangenheit – diesmal in den 1970er Jahren –, wartet mit ähnlichen komödiantischen Wendungen und einem ebenso prominenten All-Star-Cast auf. Was Ozons neuem Film aber fehlt, ist der satirische Biss, der das Krimi-Musical zu einem angenehm doppelbödigen Erlebnis machte. So ist Potiche eine eher zahnlose und etwas gar süssliche Angelegenheit geworden, die einem einen vergnüglichen, wenn auch substanzarmen Kinobesuch beschert.

Im Zentrum von Potiche steht die nicht mehr ganz junge Suzanne Pujol, die in ihrer Ehe mit dem Industriellen Robert genau die titelgebende Rolle einnimmt: die "Potiche", das Schmuckstück, das keine Eigeninitiative hat – oder zumindest keine haben sollte – und dessen Aufgabe darin besteht, hübsch auszusehen, am besten passend zum knallig-kitschigen Dekor, und nett zu lächeln.

Daraus scheint François Ozon anfänglich tatsächlich eine feinsinnige Emanzipationskomödie zu spinnen. Sein Drehbuch, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Jean-Pierre Grédy und Pierre Barillet aus dem Jahre 1980, hat besonders während der Exposition seine herrlichen Momente der komischen Überzeichnung – insbesondere die Figur des Robert Pujol – und überzeugt durch die subtile Herangehensweise an das Thema der aus dem geborgenen Hausfrauenalltag ausbrechenden Potiche.

© Filmcoopi
Doch je länger der Film, desto zahmer wird die Sozialkritik und desto mehr verliert das Ganze an Schwung, bis die nicht sonderlich stringente Story sodann bloss noch so dahinplätschert. Ausserdem rutscht Potiche mehr und mehr in den Kitsch ab, weil er sich und seine Beziehungswirren eine Spur zu ernst nimmt. So wird sogar die Glaubwürdigkeit des Emanzipationsmotivs ein wenig angekratzt, da aufgrund des Kitschs gewisse Charaktere wieder in stereotype Fahrwasser zurückfallen, was mehrfach einen etwas schalen Nachgeschmack hinterlässt.

Das soll aber nicht heissen, dass Potiche eine mühsame Angelegenheit ist. Obwohl die Komödie in den letzten 20 Minuten zusehends kitschiger und süsslicher wird und auch immer weniger Lacher zu bieten hat, glänzt der Rest durch ein amüsantes Figurenchaos, welches auch 8 femmes Charme verlieh. Damit verbunden sind einige überraschende, ironisch überspitzte Twists, die sich vorab um Mutter- und Vaterschaftsfragen von Suzanne und Robert und heitere Wer-mit-wem-Enthüllungen drehen. Ozon ist fürwahr ein Experte, wenn es darum geht, derartige Szenarien auf die Leinwand zu bringen und unterhaltsam zu inszenieren – selbst wenn die Figuren nicht über alle Zweifel erhaben sind, wie dies in Potiche der Fall ist.

Besonders die Nebencharaktere wirken bei genauerem Hinsehen nicht voll abgerundet. Suzannes Kinder Joëlle – die scharfzüngige Kapitalistin, die von der überzeugenden Judith Godrèche gemimt wird – und Laurent – das idealistische Muttersöhnchen und Grinsekasper vom Dienst (Jérémie Rénier) – wirken teilweise erschreckend eindimensional. Die Erklärung dafür mag darin liegen, dass Ozon mit Potiche in Erinnerungen an vergleichbare Siebzigerjahre-Komödien zu schwelgen beabsichtigte. Die Liebe zu diesen wird mit reizvoller Nostalgie ausgedrückt, täuscht aber nicht über die Tatsache hinweg, dass dermassen einfältige Figuren wie Joëlle und Laurent auch vor 35 Jahren nicht die stärksten Seiten einer Komödie waren. Dennoch generieren selbst sie einige wirklich lustige Momente.

© Filmcoopi
Diese bewahren sie aber nicht davor, vom grossen Star-Trio von Potiche komplett in den Schatten gestellt zu werden: Catherine Deneuve, Fabrice Luchini und Gérard Depardieu. Alle drei setzen ihr ganzes komödiantisches Talent und ihre ausgelassene Spielfreude ein. Grande Dame Deneuve begeistert als Potiche und lässt einen beinahe vergessen, dass Ozon offenbar nicht wusste, ob er sie nun als Haus- oder Powerfrau positionieren wollte. Depardieu lässt wieder einmal seinen jovialen Charme spielen und rettet damit die zu klischeehafte Figur des Kleinstadt-Kommunisten. Wer aber fast jede Szene an sich reisst, ist Fabrice Luchini als Robert Pujol. Seine Performance als cholerischer, versnobter Lustmolch mutet, besonders während sich Robert von seinem Herzinfarkt erholt, wie eine skurrile Mischung aus Louis de Funès und dem Looney-Tunes-Stinktier Pepé Le Pew an. Schade nur, dass diese geballte Ladung an schauspielerischer Potenz gegen ein relativ schwaches Drehbuch anzukämpfen hat.

Mit Potiche liefert François Ozon federleichte Unterhaltungskinokost – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Trotz eines Protagonistentrios in Hochform, schöner Ausstattung und amüsanter satirischer Vignetten fühlt sich der mit 103 Minuten überlange Film auf Dauer wie eine Überdosis Zuckerwatte an: zu süss, zu flockig, zu leer. Es fehlen ein paar Ecken und Kanten wie in anderen Ozon-Werken, welche das gesellschaftskritische Potential der Geschichte zur Vollendung bringen würden. Es scheint es deshalb angezeigt, auch einmal Komödientalente wie Dany Boon oder Jean Becker, der mit seinen einfühlsamen, philosophischen, lebensnahen Tragikomödien (Dialogue avec mon jardinier, La tête en friche) Mal für Mal die Herzen der Zuschauer erfasst, in den Fokus des breiten Kinopublikums zu rücken.

★★★

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