Freitag, 10. Juni 2011

Source Code

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region. 

Thriller zeichnen sich oft durch Gefühlskälte aus; man könnte denken, dass sich actionreiche Spannung nicht mit Emotionen vertrüge. Doch Regisseur Duncan Jones scheint entschlossen, dieser Ansicht entgegenzutreten: Mit Source Code bringt er einen zutiefst menschlichen Sci-Fi-Reisser ins Kino.

Duncan Jones' zweite Regiearbeit (nach dem hervorragenden Moon) erzählt die Geschichte des in Afghanistan stationierten Piloten Colter Stevens (ein ungemein sympathischer Jake Gyllenhaal), der sich unter mysteriösen Umständen plötzlich in einem Zug mit Ziel Chicago wiederfindet. Ihm gegenüber sitzt eine ihm unbekannte Frau namens Christina (Michelle Monaghan), die ihn mit Sean anspricht; sein Spiegelbild zeigt nicht ihn, sondern einen anderen; und nach kurzer Zeit detoniert eine Bombe im Zug. Verwirrt wacht er in einem dunklen Raum auf und wird von der uniformierten Goodwin (Vera Farmiga) per Webcam darüber aufgeklärt, dass er sich in einem Computerprogramm – dem "Source Code" – befindet, das einem ermöglicht, die letzten Minuten im Leben eines Menschen immer wieder zu durchleben. Was Colter erlebt hat, war ein Terroranschlag, der sich vor wenigen Stunden zugetragen hat – aus der Sicht des dabei ums Leben gekommenen Lehrers Sean Fentress. Mithilfe des Source Codes muss er nun die letzten acht Minuten von Seans Leben durchstöbern, um den Bombenleger finden, da dieser in der Realität einen noch verheerenderen Coup plant: das Zünden einer radioaktiven Bombe im Zentrum Chicagos.

"Groundhog Day als Thriller"? Die Bezeichnung ist keineswegs verkehrt: Ben Ripley hat sich beim Schreiben des Drehbuchs offensichtlich von Harold Ramis' Komödienklassiker der 1990er Jahre inspirieren lassen, vor allem was die Entwicklung des Protagonisten in der zeitlichen Endlosschlaufe anbelangt. Colters graduelle Wandlung vom verwirrt-destruktiven Antihelden zum souveränen Herrn der Lage erinnert frappant an diejenige von Bill Murrays TV-Wetterfrosch Phil Connors. Dies bedeutet aber nicht, dass Source Code ein plumpes Derivat ist, das ausserdem mit seiner Thematik der multiplen Realität noch ein wenig auf der Inception-Welle reitet. Im Gegenteil: Wie schon in „Moon“ experimentiert Duncan Jones auch hier, wenn auch etwas weniger radikal, mit den Beschränkungen und Konventionen des Genres; so wird zum Beispiel der grösste Twist des Films wieder sehr früh verraten. Man könnte nun denken, dass dieser Umstand, zusammen mit der steten Wiederholung des gleichen Szenarios, zur Folge hat, dass der Film auf Dauer langweilig werden könnte. Dem ist aber nicht so, da Ripleys knackiges, temporeiches Skript immer wieder mit verblüffenden Wendungen und originellen Ideen aufwartet, sodass dauerhaft maximale Spannung erhalten bleibt. Dazu trägt sicherlich auch die vergleichsweise knappe Laufzeit von „Source Code“ bei; die höchst komplexe Geschichte wird in gut 90 Minuten abgewickelt, was verhindert, dass sich das faszinierende Konzept wegen Überlänge totläuft.

Colter (Jake Gyllenhaal) weiss nicht, wieso er sich plötzlich in einem Zug befindet; sein Gegenüber (Michelle Monaghan) scheint ihn aber zu kennen.
Auch dramaturgisch weiss Source Code zu begeistern. Obwohl sich die Erzählung um die actionreiche Suche nach dem Zug-Attentäter dreht, verlieren Jones und Ripley niemals die menschliche Komponente aus den Augen. Colters komplizierte, von Schuldgefühlen und Konflikten geprägte Beziehung zu seinem Vater wird so subtil wie dreidimensional angegangen; ebenso sein Beschützerinstinkt, der mit jeder Zugexplosion stärker wird und der darin mündet, dass er die unschuldigen Opfer des Anschlags wenigstens in der Source-Code-Simulation retten will. Ausserdem beginnt er allmählich, Gefühle für Christina zu entwickeln. Obwohl dieser Handlungsstrang eher konventionell ist und auch hie und da etwas ins Süssliche abrutscht, vermag er einen trotzdem zu berühren – wohl nicht zuletzt dank Gyllenhaals und Monaghans vorzüglichen schauspielerischen Leistungen – und verleiht dem eigenwilligen, aber stimmigen Ende zusätzliche Resonanz.

Source Code ist nicht Inception, noch ist er Groundhog Day oder Moon. Er mag kleinere, für Sci-Fi-Thriller durchaus typische Logiklöcher enthalten und ob der Schluss mit der inneren Gesetzmässigkeit der Story kompatibel ist, hängt von der Interpretation ab. Trotzdem ist Duncan Jones ein fesselnder Film gelungen, der trotz ungewöhnlicher Prämisse, vieler Effekten und Action auch das Herz anspricht und nicht vergisst, dass der Kern einer auf- und anregenden Geschichte aus ihren Charakteren besteht. Insofern ist Source Code ein Vorbild für andere Filmemacher, die sich in diesem Genre versuchen.

★★★★½

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