Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Passend zum anhaltenden "Arabischen Frühling", ist nun im Kino
Mahamat-Saleh Harouns Un homme qui crie angelaufen; ein
introspektiver Kriegsfilm, der die eigentlichen Kampfhandlungen
ausklammert und anhand des Schicksals eines einzelnen Mannes
eindrücklich den Bürgerkrieg im Tschad porträtiert.
Adam (Youssouf Djaoro) ist seinem Quartier in N'Djamena, der
Hauptstadt der Sahararepublik Tschad, eine kleinere Berühmtheit;
1965 gewann er die zentralafrikanische Schwimmmeisterschaft, was ihm
den Spitznamen "Champion" einbrachte. Nun ist er 55 Jahre alt und
arbeitet als Bademeister in einem Luxushotel – ein Traumjob.
Gemeinsam mit seinem 20-jährigen Sohn Abdel (Diouc Koma) kümmert er
sich um die Sauberkeit des Swimmingpools, sammelt gebrauchte
Badetücher ein und erteilt Kindern Schwimmunterricht. Aber mit der
neuen Chefin des Hotels brechen andere Zeiten an: Die
alteingesessenen Mitarbeiter werden entweder entlassen oder, in Adams
Fall, versetzt. Abdel ist nun alleiniger Bademeister, während sein
Vater an der Verkehrsschranke des Hotels ein tristes Dasein fristet,
seines Lebensinhaltes – des Pools – beraubt. Währenddessen
kämpft das tschadische Militär gegen Rebellen, die die
Landeshauptstadt einnehmen und die Regierung stürzen wollen. Jeder
Bürger ist dazu aufgerufen, die Soldaten zu finanzieren oder
sonstwie zu unterstützen, woran der Quartierboss (Emil Abossolo
M'bo) Adam nur zu gern erinnert. Doch "Champion" hat kein Geld
zur Verfügung, sondern nur seinen Sohn, der ihn aus seinem Beruf
gedrängt hat.
Un
homme qui crie ist ein Kriegsfilm der besonderen Art. Für das
Genre typische Bilder wie dramatische Schusswechsel oder
unmenschliche Gräueltaten sucht man, abgesehen von sporadisch
auftauchenden Fernsehberichten, vergebens. Selbst der im Titel
vorkommende Schrei wird dem Zuschauer vorenthalten. Dergestalt
melodramatische Elemente wären in Mahamat-Saleh Harouns neuem Film
auch komplett fehl am Platze. Vielmehr
zelebriert der Regisseur und Autor eine elegante, an Stoizismus
grenzende, melancholische Ruhe, die nicht einmal in den tragischsten
Momenten gebrochen wird. Er geht ohne theatralisches Getue und
erzwungenen Schwermut auf Schuld, Sühne und (mögliche) Erlösung
seiner Hauptfigur ein und schafft so eine ergreifende und
vielschichtige Charakterstudie. Und obwohl der Gewissenskonflikt im
Zentrum von Un homme qui crie den tschadischen Bürgerkrieg in
vielerlei Hinsicht widerspiegelt, fühlt sich der Film niemals wie
ein Lehrstück über Sinn oder Sinnlosigkeit der Rebellionsbewegung
im Tschad an, sondern stets wie ein intimer Blick in die persönliche
Tragödie eines normalen Menschen – eine Tragödie, die durch die
Bedrohung des Krieges letztendlich ins Rollen gebracht wird. Das
Drama um Adam – oft verglichen mit dem Protagonisten (Emil
Jannings) in F. W. Murnaus Stummfilmklassiker Der letzte Mann
(1924) – ist das des alternden Menschen, der sich mit seiner
eigenen Ersetzbarkeit konfrontiert sieht und nichts unversucht lässt,
diese Entwicklung aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen, selbst
wenn dabei die eigene Familie zerstört wird. Haroun beschreibt diese
Tragik ohne Wertung oder Verurteilung, sondern mit einfühlsamer
Zurückhaltung, wodurch Adams Taten immer ein Stück weit nachfühlbar
bleiben.
Neuigkeiten
von der Front? Bademeister Adam (Youssouf Djaoro) sorgt sich um
seinen Sohn, den er aus Geldnot in die Armee geschickt hat.
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Mahamat-Saleh
Haroun präsentiert mit Un homme qui crie ein eindringliches
Drama, das im Stile einer griechischen Tragödie unaufhaltsam auf die
finale Katastrophe zusteuert, seiner gebrochenen Hauptfigur am Ende
jedoch die Möglichkeit der Katharsis offenlässt. Adams Geschichte
ist sowohl isolierte Erzählung, als auch Parabel auf die momentane
Lage im Tschad; der titelgebende Schrei ist ein innerliches, nicht
geäussertes Bekenntnis der Verzweiflung, welches Inhalt und Subtext
miteinander verbindet. So ist Un homme qui crie ein
Kinoerlebnis mit einer politischen Dimension, das sich aber nicht als
solches gebärdet – eine stille, in sich gekehrte Alternative zu
Hollywoods Kriegsfilmen.
★★★★★☆
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