Donnerstag, 18. August 2011

Barney's Version

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Kann es einem TV-Regisseur wie Richard J. Lewis gelingen, ein Buch von Mordecai Richler, einem der grössten kanadischen Literaten, würdig zu verfilmen? Es scheint so. Barney's Version mag unstet und überlang sein, doch es gelingt dem Film tadellos, das Herz des Zuschauers zu erobern.

Der wohlhabende kanadische Seifenoper-Produzent Barney Panofsky (Paul Giamatti), Sohn eines jüdischen Polizisten (der herrliche Dustin Hoffman), hat in seinem Leben viel erlebt. Alles begann 1974 in Rom, als sich Barney spontan mit der Künstlerin Clara (Rachelle Lefevre) verheiratete, bald aber einen Rückzieher machte, woraufhin sich seine Angetraute das Leben nahm. Es folgten "die zweite Mrs. P." (Minnie Driver), eine selbstgefällige, aber gut aussehende Jüdin, und Miriam (Rosamund Pike), mit der Barney zwei Kinder hat und die er immer noch abgöttisch liebt. Doch diese ist nun mit Blair (Bruce Greenwood) verheiratet. Nun ist Barney partnerlos, langweilt sich und muss feststellen, dass sein Gedächtnis immer schlechter wird. Als eines Tages ein Buch erscheint, das ihn des Mordes an seinem besten Freund Boogie (Scott Speedman) bezichtigt, sieht er sich gezwungen, seine Version seiner Vita zu erzählen.

Rostet alte Liebe doch? Der an Alzheimer erkrankte Barney (Paul Giamatti) trifft sich mit seiner Ex-Frau und „wahren Liebe“ Miriam (Rosamund Pike).
Paul Giamatti erhielt für seine grandiose Darstellung Barney Panofskys bei den Golden Globes 2011 verdientermassen die Auszeichnung für "Bester Hauptdarsteller (Komödie/Musical)". Doch die Frage lohnt sich, ob Barney's Version tatsächlich in die Kategorie der Komödien gehört. Es stimmt zwar, dass der Film den typischen jüdischen Humor der Vorlage so hervorragend einfängt, dass Erinnerungen an Neil Simon und Woody Allen, insbesondere dessen Annie Hall, wach werden; doch Richard J. Lewis und Autor Michael Konyves räumten der Tragödie ebenso viel Platz ein. Kaum ein Lacher wird ohne tragische Gegendarstellung gelassen. So wirkt der mit 134 Minuten Laufzeit etwas zu lang geratene Film zwar nicht sonderlich ausbalanciert, wodurch die Geschichte von Barneys Leben aber auch eine eindrückliche Lebensnähe und damit besondere emotionale Tiefe erhält.

Vor allem der dritte Akt, in welchem Barneys Alzheimererkrankung zum Thema wird, vermag zu begeistern. Dieser gehört zum Traurigsten, was man in jüngerer Zeit im Kino gesehen hat. Kudos für Paul Giamatti, der den Alzheimer-Patienten in seiner ganzen Frustration, Verwirrung und, in guten Zeiten, Seligkeit sehr zurückhaltend und ohne Übertreibung spielt. Aber selbst in dieser Lage behält Richard J. Lewis den Blick für den Silberstreifen am Horizont und gewährt Barney letzten Endes die innere Erlösung – Adam Elliots thematisch verwandtem Animations-Kurzfilm Harvie Krumpet nicht unähnlich.

Wie aktuell schon Beginners dreht sich Barney's Version um das Leben und seine Beziehungen, wobei hier explizit auf die Ehen in Barneys Lebensgeschichte eingegangen wird. Entsprechend ist die inoffizielle Titelmelodie des Films auch Leonard Cohens Song "Dance Me to the End of Love" – eine Soundtrack-Entscheidung, wie sie passender nicht sein könnte.

Barney's Version ist einer der Filme, die einen nicht trotz, sondern wegen ihrer Unvollkommenheit berühren. Allein schon seine letzte halbe Stunde sorgt dafür, dass einen das Gesehene nach Filmschluss noch lange beschäftigen und bewegen wird.

★★★★½

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