Donnerstag, 4. August 2011

Beginners

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Wie fühlt man sich als Sohn, wenn sich der eigene Vater nach dem Tod seiner Ehefrau urplötzlich zu seiner Homosexualität bekennt? Dieser Frage geht Regisseur Mike Mills in seinem autobiographischen Film Beginners auf den Grund – eine bewegende Etüde über Liebe und Einsamkeit.

Oliver (Ewan McGregor) hat ein Bindungsproblem. Er flieht aus jeder Liebesbeziehung, weil er sich den Schmerz einer etwaigen Trennung ersparen will. Entsprechend ist sein intimster Freund auch kein Mensch, sondern der anhängliche Arthur (dessen Schweigen oft mit köstlichen Linien untertitelt ist), der Hund seines vor einigen Monaten verstorbenen Vaters Hal (der grosse Christopher Plummer). Er hat sich mittlerweile mehr oder minder damit abgefunden und sucht nicht mehr aktiv nach Liebschaften. Doch auf einer Kostümparty trifft er die charmante Französin Anna (Mélanie Laurent), in die er sich prompt verliebt. Dieser Umstand bringt Oliver dazu, sich mit den Erinnerungen an Hal auseinanderzusetzen. Gut fünf Jahre zuvor, nach dem Tod seiner Mutter, offenbarte ihm sein alter Herr nämlich seine Homosexualität und kündigte an, nun diesen Teil seiner Person erforschen zu wollen. Gesagt, getan: Hal fand in Andy (Goran Višnjić) einen um viele Jahre jüngeren Partner und umgab sich mehr und mehr mit anderen Homosexuellen. Doch sein zweiter Frühling erlitt einen herben Dämpfer, als bei ihm Krebs im Endstadium festgestellt wurde.

Lesematerial für den zweiten Frühling: Oliver (Ewan McGregor) und sein frisch geouteter Vater Hal (Christopher Plummer).
Das wohl auffallendste Merkmal von Beginners ist sein Umgang mit der Zeit. Es wird keine lineare Geschichte geboten, sondern Oliver, der Erzähler, springt scheinbar willkürlich zwischen Gegenwart, naher und ferner Vergangenheit umher – ein Zeitempfinden wie das seiner Mutter, als sie auf dem Sterbebett lag ("jumping back and forth through time"). So entsteht ein Kaleidoskop von Olivers Leben und Leiden, welches illustriert, wie seine Beziehung zu seinem Vater seine Gefühle für Anna beeinflusst. Auch der tragikomische Tonfall des Films gewinnt durch diesen Erzählstil, besonders in den Momenten, in welchen er von Regisseur und Autor Mike Mills auf die Spitze getrieben wird; etwa wenn Oliver die Gegenwart (2003) und die 1950er Jahre anhand von einzelnen Eckpunkten – US-Präsident, Idealbilder, Populärkultur – vergleicht und auf der Leinwand die entsprechenden Bilder mittels Jump Cut (sprunghafter Schnitt) gezeigt werden. Der Nachteil dieses assoziativen Erzählens ist, dass Beginners ob des steten Wechsels zwischen den Handlungsebenen, trotz Mills' durchaus ruhiger und sorgfältiger Inszenierung, mitunter etwas "überflutet" wirkt.

Dies ist aber angesichts der emotionalen Kraft des Films ein geringfügiger Makel. Beginners ist ein Film über Beziehungen – Oliver und Hal, Hal und Andy, Andy und Oliver, Oliver und Anna – und er nimmt sich für jede genug Zeit, sie zu beleuchten und sie, zumindest für den Zuschauer, befriedigend abzuschliessen. Und auch schauspielerisch hat Mike Mills' neueste Arbeit keine Probleme: Sie wird mit Ewan McGregor, Christopher Plummer und Mélanie Laurent von einem exzellenten Trio von Hauptakteuren getragen.

Wer sich nach einem Film sehnt, der nachdenklich, leicht abseitig, lustig und traurig zugleich ist, dem sei Beginners wärmstens empfohlen. Mike Mills bietet ein lebensbejahendes und berührendes Kinoerlebnis.

★★★★½

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen