Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
Wie fühlt man sich als Sohn, wenn sich der eigene Vater nach dem Tod
seiner Ehefrau urplötzlich zu seiner Homosexualität bekennt? Dieser
Frage geht Regisseur Mike Mills in seinem autobiographischen Film Beginners auf den Grund – eine bewegende Etüde über Liebe
und Einsamkeit.
Oliver
(Ewan McGregor) hat ein Bindungsproblem. Er flieht aus jeder
Liebesbeziehung, weil er sich den Schmerz einer etwaigen Trennung
ersparen will. Entsprechend ist sein intimster Freund auch kein
Mensch, sondern der anhängliche Arthur (dessen Schweigen oft mit
köstlichen Linien untertitelt ist), der Hund seines vor einigen
Monaten verstorbenen Vaters Hal (der grosse Christopher Plummer). Er
hat sich mittlerweile mehr oder minder damit abgefunden und sucht
nicht mehr aktiv nach Liebschaften. Doch auf einer Kostümparty
trifft er die charmante Französin Anna (Mélanie Laurent), in die er
sich prompt verliebt. Dieser Umstand bringt Oliver dazu, sich mit den
Erinnerungen an Hal auseinanderzusetzen. Gut fünf
Jahre zuvor, nach dem Tod seiner Mutter, offenbarte ihm sein alter
Herr nämlich seine Homosexualität und kündigte an, nun diesen Teil
seiner Person erforschen zu wollen. Gesagt, getan: Hal fand in Andy
(Goran Višnjić) einen um viele Jahre jüngeren Partner und umgab
sich mehr und mehr mit anderen Homosexuellen. Doch sein zweiter
Frühling erlitt einen herben Dämpfer, als bei ihm Krebs im
Endstadium festgestellt wurde.
Lesematerial für den zweiten Frühling: Oliver (Ewan McGregor) und sein frisch geouteter Vater Hal (Christopher Plummer). |
Das wohl auffallendste Merkmal von Beginners ist sein Umgang mit der Zeit. Es wird keine lineare
Geschichte geboten, sondern Oliver, der Erzähler, springt scheinbar
willkürlich zwischen Gegenwart, naher und ferner Vergangenheit umher
– ein Zeitempfinden wie das seiner Mutter, als sie auf dem
Sterbebett lag ("jumping back and forth through time"). So
entsteht ein Kaleidoskop von Olivers Leben und Leiden, welches
illustriert, wie seine Beziehung zu seinem Vater seine Gefühle für
Anna beeinflusst. Auch der tragikomische Tonfall des Films gewinnt
durch diesen Erzählstil, besonders in den Momenten, in welchen er
von Regisseur und Autor Mike Mills auf die Spitze getrieben wird;
etwa wenn Oliver die Gegenwart (2003) und die 1950er Jahre anhand von
einzelnen Eckpunkten – US-Präsident, Idealbilder, Populärkultur –
vergleicht und auf der Leinwand die entsprechenden Bilder mittels
Jump Cut (sprunghafter Schnitt) gezeigt werden. Der Nachteil dieses
assoziativen Erzählens ist, dass Beginners ob des steten
Wechsels zwischen den Handlungsebenen, trotz Mills' durchaus ruhiger
und sorgfältiger Inszenierung, mitunter etwas "überflutet"
wirkt.
Dies ist aber angesichts der
emotionalen Kraft des Films ein geringfügiger Makel. Beginners
ist ein Film über Beziehungen – Oliver und Hal, Hal und Andy, Andy
und Oliver, Oliver und Anna – und er nimmt sich für jede genug
Zeit, sie zu beleuchten und sie, zumindest für den Zuschauer,
befriedigend abzuschliessen. Und auch schauspielerisch hat Mike
Mills' neueste Arbeit keine Probleme: Sie wird mit Ewan McGregor,
Christopher Plummer und Mélanie Laurent von einem exzellenten Trio
von Hauptakteuren getragen.
Wer sich nach einem Film sehnt, der
nachdenklich, leicht abseitig, lustig und traurig zugleich ist, dem
sei Beginners wärmstens empfohlen. Mike Mills bietet ein
lebensbejahendes und berührendes Kinoerlebnis.
★★★★½
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