Es gibt zeitgenössische französische Regisseure, welche im Ausland
leider kaum wahrgenommen. Dazu gehört zum Beispiel Jean Becker,
dessen einfühlsame Tragikomödien Mal um Mal begeistern. Die
hinreissende Verfilmung von Marie-Sabine Rogers Buch La tête en
friche bildet da keine Ausnahme.
Germain (Gérard Depardieu) ist um die fünfzig, schon ewig
Hilfsarbeiter und lebt in einem Wohnwagen im Garten seiner senil
werdenden Mutter (Claire Maurier) in der westfranzösischen
Kleinstadt Pons. Er ist ein liebenswürdiger, hilfsbereiter, wenn
auch sehr eigensinniger Kerl, der von seinen Kumpels im lokalen
Bistro oft als Einfaltspinsel bezeichnet wird. Dies rührt daher,
dass er zwar eine Menge über Obst und Gemüse weiss, ein bewanderter
Bauarbeiter ist und die Tauben im Park mit Namen auseinanderhalten
kann, aber in Sachen Fremdsprachen, Geschichte und Literatur, gelinde
gesagt, keine Koryphäe ist; selbst Lesen und Schreiben kann Germain
kaum. Doch eines Tages begegnet ihm im Park die 45 Jahre ältere
Margueritte (Theaterlegende Gisèle Casadesus), die ein Buch bei sich
trägt – Albert Camus' La peste. Die beiden kommen ins
Gespräch und freunden sich schnell an; die weltgewandte Greisin
liest Germain aus den verschiedensten Büchern vor und zeigt ihm so
die Schönheit der Literatur auf, während er ihr mit seiner
sympathischen und aufgestellten Art die Stunden im etwas trostlosen
Seniorenheim verkürzt. Als sie ihm offenbart, dass sie schon sehr
bald erblinden wird, beschliesst er, richtig lesen zu lernen, sodass
er seiner neugewonnenen Freundin dereinst aus ihren Büchern vorlesen
kann.
La
tête en friche heisst übersetzt soviel wie "Hohlkopf".
Gérard Depardieu passt perfekt in diese Titelrolle und wird in
seiner rustikalen, aber herzensguten Art vom Anmut der 97-jährigen
Gisèle Casadesus perfekt kontrastiert und wundervoll ergänzt.
Zwischen den beiden stimmt die Chemie perfekt. Zu keinem Zeitpunkt
bekundet das Duo Mühe, den Film zu tragen. Jean Becker hätte keine
besseren Castingentscheidungen treffen können: Makellose Chemie und
Harmonie – bei den Figuren wie bei ihren Interpreten.
Lernerfolg: Germain (Gérard Depardieu) liest Margueritte (Gisèle Casadesus) vor. |
La
tête en frîche ist eine beschauliche, besonnene, zutiefst
anrührende und auf sublime Art tiefgründige Tragikomödie, die
Freunde des französischen Kinos begeistern wird. Mit Grazie und
Eleganz präsentiert Altmeister Jean Becker eine Liebeserklärung an
das Leben, die Freundschaft und die verbindende Kraft der Literatur.
★★★★★½
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