Ein Astronaut verirrt sich im All, landet auf einem von Affen beherrschten Planeten und muss schlussendlich feststellen, dass er sich auf der Erde der Zukunft befindet. Dies ist die Geschichte, die der Franzose Pierre Boulle (Le pont de la rivière Kwai) in seinem Science-Fiction-Roman La planète des singes niederschrieb und die Filmgeschichte schreiben sollte: Die Filmreihe, die mit Franklin J. Schaffners Adaption der Vorlage, Planet of the Apes, 1968 ihren Anfang nahm, ist in vielerlei Hinsicht ein Bilderbuchbeispiel für ein Kultfilm-Phänomen.
Die Franchise hat eine riesige Fangemeinde, die Mythologie des Universums gibt immer wieder Anlass zu Interpretationen und Diskussionen und es existieren diverse Fortsetzungen, welche sich am Ruf des Originals zu bereichern versuchten. Seit 1968 wurde der Stoff insgesamt sechsmal wiederaufgegriffen, mal erfolgreich (1971: Escape from the Planet of the Apes), mal weniger (2001: Tim Burtons Planet of the Apes). Der neueste Versuch ist nun aber der erste, der es sich zur Aufgabe machte, die 350-jährige Lücke zwischen dem "Heute" und der "Affenzukunft" in Boulles Roman zu füllen – für Fans im Grunde eine Todsünde. Doch Regisseur Rupert Wyatt liess sich – glücklicherweise – nicht beirren. Rise of the Planet of the Apes, Prequel und Reboot zugleich, ist eine triumphale Rückkehr der Affen-Dystopie und eine echte Bereicherung des Serien-Kanons.
Als die neue filmische Annäherung an Boulles Geschichte angekündigt wurde, erntete das Projekt "Untitled Planet of the Apes Prequel" im besten Fall Hohn und Spott, im schlimmsten Verachtung und Hass. Die Frage, wie es zur Revolution der Affen kam, werfe die grundsätzliche Idee des Szenarios komplett über den Haufen, hiess es. So kam es, dass im Vorfeld des Kinostarts Serien-Jünger Rupert Wyatts Streifen boykottierten und Filmkritiker in stiller Übereinstimmung schon vor den Pressevisionierungen entschieden, dass Rise of the Planet of the Apes ein Tiefpunkt des Blockbuster-Sommers 2011 sein würde, Seite an Seite mit Transformers: Dark of the Moon, The Smurfs und Green Lantern. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Angesehene Kritiker zeigen sich überrascht, ja fast überrumpelt, von der Qualität des Films und auch an den Kinokassen werden signifikante Erfolge verzeichnet.
Worum geht es? Rise of the Planet of the Apes spielt in einem Zeitraum von mehreren Jahren in einer nicht näher definierten, nicht allzu weit entfernten Zukunft – um 2015 scheint keine schlechte Schätzung –, in welcher der Genforscher Will Rodman (James Franco) kurz davorsteht, ein Heilmittel für Alzheimer zu entdecken. Als jedoch bei einer Präsentation der Testschimpanse "Bright Eyes" Amok läuft, werden Will die Gelder gestrichen und die Laboraffen eingeschläfert, mit Ausnahme von Bright Eyes' neugeborenem Sohn, in dessen Gene das Alzheimer-Mittel bereits verankert sind, der von Will gerettet werden kann. Dieser glaubt aber nicht daran, dass sein Medikament gefährlich ist, also testet er es an seinem an Alzheimer erkrankten Vater (John Lithgow) und stellt fest, dass es nicht nur wirkt, sondern sogar in der Lage ist, die kognitiven Fähigkeiten von Menschen zu verbessern. Auch privat hat Will Glück: Er findet in der Tierärztin Caroline (Freida Pinto, bekannt aus Slumdog Millionaire) eine Partnerin. Mittlerweile wächst der Schimpanse, den Will Caesar (per Motion Capture gespielt vom Experten Andy Serkis (Gollum, King Kong)) getauft hat, zu einem hochintelligenten Primaten mit ausgeprägtem Beschützerinstinkt heran. Als er aber eines Tages einen Nachbarn angreift, weil dieser Wills Vater beschimpft, wird er in ein Affengehege verfrachtet, was den Lauf der Evolution nachhaltig verändern wird.
Was ist Rupert Wyatt (The Escapist) und seinen Autoren Rick Jaffa und Amanda Silver dermassen gut gelungen, dass ihr Film fast alle Vorurteile Lügen straft? Rise of the Planet of the Apes ist nämlich keinesfalls ein fehlerfreies Stück Film ist. Besonders der Liebesgeschichte zwischen Will und Caroline fehlt es an Substanz, Konfliktstoff und Tragkraft, um einen wirklich zu fesseln. Einen gewissen Anteil daran haben sicherlich die blassen Darsteller; insbesondere James Franco wirkt farblos und wird nicht nur von seinem Filmvater John Lithgow, sondern auch von den CGI-Affen, locker an die Wand gespielt.
Allerdings muss der Fairness halber auch bemerkt werden, dass weder Will noch Caroline im Mittelpunkt des Films stehen. Der Fokus liegt, vor allem in der zweiten Filmhälfte, auf Caesar und seiner Verwandlung vom hochintelligenten Hausaffen zum "Befreier" seiner Spezies. Gespielt wird er von einem sensationellen Andy Serkis, der bei den Oscars 2012 für Bewegung in der Academy sorgen könnte. Mimik und Gestik von Serkis wurden mittels Motion Capture auf einen vom Computer animierten, unglaublich realistisch aussehenden Schimpansen übertragen. In den letzten Jahren wurden die Stimmen für eine Oscar-Berücksichtigung von CGI-Schauspielern, deren prominentester Vertreter Serkis ist, immer lauter. Kann man es ihnen nach Rise of the Planet of the Apes noch verdenken? Nein. Serkis' Tierperformance ist mit ihrem Nuancenreichtum und ihrer Natürlichkeit einer der seltenen Fälle, in denen man vergisst, dass man in Tat und Wahrheit einem Menschen zusieht, der, einfach gesagt, mit einer Ansammlung von Pixeln überzogen wurde. Caesar und seine Artgenossen sind nicht nur Affen; sie bewegen und verhalten sich auch wie es ihre physische Natur ihnen vorschreibt, selbst im finalen Kampf gegen die bewaffneten Streitkräfte auf der Golden Gate Bridge. Es ist kein Zufall, dass in diesen Szenen Erinnerungen an die erste halbe Stunde von Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey wach werden.
Ein anderer Anhaltspunkt, der die Klasse von Rise of the Planet of the Apes veranschaulicht, ist die Tatsache, dass dem Zuschauer der effektive Übergang von der Entstehung intelligenter Affen zur Weltherrschaft der Primaten vorenthalten und die Welt aus Pierre Boulles Roman, respektive Franklin J. Schaffners Film, lediglich impliziert wird. Auf diese Weise wird eine äusserst wirkungsvolle, dystopische Atmosphäre geschaffen, die nicht allzu sehr an den Haaren herbeigezogen wirkt und nachvollziehbar genug ist, als dass man sich mit dem Filmuniversum voll und ganz identifizieren kann.
Auch im Hinblick auf die bereits existierenden sechs Filme hat Rupert Wyatt alles richtig gemacht. Die Affen mögen dieses Mal zwar tatsächlich Affen sein, doch die Vorgänger werden weder verspottet noch der Lächerlichkeit preisgegeben. Vielmehr ist Wyatts Prequel eine Hommage an die Serie, während diese gleichzeitig auch aus einem anderen Winkel beleuchtet wird. Sinnbildlich dafür steht die Szene, in der sich die Primaten aus dem einem Gefängnis ähnlichen Affengehege davon machen: Der Wärter, gespielt von Tom Felton (Draco Malfoy in den Harry Potter-Filmen), darf darin Charlton Hestons legendäre Linie "Get your stinking paws off me, you damn dirty ape!" aus dem originalen Planet of the Apes von sich geben. Doch nun kommen die Worte nicht aus dem Mund des Protagonisten, der von einer äffischen Herrenrasse unterdrückt wird, sondern aus dem eines (noch) herrschenden Menschen – es wird die Frage gestellt, ob die Machtübernahme der Affen vielleicht nicht ganz unprovoziert war.
Rupert Wyatt ist es auch zu verdanken, dass der Film auf hohem Niveau unterhält. Seine Inszenierung zeichnet sich durch Ruhe und Besonnenheit aus, wechselt aber in den passenden Momenten die Tonart und verneigt sich dabei auch vor der epischen Komponente der Serie. Besonders die Golden-Gate-Schlacht ist eine Meisterleistung Wyatts. Die Sequenz ist aufregend, mitreissend und enthält wohl das Bild, an das man sich noch in kommenden Jahren erinnern wird: Was in Planet of the Apes die Freiheitsstatue war, ist hier Caesar, der auf einem Pferd reitend auf den Feind – diejenigen Menschen, die ihn und seine Artgenossen mit Waffengewalt gefangen halten wollen – zustürmt.
Braucht Planet of the Apes ein Prequel? Liegt der Reiz von Pierre Boulles Geschichte nicht gerade darin, dass man über die genauen Vorgänge hinter der Revolution nicht aufgeklärt wird? Wird die Dystopie mit dem Erzählen einer Hintergrundgeschichte nicht ihrer Wirksamkeit beraubt? Darüber liesse sich lange diskutieren, was wiederum beweist, wie gut sich Rupert Wyatts Film in die Franchise einfügt. Doch ob sinnvoll oder nicht, Rise of the Planet of the Apes ist wohl das bestmögliche Prequel ist, das man hätte erwarten können.
★★★★
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