Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.
In der Kunst sind Tiere der menschlichen Sprache schon lange mächtig.
Doch was Aesop und La Fontaine als pointierte Sozialkritik
einsetzten, haben Disney & Co. mittlerweile fast etwas
verniedlicht. Da kommt Le chat du rabbin gerade recht; ein
geistreiches Plädoyer für religiöse Toleranz.
Dass Katzen nicht wirklich ins klassische Heldenschema passen, ist
keine neue Erkenntnis. Schon zu Zeiten Shakespeares fungierten sie
oft als Helfer und Gefährten der Antagonisten. Auch im Kino ist
diese Tendenz erkennbar; Bond-Bösewicht Blofeld ist stets mit
weisser Perserkatze auf dem Schoss zu sehen, in Cats & Dogs
wollen die kuscheligen Mäusejäger die Weltherrschaft an sich
reissen (woran sie von den braven, Kommandos gehorchenden Hunden
natürlich gehindert werden) und auch in den Tiertrickfilmen Disneys
befinden sie sich meistens auf der Seite der Bösewichte. Johann Sfar
(Serge Gainsbourg, vie héroïque) und Antoine Delesvaux
versuchen in Le chat du rabbin, der Verfilmung von Sfars
gleichnamigem Comic, gar nicht erst, die kätzische Hauptfigur in
einen Vorzeigehelden zu verwandeln. Das namenlose Tier handelt
eigennützig, ist verschlagen, frönt seinem Jagdinstinkt und ist,
wie letztlich jede Katze, ein veritables Raubtier, ein frecher,
unabhängiger Dämon, den nicht zu lieben aber gänzlich unmöglich
ist.
Dies gilt auch für Rabbi Sfar und dessen Tochter Zlabya, die im
Algier der 1920er-Jahre, also zur Zeit der französischen
Kolonialherrschaft, leben. Als die Hauskatze eines Tages den
Familienpapagei verspeist, geschieht ein Wunder: Das Tier beginnt zu
sprechen. Doch was es von sich gibt, gefällt dem Rabbi nicht: Es
lügt, es ist vorlaut und es zweifelt am Wahrheitsgehalt der Thora,
woraufhin Sfar seiner Tochter weiteren Kontakt mit ihrem Schosstier
verbietet. Also will die Katze ein guter Jude werden und besteht auf
einer Bar Mitzwa. Und es warten weitere ungewöhnliche Abenteuer: Ein
Flüchtling aus Russland kommt nach Afrika, um einen sagenumwobenen
Stamm von äthiopischen Juden zu suchen. Bald schon brechen er, ein
Millionär, ein muslimischer Weiser, der Rabbi und die Katze zu einer
waghalsigen Wüstendurchquerung auf.
Die Katze debattiert mit ihrem Herrchen, dem Rabbi Sfar, über
allerlei religiöse Themen.
|
Der Fokus von Le chat du rabbin liegt jedoch nicht
ausschliesslich auf der exzellent charakterisierten Katze; die Sorgen
des Rabbis kommen ebenso zum Tragen wie die des russischen Juden, der
der kommunistischen Säuberung nur knapp entkommen konnte. Alle diese
Anekdoten führen zwar zu einem Film mit eher unstetem Rhythmus,
worüber man jedoch dank des stellenweise herrlich schwarzen Humors –
Stichwort: die bitterböse Tintin au Congo-Persiflage –
problemlos hinwegkommt. Und obwohl der Film oft den Standpunkt der
Katze einnimmt und wie sie Witze über alle drei abrahamitischen
Religionen reisst, liegt dem Ganzen das humanistische Anliegen der
gegenseitigen Toleranz, welches sehr gut in die Geschichte integriert
wird, zugrunde. Auch visuell überzeugt der Film: Es wird mit
verschiedenen, alles sehr einfachen, Zeichenstilen gearbeitet, die
der Erzählung eine wunderbar märchenhafte Atmosphäre verleihen.
Unmöglich, dieser ausgefallenen Pilgerreise in geschriebener Form
gerecht zu werden. Einen vielschichtigeren und gleichzeitig
abgedrehteren Trickfilm als Le chat du rabbin kann man zurzeit
nirgends im Kino sehen.
★★★★½
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen