Berlinale-Abräumer A Separation startete mit
so viel Vorschusslorbeeren in den Kinos, dass man eigentlich nur
enttäuscht werden konnte. Oder? Falsch. Asghar Farhadis Psychodrama
ist ein stilles Meisterstück, das auch noch die höchsten
Erwartungen zu übertreffen vermag.
Die Ehe von Nader (Peyman Moaadi) und Simin (Leila Hatami) steht vor
dem Aus. Sie will mit der gemeinsamen Tochter Termeh (Sarina Farhadi)
aus dem Iran auswandern, er will bei seinem an Alzheimer erkrankten
Vater bleiben. Als Simin schliesslich auszieht, stellt Nader mit der
streng gläubigen Unterschichtlerin Razieh (Sareh Bayat) eine
Haushaltshilfe ein. Diese verschweigt ihrem Mann (Shahab Hosseini)
aber ihre Anstellung. Als Nader eines Nachmittags von der Arbeit nach
Hause kommt, findet er die Wohnung leer und seinen Vater ans Bett
gefesselt vor. Als Razieh von einem privaten Termin zurückkommt,
wirft er sie hinaus, woraufhin sie ihn beschuldigt, die Fehlgeburt
ihres Kindes ausgelöst zu haben.
Der Iran wird im kollektiven Bewusstsein gerne als abgeschottetes
Land mit einer durchs Band streng muslimischen Gesellschaft
angesehen. Doch Asghar Farhadi zeigt in A
Separation (Original: Jodái-e Náder az Simin), dass es
auch im Iran einen unspektakulären Alltag gibt, zu dem eine
gebildete, säkulare Mittelschicht ebenso gehört wie westliche
Kleidung und iPhones. Und genau diese Gesellschaft, das iranische
Bürgertum des 21. Jahrhunderts, nimmt Farhadi in seinem Film mit
einer ruhigen und faszinierenden Eindringlichkeit unter die Lupe, wie
man es bislang nur von Meistern wie Claude Chabrol gesehen hat. Die
Themen, die dabei aufgegriffen werden, könnten mannigfaltiger nicht
sein: Der ewige Kampf zwischen dem sozialen Stellenwert von Glauben
und aufgeklärter Weltlichkeit findet ebenso Erwähnung wie derjenige
zwischen Arbeiterklasse und Bildungsbürgertum. Auch Abtreibung, die
Prioritätenfrage von Familie und Staat sowie die immer tiefer
werdende Kluft zwischen Tradition und Moderne werden nicht nur
angeschnitten, sondern eingehend beleuchtet.
Simin (Leila Hatami) und ihr Noch-Ehemann Nader (Peyman Moaadi) vor dem Richter.
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Durch diese Themenvielfalt entsteht aber keineswegs ein überladener,
gehetzter oder etwa gar pathetischer Film. Farhadi hat es
hervorragend verstanden, diese Ladung an gewichtigem Subtext in seine
meisterhaft konstruierte, facettenreiche Geschichte einfliessen zu
lassen und sie mit einer bewundernswerten Ruhe und Nüchternheit zu
untersuchen – ohne den Film dabei aber der emotionalen Komponente
zu berauben. Dies ist zu einem schönen Teil der exzellenten
Charakterzeichnung zu verdanken, die sich über das Schema von Pro-
und Antagonisten hinwegsetzt und jeder einzelnen Figur glaubwürdige
und nachfühlbare Motivation verleiht. Grossen Anteil an diesem
Realismus hat auch das fantastische Schauspiel-Ensemble, welches bei
der diesjährigen Berlinale die Darstellerpreise verdientermassen als
Einheit entgegennehmen durfte. Es ist keine Übertreibung zu sagen,
dass Asghar Farhadis Werk zu den am besten gespielten dieses Jahres
gehört.
A Separation ist ein an innerer Spannung und
Aussagekraft kaum zu überbietendes Drama ohne Schnickschnack und
Manipulation, das einen das Kino nicht deprimiert, sondern
beeindruckt, aufgewühlt und bewegt verlassen lässt. Ein
Meisterwerk.
★★★★★★
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