"Art imitates life", sagt man. Sinnbildlich dafür steht David Holzman's Diary aus dem Jahr 1967, der erste Film von Jim McBride, der sich in späteren Jahren als Regisseur von Fernsehserien wie The Wonder Years oder Six Feet Under gemacht hat. Sein erstes Werk ist eine satirisch angehauchte Mockumentary und einer der frühesten Vertreter des Handkamera-Filmemachens, weshalb man es durchaus zu den stilistischen Wegbereitern von Sacha-Baron-Cohen-Projekten wie Borat oder Ali G, Found-Footage-Schockern wie Blair Witch Project oder Paranormal Activity sowie der Internet-TV-Kultur (Nostalgia Critic, The Spoony Experiment) zählen darf.
David Holzman (L.M. Kit Carson) ist ein New Yorker Twentysomething mit einer Leidenschaft für Filme. Nicht nur schmücken Poster von Klassikern wie Suspicion oder Touch of Evil seine Wände, er beschliesst eines Tages sogar, selber zum "Macher" zu werden. Gesagt, getan: Mit seiner tragbaren Kamera beginnt er, sein Leben zu dokumentieren, in der Hoffnung, herauszufinden, was in seinem Alltag falsch läuft – er hat gerade seinen Job verloren und auch mit Freundin Penny (Eileen Dietz) könnte es besser laufen. Doch bald stellt sich heraus, dass das Herumtragen einer Kamera das Einfangen des "echten" Lebens stark erschwert.
Den zentralen Satz von David Holzman's Diary sagt ein hispanischer Freund der Hauptfigur: "As soon as you start filming, it's not reality anymore. It becomes a movie. It becomes something else." Mit dieser Problematik – der festen Grenze zwischen Realität und Zelluloid – setzt sich Regisseur und Autor Jim McBride auf höchst eigenwillige Weise auseinander. Sein Film besteht nur aus Davids Aufnahmen, eine Fremdeinwirkung auf das gezeigte Material ist nicht erkennbar. So wirkt der Streifen über seine ganzen 73 Minuten durchaus real, auch dank den Anspielungen auf die Unmöglichkeit von Davids Unterfangen; wenn schliesslich im Abspann Schauspieler und andere Mitwirkende genannt werden, ereilt einen das Gefühl der Antiklimax.
Rein inhaltlich bietet McBrides Film das, was man von einer hyperrealistischen Mockumentary, einem Mittelding aus Dokumentar- und Essayfilm erwarten darf: viel Alltägliches, das stellenweise aber leider fast wie Leerlauf wirkt. Das natürliche Licht und das rudimentäre Mikrofon verleihen Szenen wie dem ausgedehnten Dialog an einer stark befahrenen Strasse oder der Stalker-Sequenz in der U-Bahn zwar eine grossartige Authentizität, erinnern aber gleichzeitig an die Vorzüge des nachbearbeiteten "künstlichen" Films.
Der künstlerische Einfluss – obschon weniger signifikant als der von The Graduate und Bonnie and Clyde, den beiden grossen New-Hollywood-Pionierfilmen des Jahres 1967 –, den David Holzman's Diary auf nachfolgende Generationen hatte, darf aber dennoch keinesfalls unterschätzt werden. Einzelne Szenen und Einstellungen fanden ihren Weg ebenso in die Werke nachgeborener Filmemacher – so etwa die Reihe von leicht missbilligend in die Kamera blickenden älteren Leuten in Todd Haynes' I'm Not There – wie die dem Film zugrunde liegende "Mission" Davids, die Welt aus den Augen eines normalen Menschen zeigen. So hat es McBrides Debüt auch weitestgehend geschafft, dem Schicksal vieler Indie-Filme der 1960er Jahre – dem Verlust der unmittelbaren gesellschaftlichen Relevanz – zu entkommen. Anders als beispielsweise der ein Jahr ältere Morgan: A Suitable Case for Treatment, dessen Tonfall sehr ähnlich ausfällt, hat sich seine Wirkung kaum überlebt.
David Holzman's Diary mag kein Film sein, den man sich immer und immer wieder ansehen wird, vorab weil es sich dabei mehr um ein Experiment als um echtes narratives Filmen handelt. Doch als Studie über die omnipräsente Diskrepanz zwischen Film und Realität ist er nicht nur ein interessantes Stück Zeitgeschichte, sondern auch ein noch immer aktueller Beitrag.
★★★★½
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