Donnerstag, 27. Oktober 2011

Giochi d'estate

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Seit 1961 schickt die Schweiz jährlich einen Film ins Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Streifen. Mit Rolando Collas Giochi d'estate wird diese Ehre nun erstmals einem italienisch gesprochenen Leinwandwerk zuteil. Leider bleibt dieses hinter den Erwartungen zurück.

Kindliche und (früh)pubertäre Sommereskapaden sind beileibe kein Novum in der Welt des Kinos – man denke an Filme wie Robert Mulligans Summer of '42 oder Hayao Miyazakis märchenhaftes Anime My Neighbor Totoro. In diese Kerbe schlägt auch Rolando Collas neuester Film. Seine Hauptfigur ist Nic (Armando Condolucci), ein 12-jähriger Junge, der mit seinem wankelmütigen Vater Vincenzo (Antonio Merone), seiner Mutter (Alessia Barela) und seinem jüngeren Bruder Agostino (Marco D'Orazi) in der Toskana Camping-Sommerferien macht. Am Strand begegnen ihm und Agostino die Mädchen Patty (Chiara Scolari) und Marie (Fiorella Campanella) sowie der Draufgänger Lee (Francesco Huang). Nach einigen Konflikten freunden sich die Jugendlichen an und beginnen ihre sommerlichen Spiele, die mal harmlos, mal weniger harmlos sind.

Was Colla in Giochi d'estate darzustellen versucht, ist offensichtlich: Sein Ziel war es, die Frustrationen und das erotische "Knistern" der frühen Jugend darzustellen. Gelungen ist ihm das aber nur stellenweise, da der Film mit einigen grundsätzlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Dies fängt bei den minderjährigen Darstellern an, deren Schauspiel im günstigsten Falle (Huang, Campanella) mittelmässig, im schlechtesten (Condolucci, D'Orazi) unerträglich steif ist. Besonders in der Prügelei kurz nach Filmbeginn wirken die Kinder so natürlich, als läsen sie ihren Text von ihren Handflächen ab. Ein weiterer Krisenherd ist das von nicht weniger als vier Leuten verfasste Drehbuch. Zwar wartet die Geschichte mit ein paar wahrhaftig inspirierten Momenten auf – unterstützt durch Lorenz Merz' wunderschöne Aufnahmen der Toskana; sie lässt aber den für die Thematik so wichtigen Realismus fast gänzlich ausser Acht. Giochi d'estate ist ein veritabler Problemfilm, der sich von Katastrophe zu Katastrophe hangelt – in regelmässigen Abständen von zehn bis fünfzehn Minuten – und den Zuschauer so aufs Schamloseste manipuliert.

Kindheitserfahrungen: Nic (Armando Condolucci) kommt während der Sommerferien der hübschen Marie immer näher.
Endgültig Schiffbruch erleidet der Film schliesslich aufgrund seiner Figurenzeichnung. Die im Mittelpunkt stehenden Kinder sind am Reissbrett entstandene Ideen ohne einen Funken Wiedererkennungswert. In vergleichbaren Filmen glaubt man wenigstens, ähnliche Leute in der eigenen Kindheit gekannt zu haben; hier jedoch agieren 12-Jährige, deren "Sommerspiele" einem in ihrer vollkommen unnötigen Boshaftigkeit fremd bleiben. Insbesondere Nics Verhalten erinnert nicht an das eines etwas zu direkten Kindes, sondern an das eines angehenden Psychopathen. So werden andere Unstimmigkeiten wie Vincenzos abruptes, ohne Grautöne auskommendes Wechselspiel zwischen fürsorglichem Vater und prügelndem Monster, oder die Tatsache, dass am Ende des Films keine signifikanten Charakterentwicklungen stattgefunden haben, schon fast zu einer Randnotiz.

Giochi d'estate ist ein seltsamer Film, der in vielerlei Hinsicht einfach die falschen Töne trifft – vor allem in Sachen Figuren und Storyaufbau. Ein realer Italienurlaub scheint wie eine probate Alternative.

★★½

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